# taz.de -- Notizen Er isst ein Stück Streuselkuchen, spielt Gitarre und guckt… | |
Von Thomas Feix (Text) und Oliver Sperl (Illustration) | |
Richtig gearbeitet habe ich nie. Wollte den Kopf frei haben. Bloß nichts | |
mit Verantwortung wie die ganzen anderen alle. Wenn ich die schon rauchen | |
sehe. Das Gepaffe. Oft nichts zu essen gehabt, nicht mal eine Tasse Kaffee. | |
Jede Schraube aufgehoben. Daran gedacht, bei Aldi einzubrechen, Omas zu | |
überfallen. Glaubt mir keiner. Aber genau so ist es mir ergangen. | |
Zuletzt nachts putzen gewesen. Die paar Euro. Jetzt hat mich das Amt schon | |
jahrelang. Die Bäckereifiliale hier gefällt mir. Mitten in Wilmersdorf, | |
mitten im alten Westberlin. Sitze in meiner Stammecke am Fenster, gucke | |
raus. Manchmal gucken Leute von draußen rein. Sehen mich durch die Scheibe, | |
wie ich da sitze und vor mich hin starre. Ich weiß, es sieht aus, als wäre | |
ich weggetreten. Wie ein Idiot. | |
Egal, ich gucke dennoch immer schön raus. Denke dabei an so manches und | |
mache mir zwischendurch Notizen. Auf die kleinen gelben Merkzettel hier. | |
Meinen ganzen Rucksack habe ich damit voll. Vielleicht tue ich auch bloß | |
so. | |
Kommt auf jeden Fall bei den Leuten an. Trinke meinen Milchkaffee, esse | |
mein täglich Stück Kuchen dazu. Pflaume, Apfel, Mohn oder Kirsch, egal, | |
Hauptsache, immer schön mit Streuseln obendrauf. Dann schmeckt es mir auch. | |
Die Verkäuferinnen wissen Bescheid. Bringen mir immer das Richtige an den | |
Tisch. Alle anderen müssen sich Kaffee und Kuchen selber vorne am Tresen | |
holen und auch gleich bezahlen. Mir doch egal. | |
Sitze nie einfach bloß so da. Meine Augen sind wie Kameras, meine Ohren wie | |
Mikrofone. Das geht bei mir immer alles von außen nach innen rein, da ist | |
ständig Bewegung, und in mir drin bleibt es dann auch für allezeit | |
aufbewahrt. Da geht nichts von verloren. Spiele auch viel auf meiner | |
Gitarre. Die hinter mir auf dem Gestell da, ja. | |
Könnte ewig dasitzen und Klänge ausprobieren. Die fallen mir immer gerade | |
so zu, wie ich mich fühle. Störe hier auch niemanden damit. Nicht gerade, | |
dass sie mir Beifall dafür klatschen. Die Leute staunen immer alle bloß, | |
die reinkommen und sich Brot, Schrippen und Kuchen holen, wie ich dasitze | |
und spiele. Dann wieder bin ich still und gucke schön raus. Oder bin am | |
Notieren. | |
## Neulich die Frau | |
Neulich die Frau. Nur mal so als Beispiel. Noch gar nicht mal alt. Die | |
kommt öfters hier rein. Was für ein Glück, hat sie einmal zu mir gesagt. Zu | |
sein wie Sie, so selbstgenügsam und selbstvergessen dazusitzen. Am liebsten | |
hätte sie das auch, hat sie gesagt. Wenn die wüsste. Überhaupt, wenn die | |
alle nur wüssten. | |
Das Unglück treibt mich, so zu sein, wie ich bin. Das ist die Wahrheit. | |
Kein Mensch, der mich vermisst. Keinen, den ich vermisse. Sitze hier und | |
gucke den anderen allen durchs Fenster dabei zu, wie sie leben. | |
Aber ihr alle miteinander denkt euch doch, dass ich nichts mitkriege. Der | |
Blödmann, der glotzt und nicht zuckt, da auf seinem Stuhl in der Ecke. | |
Guckt euch lieber selber mal zu. Ihr pafft doch, jeder, wie ihr da seid, | |
alle panisch vor euch hin. Kriege alles mit. Deswegen glaube ich auch, dass | |
ich verbittert bin. | |
Mit dem Stift markiere ich die verschiedensten Stellen in Zeitungsartikeln. | |
Manchmal schreibe ich auch Kommentare mit dazu an den Rand. Alles saudumme, | |
missmutige Kommentare. Aus Rache. Als wäre ich ein Hund, den keiner will, | |
und müsste meine Marke nun ausgerechnet mit dareinsetzen. Genauso sehen die | |
Zeitungen nachher auch immer aus. Richtig lustig. | |
Na schön. Habe auch mal abwechselnd in den Lesesälen der | |
Universitätsbibliotheken gesessen. Jetzt nicht mehr. Man hat da keinen | |
Anspruch auf einen Stammplatz, und mit dem Rausgucken ist es auch | |
schwierig. Drin alles nur Studenten, die die Bücher studieren. Was hast du | |
bloß damit zu schaffen, habe ich mich zum Schluss gefragt. | |
Im Sommer sitze ich oft draußen. Dort, am Tisch gleich an der Tür. Und | |
hier, meine Pfeife. Pfeife rauchen ist Genuss. Die Zeit dafür nehme ich | |
mir. Anders als die ganzen anderen alle mit ihrem Paffen. Hängen damit doch | |
ohnehin bloß ihren verpassten Gelegenheiten nach. | |
Manchmal sitzt die Frau mit dem dichten grauen Haar und der roten | |
Lesebrille am Nebentisch. Statt dass sie raucht, strickt die Frau in einer | |
Tour. Keine Ahnung, wozu sie sich das alles zusammenstrickt. Bunte Schals | |
und Mützen, Handschuhe. Vielleicht alles für ihre Frauengruppe. In dem | |
Alter sind sie alle so. Vielleicht für ihre gemeinsamen Ausflüge im Herbst | |
und Winter. Irgendwie alles sinnloses Zeug, im Sommer jedenfalls. | |
Vielleicht geht es ihr wie mir. Frauen machen dann oft so Sachen. Kurse für | |
Yoga und Selbstfindung, oder sie stricken. Bisher nie mit ihr geredet. Ein | |
Kopfnicken, ja, aber keinen Augenaufschlag. Sollte vielleicht was sagen zu | |
ihr. Aber was hätten wir wohl zu besprechen? | |
Ärgerlich auch, dass die hier schon um sieben zumachen. Gehe dann, wenn es | |
warm ist, rüber in den Park. Sobald die Feierabendpfeife alle ist, gehe ich | |
nach Hause. Manchmal vorher noch zum Supermarkt. | |
Unsereiner braucht nicht viel zum Essen. Überhaupt brauche ich zum Leben | |
von allem immer weniger. Langsam geht das vonstatten, ein Schleichen. Bald | |
werde ich eingeschrumpft sein. | |
Liege nachts wach. Kann nicht einschlafen. Das Dösen und Hochschrecken | |
jedes Mal. Die Zukunft, Mann, ohne Hoffnung. Wird man alt und älter so wie | |
ich, über die Sechzig drüber hinaus, wird die Zeit knapp. Deutlich spüre | |
ich das. Stehe deshalb jetzt früher auf. Nicht mehr erst um vier, um halb | |
fünf am Nachmittag. Hat man doch nichts vom Tag sonst. | |
Fühle mich jetzt besser, obwohl ich nachts noch immer nicht schlafen kann. | |
Und ehe ich hier bin, ist es dann auch schon wieder früher Nachmittag. | |
Dabei hatte ich mir immer gewünscht, zeitlos daherzuleben. Über der Zeit, | |
ein Schweben darüber, gewissermaßen. Hat auch lange hingehauen. Nicht | |
bemerkt, wie die Zeit vergangen ist, wie ich älter und älter und nun | |
letztendlich alt geworden bin. Die Zeit hat mich auf einmal eingeholt. | |
Stehe mit einem Mal da. Ist nun auch beinahe schon wieder um sieben. | |
Es gab da noch die andere Frau. Also eine Pummelige. Sie sah mir nach | |
alleinstehend aus. Klein und pummelig, wie gesagt. Davor hatte ich sie noch | |
nie hier gesehen. Sie hatte so einen pummeligen Jungen mit dabei. | |
Sie hatte Brot gekauft und wollte raus. Der Junge stand am Tresen und | |
wollte bleiben. Er sah mich Gitarre spielen und hörte zu. Steif stand er | |
da, und sie sprach mich an. Sie dachte bestimmt, dass ich viel mehr | |
Lebenserfahrung loshätte als sie. | |
Es ging ihr um ihren Sohn, der da am Tresen stand. Er ist laut, hat | |
schlechte Noten in der Schule, und vor allem hört er nicht auf mich, sagte | |
sie. Aber bei Ihnen ist er merkwürdigerweise ganz ruhig und hört zu. Ich | |
glaube, sagte sie, dass er hochbegabt ist. Glauben Sie das nicht vielleicht | |
auch? | |
Womöglich hat sie mich für irgendeinen von diesen Weisen gehalten. Für | |
einen von den Typen, die irgendwo mitsamt dem halben Hausrat herumsitzen | |
und darauf warten, dass jemand sie anspricht. So wie ich hier. Der große | |
Magier. Weisheiten an andere verteilen, selbst aber zu doof fürs eigene | |
Leben. | |
## Sie sah mich verzückt an | |
Sie sah mich so verzückt an, während sie mit mir sprach, die Augen nach | |
oben verdreht. Ich sie erst angelächelt und ihr dann gesagt, dass ich das | |
für möglich halte, dass das Pummelchen da was Außergewöhnliches ist. | |
Schließlich habe ich mir das Gitarrespielen auch selbst beigebracht. Bin | |
selbst ein Hochbegabter. Ein spätes Exemplar, schicksalhaft. | |
Daraufhin zog sie glücklich ab, und ihr Sohn hinter ihr her. Der nun war | |
ganz stolz auf sich selbst. Ein Genie war geboren. Meinetwegen. Wenn es | |
seiner Mutter dadurch besser geht. Was hätte ich ihr denn anderes sonst | |
sagen sollen? Wo sie doch genau das von mir hören wollte. | |
In Wahrheit habe ich gar nichts mitzuteilen. Dazu ist meine Entfernung zum | |
Leben viel zu groß. Schon immer bin ich mehr für mich allein als mit | |
irgendwem anderen zusammen. Kann auf die Art jede Scheiße reden, die ich | |
reden will. Mache mich jetzt mit meiner Gitarre und der Pfeife auf den Weg | |
zum Park. Schönen Feierabend. Kein Foto, nein, ich möchte das nicht. | |
Thomas Feix schreibt Porträts, die Literatur und Journalismus verschmelzen | |
5 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Thomas Feix | |
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