| # taz.de -- Hausbesuch An der österreichisch-tschechischen Grenze, wo kaum noc… | |
| Bild: Das Haus im Böhmerwald | |
| Text und Fotos Anastasia Hammerschmied | |
| Zu Besuch in der Jausenstation von Rainer Preinfalk und Ulrike Rieder im | |
| Niemandsland der österreichisch-tschechisch-deutschen Grenzregion. | |
| Draußen: Böhmerwald. Hügellandschaft. Auf 820 Meter Höhe liegt die Terrasse | |
| des Blauen Hirschen. In Sichtweite die tschechische Grenze, ein kahler | |
| Streifen, den der Eiserne Vorhang hinterlassen hat. Eine steile Straße | |
| führt nach Sonnenwald in Oberösterreich. Weiter unten Nebel. Hier oben | |
| Sonne. „Das hier ist nicht mehr Österreich“, sagt Wirt Rainer Preinfalk, | |
| „das ist eine andere Welt.“ Vor dem Haus ist eine Speisekarte aufgestellt. | |
| „Sauren Mix“, und „Brettl Jause“ gibt es heute. | |
| Drinnen: Eine Wirtsstube, holzgetäfelt, mit Kachelofen beheizt. An der Wand | |
| hängt ein Hirschgeweih und ein Schild mit der Aufschrift „Grenzbezirk“. | |
| Sechzehn Kilometer von Deutschland und achtzig Meter von Tschechien | |
| entfernt liegt der Blaue Hirsch. Preinfalk, 56, bereitet die Stube für die | |
| Gäste vor. Im Regal neben der Bar stehen Kaffeekannen. Ein paar hat er aus | |
| der Silberkammer eines Schiffs „mitgenommen“, auf dem er in den USA | |
| gearbeitet hat. Eine stammt aus dem Rathaus Spandau. „Vielleicht wurde | |
| daraus schon Kennedy eingeschenkt.“ | |
| Zu kleinkariert war ihm Österreich. Deshalb wollte er nicht mehr | |
| zurückkommen, erzählt er. Achtzehn Jahre lang kam er nur in die Gegend, um | |
| seinen Rucksack zu packen und ein neues Visum zu besorgen. (In Neufelden, | |
| einer Gemeinde 20 Kilometer vom Blauen Hirschen entfernt, ist er | |
| aufgewachsen.) Aber dann bleibt er doch und eröffnet am 1. Mai 1999 mit | |
| seiner Lebensgefährtin Ulrike Rieder die Jausenstation. „Hier bist du zwar | |
| in Österreich, aber du schaust nach Tschechien“, deshalb hat er sich darauf | |
| eingelassen. | |
| Naturschutz: Die Langlaufloipen am Blauen Hirschen führen durch Tschechien | |
| und über den Grenzfluss. Bis in die Neunziger wusste keiner, was hinter dem | |
| Fluss ist. Auf der anderen Seite der Grenze lebten früher die | |
| Sudetendeutschen. Auch Preinfalks Mutter war Sudetendeutsche, aus Olmütz. | |
| Manchmal findet man im Wald noch Häuserruinen. Überreste verbrannter | |
| Dörfer. Wenige Minuten vom Blauen Hirschen entfernt, auf der anderen Seite | |
| des Grenzflusses, befand sich das Dorf Glöckelberg. Nur die Kirche gibt es | |
| noch. Das menschenleere Gebiet steht jetzt unter Naturschutz. | |
| „Ein störrischer Hund“ war der Rainer, als er zur Schule ging. Mit siebzehn | |
| schmiss er das Gymnasium und ging in die Gastronomie. „Wie das halt war in | |
| den 70ern. Ein Revoluzzer war ich.“ Schon als er mit fünfzehn aus der | |
| Kirche austrat, habe er seine Eltern zur Verzweiflung gebracht. Nach der | |
| Tourismusschule ging er nach Berlin. Arbeitete im Kempinski am Ku’damm und | |
| in der Conti-Fischstube. Drei Jahre wohnte er in Berlin, irgendwann | |
| beschloss er, nach Südafrika auszuwandern. Er nahm sein Kellnergewand und | |
| bewarb sich bei einem „Ex-Nazi“ im Hotel. „Der hat mir beim | |
| Vorstellungsgespräch erklärt, ich müsse die Schwarzen schlagen, damit sie | |
| ordentlich arbeiten. Da habe ich mein Arbeitsgewand wieder nach Hause | |
| geschickt.“ Von da an reiste er durch Afrika. | |
| „Verrückt nach Afrika“ sei er gewesen. Dreieinhalb Jahre ist er dort | |
| unterwegs, ist in Malawi, Sambia, Simbabwe und anderen Ländern. Zum | |
| Geldverdienen ging er zwischendurch in die Schweiz, nach Berlin oder | |
| heuerte auf verschiedenen Schiffen an. Wenn er sich heute hinsetzt und über | |
| die Reisen nachdenkt, kann er sie wie einen Film in seinem Kopf sehen. | |
| Manchmal macht er das mit seinem besten Freund oder mit „der Uli“ – seiner | |
| Lebensgefährtin. Alleine dafür habe es sich schon gelohnt. Im Jahr 1991 | |
| traf er seine Uli. Gekannt habe er sie aber schon, als sie noch ein kleines | |
| Mädchen war. „Die fand mich gut, weil ich wild war.“ | |
| Wie sie arbeiten: Ulrike Rieder, 52, steht in der Küche und backt einen | |
| Apfelstrudel. Boxerhund Chilli steht daneben. Sie mache alles selbst, auch | |
| Saucen und Suppen. Das Rindsgulasch allerdings kocht Preinfalk. Ob sie sich | |
| gleich in ihn verliebt hat? „Es schaut so aus.“ Im ersten Jahr war er in | |
| Sevilla. Sie in der Schweiz. Zuerst als Kellnerin, dann als Küchenhilfe. | |
| Als Heilmasseurin hatte sie in Österreich keinen Job gefunden. Danach | |
| gingen sie und Rainer für sieben Jahre gemeinsam „auf Saison“. Dazwischen | |
| auf Reisen. Dass beide am Ende einmal im Böhmerwald landen würden, hätten | |
| sie nicht gedacht. Rieder ist hier in der Region aufgewachsen. „Aber als | |
| Kind wusste ich nicht einmal, dass es das heroben gibt. Es wurde ja nichts | |
| unterrichtet vom Eisernen Vorhang.“ | |
| Das erste Jahr war ein Fiasko. „Ich dachte, das war der schlimmste Griff | |
| ins Klo, den ich je gemacht habe“, sagt Preinfalk. Sie hatten keinen Strom. | |
| Das kleine Kraftwerk, das nur für die zwei, drei fix bewohnten Häuser in | |
| Sonnenwald Strom erzeugt, braucht das Wasser vom Grenzbach. „Die Tschechen“ | |
| hätten das Wasser regelmäßig abgedreht. Wegen des Neids auf das Stift wäre | |
| das gewesen. Das Stift Schlägl habe 6.500 Hektar Grund im Böhmerwald und | |
| ist Verpächterin aller Häuser in Sonnenwald, auch des Blauen Hirschen. | |
| Nachbarn. Gibt es kaum. Der „Druide“ wohnt noch hier – ein „Kräuterfre… | |
| der Touren auf seinen Eseln anbietet“, erzählt Preinfalk. Und noch einen | |
| Nachbarn gibt es. Und hin und wieder Gäste in den vier Ferienhäusern. Gras | |
| könne man hier aber keines anbauen. Seit das Chrystal Meth aus Tschechien | |
| reingeschmuggelt wird, kontrolliere die Polizei sehr streng. | |
| Die Gäste kämen vor allem aus Bayern. Und aus Tschechien kämen jedes Jahr | |
| mehr. Früher schrieb Preinfalk die Speisekarte auf Tschechisch. Doch alle | |
| können mittlerweile Deutsch oder Englisch. „Sprachlich sind die viel besser | |
| aufgestellt als wir.“ | |
| Vor der Arbeit: Ulrike Rieder steht jeden Tag mit dem Hund auf. „Heute war | |
| es halb sieben.“ Die Leute würden immer sagen, sie wisse gar nicht, wie | |
| schön sie es habe. „Aber das weiß ich jeden Tag, wenn ich aufstehe und die | |
| Lichter sehe und die Nebelwurst unten.“ | |
| Nach der Arbeit sitzen sie in der Stube. Der Kachelofen ist sein | |
| Lieblingsplatz. Lesen, Spazieren gehen, Schlafen. Langweilig war ihnen noch | |
| nie. „Am schönsten ist es, wenn die Leute weg sind“, sagt er. Nur der | |
| Winter dauert zu lange. | |
| Dazwischen: Um elf kommen die ersten Gäste. Ein Ehepaar aus Berlin. Sie | |
| machen seit zehn Jahren hier Urlaub. Für die beiden haben sie Blumen | |
| mitgebracht. Preinfalk macht Kaffee. Rieder bringt Suppe. | |
| Ferien: Ende Oktober schließt der Blaue Hirsch für zwei Monate. Im Urlaub | |
| trennen sich ihre Wege. „Wir sind sonst eh immer beieinander“, sagt | |
| Preinfalk. Rieder will nach Ägypten, er entscheidet sich spontan. | |
| 5 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Anastasia Hammerschmied | |
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