# taz.de -- Geschichte einer Kinderehe | |
> Liebe? In Deutschland wird über die Kinderehe diskutiert. Soll man sie | |
> verbieten oder kann es Ausnahmen geben? Das Beispiel eines syrischen | |
> Paares zeigt, wie komplex das Thema ist | |
von Sascha Lübbe | |
Als Ahmad* Dana* das erste Mal besuchen kam, brachte er rote Rosen und eine | |
goldene Armbanduhr mit. Seine Mutter hatte das Treffen arrangiert. Hatte | |
einen Monat zuvor bei Danas Eltern geklingelt und sich nach den beiden | |
Töchtern erkundigt. Kurz danach kam sie zum Essen vorbei, es gab Kaffee und | |
Tee, Ahmads Mutter begutachtete die Töchter. Ihre Wahl fiel auf Dana. Weil | |
sie die Jüngere war. | |
Als Ahmad dann vor Dana stand, war Dana erleichtert. Sie mochte ihn. Er sah | |
noch besser aus als auf dem Foto. Sie sprachen etwa eine Stunde lang. Über | |
ihr Leben, über die Familien, über die Zukunft. Bevor Ahmad ging, fragte er | |
Dana, ob ihr die Uhr gefallen würde. Sie sagte: „Ja.“ Damit waren Ahmad und | |
Dana verlobt. | |
Das war in Syrien, zwei Jahre ist es her. Sie heirateten in kleinem Kreis, | |
denn es war Krieg. Sie bekamen ein Kind. Als Ahmad zum Wehrdienst | |
eingezogen werden sollte, entschloss sich das Paar zur Flucht. Kam über die | |
Türkei und Griechenland nach Deutschland, im Gepäck die sieben Monate alte | |
Leyla*. | |
Hier sitzt die Familie nun, in einem Flüchtlingsheim in Berlin. Er: ein | |
zurückhaltender junger Mann mit freundlichem Gesicht. Die Tochter auf dem | |
Schoß. Sie: ein blasses junges Mädchen mit klarem, ruhigem Blick. Erwachsen | |
wirkt sie, wie sie mit leiser aber fester Stimme spricht, sich das Kopftuch | |
zurechtrückt, sich über den Bauch streicht. Dana ist wieder schwanger, im | |
vierten Monat. | |
Wie selbstverständlich reden die beiden über ihre Ehe. Nicht ahnend, dass | |
sich die Jugendämter, Juristen und Politiker dieses Landes mit ihnen | |
beschäftigen. Denn Dana ist 15, Ahmad 24. Und Deutschland diskutiert: Wie | |
soll man mit Menschen wie ihnen umgehen? | |
Mit den Flüchtlingen ist auch die Zahl minderjährig Verheirateter | |
gestiegen. Seitdem ist pauschal von „Kinderehen“ und „Zwangsheiraten“ d… | |
Rede, von „Kindsbräuten“ und auch wieder von der „Islamisierung des | |
Abendlandes“. Justizminister Heiko Maas (SPD) kündigte bis Ende 2016 ein | |
Gesetz zum Verbot dieser Ehen an. Ausnahmen sollten nur gelten, wenn die | |
Jugendlichen bereits eigene Kinder haben. Der Union fordert eine generelle | |
Annullierung. Aber wäre die im Sinne der Betroffenen? | |
Das Thema Ehen bei Minderjährigen ist komplexer, als es scheint. Weil es | |
nicht nur Flüchtlinge und Muslime betrifft. Weil es keine einfachen | |
Lösungen gibt. Und weil sich das Phänomen als solches nur schwer greifen | |
lässt. Bei den Zahlen geht es los. 1.475 minderjährige Ausländer seien in | |
Deutschland als verheiratet registriert, so das Bundesinnenministerium im | |
September. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Nicht selten wird im | |
Familienkreis oder vor einer religiösen Instanz geheiratet und auf eine | |
staatliche Legitimation verzichtet. | |
## Ein soziales Phänomen | |
Zweites Missverständnis: die Religion. Ein Großteil der 1.475 | |
minderjährigen Ausländer kommt zwar aus den islamischen Ländern Syrien | |
(664), Afghanistan (157) und dem Irak (100). Doch auch nichtmuslimische | |
EU-Staaten sind in der Statistik vorne mit dabei: Bulgarien, Polen, | |
Rumänien, Griechenland. | |
Für Monika Michell, Referentin der Frauenrechtsorganisation Terre des | |
Femmes, sind Ehen unter Minderjährigen eher ein soziales als ein religiöses | |
Phänomen. „Es geht hier um streng-patriarchalische Vorstellungen“, sagt | |
sie, „um überkommene Traditionen“. Die Religion diene dabei eher dazu, | |
diese zu stützen. Die Ursachen für die Ehen sind vielfältig: Armut, Sorge | |
um die Sicherheit der Kinder, auch um die eigene Ehre, wenn die Tochter | |
nicht jungfräulich in die Ehe geht. Hinzu kommt die politische Lage. So | |
waren vor Ausbruch des Syrienkrieges nach Angaben von SOS-Kinderdorf bei 13 | |
Prozent aller syrischen Hochzeiten einer oder beide Ehepartner | |
minderjährig. Inzwischen seien es 51 Prozent. | |
Die Ehe unter Minderjährigen betrifft vor allem Frauen: Von den | |
registrierten minderjährigen Ausländern sind 78 Prozent weiblich. | |
Minderjährig verheiratete Mädchen, sagt Michell, würden häufiger Opfer | |
häuslicher Gewalt. Und früher schwanger. Hinzu komme der Druck, die Schule | |
abzubrechen und sich damit ganz in die Abhängigkeit des Mannes zu begeben. | |
Die Forderung der Organisation: Die im Ausland geschlossenen Ehen sollten | |
in Deutschland nicht anerkannt werden. Die Jugendlichen sollten nicht | |
zwangsläufig getrennt, auf jeden Fall aber sollte ein unabhängiger Vormund | |
bestellt werden. | |
Dagegen steht derzeit die Rechtslage: De facto werden rechtswirksam | |
geschlossene Ehen in Deutschland anerkannt. Aufgehoben können sie nur | |
werden, wenn sie das Kindeswohl gefährden oder gegen Grundsätze des | |
deutschen Rechts verstoßen. Wenn es sich um Ehen mit mehr als einem Partner | |
handelt, oder wenn die Heirat unter Zwang zu Stande kam. | |
Ehe unter Zwang? Fragt man Ahmad und Dana danach, schauen beide irritiert. | |
Niemand hätte sie zu dem Schritt gedrängt, sagen sie. Sie hätten es | |
erwartet, ja, und wären sicher auch enttäuscht gewesen, wenn beide „Nein“ | |
gesagt hätten. Aber letztlich hätten die Eltern auch das akzeptiert. Die | |
frühe Heirat sei normal gewesen in ihrer Heimat, in der als konservativ | |
geltenden Stadt Hama, südlich von Aleppo. Ahmads Mutter etwa war elf, als | |
sie sich vermählte, und 13, als sie Ahmad, bekam. | |
## Dana kennt ihre Rechte | |
Ahmad war acht, als sein Vater starb. Er schmiss die Schule, übernahm | |
dessen Geschäft. Vor seiner Flucht habe er 50 Angestellte beschäftigt, sagt | |
er stolz. Dana hingegen sagt, sie sei mit ihren 15 Jahren reifer als manche | |
25-Jährige. Sie weiß, dass sie hier in Deutschland Rechte hat, dass sie | |
studieren und arbeiten kann. Eigentlich aber möchte sie nur eines: Hausfrau | |
und Mutter sein. | |
Wenn Ahmad und Dana über die Ehe reden, klingt es, als wären es die | |
Deutschen, die sich seltsam benehmen. Weil sie so spät Kinder kriegen. Weil | |
sie so selten heiraten. Weil ihnen die Familie nicht so wichtig ist. | |
Im Juni hatte ein ganz ähnlicher Fall für Schlagzeilen gesorgt. Das | |
Jugendamt Aschaffenburg hatte eine 15-jährige Syrerin und ihren 21-jährigen | |
syrischen Ehemann, die gemeinsam nach Deutschland geflohen waren, getrennt. | |
Die beiden durften sich fortan nur noch zwei Stunden pro Woche sehen. Das | |
Paar klagte – und bekam vor dem Oberlandesgericht Bamberg Recht. Die Ehe | |
wurde akzeptiert. | |
Es gibt Stimmen, die sagen, damit sei ein Präzedenzfall geschaffen worden, | |
der Kinderehen in Deutschland Tür und Tor geöffnet habe. Andere sehen das | |
Jugendamt Aschaffenburg in der Schuld. Ein Paar, das gemeinsam geflohen ist | |
und sich nun nur stundenweise sehen darf – ergibt das Sinn? | |
Was sich kaum jemand fragt: Wie lauten die Alternativen? Wenn die Ehen der | |
Minderjährigen aufgehoben werden, gelten die Ehepartner unter 18 als | |
unbegleitet. In Berlin ist dann das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf für sie | |
zuständig. Dort wird über den Umgang mit minderjährig Verheirateten von | |
Fall zu Fall entschieden. „Wenn wir das Gefühl haben, eine Ehe kam unter | |
Zwang zu Stande oder ein Ehepartner möchte diese Verbindung nicht, dann | |
trennen wir“, sagt ein Mitarbeiter. Wenn sie aber das Gefühl hätten, die | |
Ehe funktioniere und sei freiwillig, ließe man die Paare zusammen. „Alles | |
andere wäre ja Quatsch.“ | |
Gibt es also keine Alternativen? Doch, meint Sara Kinsky. Sie arbeitet für | |
die Kriseneinrichtung Papatya, die junge Frauen mit familiären Problemen | |
betreut, darunter auch solche, die von Zwangsverheiratungen betroffen sind. | |
Auch sie plädiert dafür, von Fall zu Fall abzuwägen – und das Interesse des | |
Mädchens in den Mittelpunkt zu stellen. Was sie aber unterstützt: die | |
Forderung, das Heiratsalter für in Deutschland geschlossene Ehen auf 18 | |
festzusetzen. Ohne Ausnahmen. | |
„Jugendliche, die in Deutschland leben, können – wenn die Eltern sie lassen | |
– erst einmal Erfahrungen sammeln“, sagt Kinsky. „Sie müssen nicht gleich | |
heiraten.“ Ein Heiratsverbot unter 18 – auf diese Weise könnten auch | |
Menschen wie Dana schauen, was es für Möglichkeiten für sie gibt. Bevor sie | |
sich entscheiden. | |
*Alle Namen wurden auf Wunsch der Betroffenen geändert. | |
Dieser Text ist bereits im Berliner Stadtmagazin Zitty erschienen. | |
18 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Sascha Lübbe | |
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