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# taz.de -- Fatale Sehnsucht nach dem „edlen Wilden“
> Roman Louis-Philippe Dalembert erzählt in „Die Götter reisen in der
> Nacht“ von einer gespaltenen Kindheit in Haiti
Bild: Im Central Park in New York, Voodoo-Inspirierte aus Haiti
von Ruthard Stäblein
Yan valou – Ich grüße dich, Erde. So heißt der Voodoo-Tanz, den der
Erzähler gerne tanzen würde, aber er weiß nicht, auf welchem Fuß man den
Voodoo anfängt. Yan valou, dahomey, kongo: Das sind „Gesänge und Tänze, die
einem – wenn man nicht aufpasst – das Ohr, die Hüften und überhaupt den
ganzen Körper bis nach Guinea entführen können“.
Dass der Erzähler den Voodoo nicht richtig tanzen kann, daran ist die
Großmutter schuld. Diese kreolische „Grannie“ steht selbst in der
Ahnenreihe der Voodoo-Priesterinnen. Sie könnte heilen, verhexen, zaubern,
wenn sie wollte. Aber sie will nicht, um keinen Preis. Denn sie ist
überzeugte Christin. Und sie will mit allen Mitteln verhindern, dass ihr
Enkel, der Erzähler, in die Riten eingeweiht wird. So muss er in die Kirche
statt zum Kapokbaum, darf nicht zum Ort der Mysterien, wo rote Ameisen und
eine Schlange den Krug mit Gold bewachen. Er hört den Ruf der Trommeln, die
„Ti-comique“ am heidnischen (sic!) Karneval schlägt, der „trommelt wie e…
tollwütiger Hund“.
Die Trommeln sind stärker als die Glocken, (schon Wole Soyinka, der
nigerianische Nobelpreisträger von 1986, benutzte den Vergleich), aber noch
stärker als die Glocken ist Grannie. Was der Erzähler später bedauern wird,
als er seine heiß begehrte Geliebte in New York besucht. Sie hat Good
Vibrations und nimmt ihn mit nach Queens, wo er an einer Voodoo-Sitzung
teilnehmen soll.
## Der Ekel des „Parisäers“
Er aber bleibt verkrampft, trinkt nicht von dem Gesöff, das herumgereicht
wird, weil es ihn davor ekelt. Daheim, nachts, bei ihr in Harlem
angekommen, lässt sie ihn nicht an sich heran. Er ist verzweifelt und
erzählt sich in dieser Nacht die Geschichte seiner verfehlten Kindheit auf
Haiti. Er spricht mit sich selbst, redet sich mit Du an, (was gekünstelt
wirkt und den Leser anstrengt), und macht dem „Parisäer“ in sich (ein
gelungenes Wortspiel) den Prozess. Der Pariser Pharisäer, der sich als
maskierter Neger fühlt, der Weltbürger und frankophone Schriftsteller,
wüsste so gerne, mit welchem Fuß man den Yan valou beginnt. Und er erinnert
sich, wie er als Kind als Unschuldslamm beschimpft wurde und wie er doch
einmal das „Verbrechen“ wagte und in das Allerheilige der Voodoo-Mysterien
eingedrungen ist und dort die riesige Trommel mit den Hörnern geschlagen
hat.
Seit Jahrhunderten geistert die Sehnsucht nach dem „edlen Wilden“ durch die
Köpfe der westlichen Intelligenz. Eine Sehnsucht nach dem ursprünglichen
Menschen, der unberührt von der Zivilisation, naturgemäß, rein, unschuldig
und behütet lebt (Rousseau), den wilderen Sex hat (Margaret Mead) und
einfach besser ist als dieser zivilisierte, westliche Mensch, der die Natur
ausbeutet, die Völker kolonisiert und sich selbst in ein enges, moralisches
Korsett zwängt.
Louis-Philippe Dalembert bedient fast bis zum Ende des Romans eine fatale
Sehnsucht nach Wildheit. Er entfernt sich vom Erbe seines Namensvetters
Jean Le Rond d’Alembert, des Aufklärers und Enzyklopädisten, der damals
Rousseau mit Vernunftgründen überzeugen wollte (was ihm nicht gelang).
Dieser neuere Dalembert begibt sich auf ein gefährliches Glatteis: „Wie
können sich Christenmenschen von heute solchen barbarischen Ritualen
verschreiben“, wie Tieren die Kehle durchschneiden, ihr warmes Blut
trinken? So fragt der Erzähler etwas scheinheilig in diesem Roman.
Denn er weckt die ganze Zeit die Begierde nach diesem heißen Blut, nach den
wilden Voodoo-Göttern. Am Ende siegt im Erzähler und zum Vorteil des Romans
dann doch die Skepsis (und der Witz).
Seine gespaltene Kindheit aber wird zum Sinnbild der gespaltenen Kultur von
Haiti, hin- und hergerissen zwischen Glocken und Trommeln. Der Erzähler
würde gerne an die alten Götter glauben, die nachts durch die Träume
reisen. Allein um seine Geliebte zu erreichen. Aber dafür müsste er den Yan
valou richtig tanzen können. Und sie auch noch heiraten. Das geht nun gar
nicht für einen echten Parisäer.
Louis-Philippe Dalembert: „Die Götter reisen in der Nacht“. Roman. Aus dem
Französischen von Bernadette Ott. Literaturdukt, Trier 2016, 200 Seiten,
16,80 Euro
7 Nov 2016
## AUTOREN
Ruthard Stäblein
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