# taz.de -- Von der Hand in den Mund | |
> Futter Streetfood ist in Berlin mittlerweile ein nicht zu | |
> unterschätzender Wirtschaftsfaktor geworden. Viele Firmengründer | |
> professionalisieren sich und machen eigene Restaurants auf. Dabei | |
> verzichten jedoch nur wenige auf das mobile Angebot | |
Bild: Mobil, frisch, schnell: Ein Streetfood-Anbieter füllt in Friedrichshain … | |
von Jana Tashina Wörrle | |
Leer getrunkene Kokosnüsse stehen auf den Stromkästen rund um den | |
Preußenpark und um die Mülleimer herum. Strohhalme ragen in den Himmel. | |
Parkbesucher schlürfen das Kokoswasser direkt aus den Früchten – ein | |
Trendgetränk. | |
Und auch das Drumherum ist Trend: Überall in dem Wilmersdorfer Park | |
brutzelt und kocht es, warmes thailändisches Essen dampft. Streetfood. Das | |
bedeutet: Menschen kochen unter freiem Himmel frische Gerichte und bieten | |
sie Vorbeikommenden an – ohne Restaurant und Kochausbildung, ohne | |
offiziellen Unternehmerstatus und ohne behördliche Genehmigung. Einfach, | |
weil es lecker ist und die Parkbesucher es lieben. Viel Gemüse und | |
Gebratenes aus dem Wok, Nudeln und Reis. Der Preußenpark ist schon lange | |
bekannt für das thailändische Essen, das man hier am Wochenende und | |
manchmal auch unter der Woche bekommen kann. | |
Streetfood geht aber auch anders in Berlin: auf extra dafür organisierten | |
Veranstaltungen oder in Foodtrucks. Streetfood ist angesagt und in Berlin | |
mittlerweile ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Zwar können | |
weder die Senatsverwaltung für Wirtschaft noch andere öffentliche Stellen | |
die Entwicklung bislang mit Zahlen belegen, doch die Szene wächst. | |
## Zahlen fehlen bislang | |
Vom wachsenden „Wirtschaftsfaktor“ spricht Berlins offizielles | |
Tourismusportal Visit Berlin. In den vergangenen Jahren sind viele | |
Unternehmen in Berlin gegründet worden, die Streetfood anbieten. Zudem | |
entwickelt sich ein Markt rund um diese kleinen Betriebe: Firmen, die bei | |
der Gründung helfen, die Veranstaltungen organisieren, bei denen Streetfood | |
angeboten wird, und die den Start-ups dann auch beratend zur Seite stehen, | |
wenn der nächste Schritt ansteht: weg von der Straße hin zum eigenen | |
Restaurant. | |
Genau das beschreibt die zweite Welle in Sachen Streetfood, die gerade über | |
Berlin rollt. Streetfood professionalisiere sich, sagt Stefanie Rothenhöfer | |
vom Food Entrepreneurs Club, einer der Beratungs- und Vernetzungsstellen | |
rund um Lebensmittel-Start-ups. | |
Dabei ist Berlin diesmal gar nicht Vorbild für andere, sondern umgekehrt. | |
Streetfood hat in vielen anderen Städten der Welt schon eine viel längere | |
Tradition – man denke nur an die vielen kleinen Buden in den Straßen | |
asiatischer Großstädte oder an New York oder London, wo sich Märkte und | |
Events mit kleinen, sehr internationalen Imbisswagen etabliert haben. | |
Streetfood hat sich als Geschäftsmodell für Solounternehmer, die ihre | |
Leidenschaft für gutes, aber einfaches Essen zum Beruf machen wollten, in | |
Deutschland in Städten wie Nürnberg oder Hamburg entwickelt. Das sind | |
Städte mit großen Gewerbegebieten und Firmen ohne eigene Kantinen – da sind | |
mittags die Mägen der Beschäftigten leer, der Bedarf nach einem leckeren, | |
schnellen Mittagessen ist da, geht aber zunehmend nicht mehr in die | |
ungesunde Richtung von Pommes und Pizza. | |
## Leere Mägen im Büro | |
Und an solche Orte ziehen seit Jahren immer mehr Foodtrucks. Sie sind zur | |
Mittagszeit vor Ort und bereiten in kleinen mobilen Küchen frisches Essen | |
zu – wie in einer klassischen Imbissbude. Mit dem Unterschied: Sie bieten | |
mehr als Pommes und Currywurst, und sie wechseln ihren Standort regelmäßig, | |
sodass beispielsweise am Montag der Truck mit Salat und veganen Burgern da | |
ist, dienstags der mit Kartoffelpuffern, und am Freitag gibt es Steaks und | |
Salat. | |
Da es in der Berliner Innenstadt kaum Orte gibt, an denen man mit | |
Restaurants, Cafés oder Imbissbuden unterversorgt ist, war der Druck für | |
die Entstehung einer solchen Szene hier nicht groß. Doch kein Trend ohne | |
Berlin. Und so haben sich die gründungswilligen Streetfoodler eben eine | |
eigene Szene dafür aufgebaut. | |
Ihren Kern bildete lange die Markthalle Neun in Kreuzberg. Hier gibt es an | |
Markttagen auch heute noch zahlreiche Stände mit dem unterschiedlichsten | |
Streetfood – und es gibt den Streetfood Thursday: Jeden Donnerstag zwischen | |
17 und 22 Uhr steht das komplette Angebot der Markthalle unter dem Motto | |
Streetfood, und die Besucher probieren sich durch Minibuletten, | |
Hauptstadtbarsch oder handgemachte Pasta. Auch Stefanie Rothenhöfers | |
Unternehmen hat in der Markthalle Neun seine Wurzeln. Mittlerweile ist sie | |
Gründerin des Food Entrepreneurs Club. | |
## Neue Streetfood-Hotspots | |
Neben der Thai-Wiese in Wilmersdorf als klassischer Variante und der | |
Markthalle Neun als dem Ort, an dem sich viele Streetfood-Anbieter zum | |
ersten Mal an Publikum gewagt haben, gibt es mittlerweile in Berlin noch | |
einige weitere Streetfood-Hotspots. | |
Jeden Sonntag rollen Foodtrucks auf das Gelände der Kulturbrauerei, | |
Freitagabend sind sie auf dem Gelände der Arena in Treptow zum „Bite Club“, | |
an jedem ersten Sonntag im Monat findet der Brunnenmarkt im Wedding statt, | |
samstags und sonntags der Foodmarket auf dem RAW-Gelände. Und das ist nur | |
eine Auswahl der Streetfood-Treffpunkte und Events – schließlich sind viele | |
Trucks und Stände auch auf Wochenmärkten zu finden oder werden für | |
Veranstaltungen gebucht. | |
So stehen etwa die selbsternannten „Pufferkonstrukteure“ Angelika | |
Thielemann und Alexander Boder von den „dollen Knollen“ mit ihrem Truck | |
samstags auf dem Neuen Markt am Südstern oder sie werden von Firmen oder | |
Privatleuten gebucht. Im Truck braten sie Kartoffelpuffer und servieren sie | |
mal mit geräuchertem Fisch und mal als Klassiker mit Apfelmus. | |
„Unsere Gerichte gibt es deshalb in einem Foodtruck, weil wir gern mit | |
verschiedenen Menschen Kontakt haben wollen“, sagt Angelika Thielemann. | |
Deshalb und weil mit einer Restaurantgründung ein hoher Kostenaufwand | |
verbunden ist, verkaufen die Pufferkonstrukteure lieber weiterhin aus dem | |
fahrbaren Untersatz heraus. „Der hiesige Streetfoodmarkt lebt von einem | |
riesigen Hype“, beschreibt Thielemann, was sich ihrer Meinung nach gerade | |
so tut in der Branche. Viele hätten sich in den vergangenen Jahren | |
ausprobiert, einige seien bereits wieder vom Markt verschwunden. | |
„Ein typischer Streetfood-Anbieter ist ein Quereinsteiger und geht anfangs | |
unternehmerisch eher ein geringes Risiko ein. Er braucht dazu wenige | |
finanzielle Mittel“, sagt auch Stefanie Rothenhöfer. Doch das sei nur der | |
erste Schritt. Als zweiten Schritt wagen es immer mehr, ein eigenes | |
Restaurant zu gründen. | |
Etwa „Hirsch und Eber“ mit ihrem Wild-Grill. Hat ihr Geschäft im Jahr 2014 | |
mit einem kleinen Verkaufsstand inklusive Kühlung und Grill begonnen, wurde | |
daraus erst ein komplett eingerichteter Foodtruck und nun ein eigenes Lokal | |
in Prenzlauer Berg. Am Truck halten die Streetfooder aber dennoch fest und | |
versorgen hungrige Wildfleischfans weiterhin auf Märkten und bei Events. | |
Vorbereitet wird aber alles in der Restaurantküche. „Eine stationäre Küche | |
brauchten wir schon, als wir noch kein Restaurant hatten. Und da kam dann | |
irgendwann der Gedanke auf, dass wir dann ja auch gleich beides kombinieren | |
können“, sagt Sebastian Ahrens von „Hirsch und Eber“. | |
Auch er erlebt, dass die Streetfood-Szene in Berlin durchaus anders tickt | |
als in anderen Städten, in denen es mehr um die Versorgung der arbeitenden | |
Bevölkerung an den Bürohäusern und in den Agenturvierteln geht. Hier sei | |
der Bedarf nach mehr mobiler Versorgung größer. Statt den Schritt zum | |
eigenen Restaurant zu wagen, setzten die Streetfood-Unternehmer deshalb | |
eher auf weitere Trucks – quasi mehrere fahrende Filialen. | |
## Konstante Nachfrage | |
Und während einige Streetfoodler aus den Anfangszeiten des Trends | |
mittlerweile fest etabliert sind – ob weiterhin im Truck oder im eigenen | |
Laden –, stehen laut Rothenhöfer viele neue in den Startlöchern: Sie erlebt | |
die Nachfrage als weiterhin konstant. Das Angebot ist es auch – und das | |
ganz ohne spezielle Förderung. | |
Rothenhöfer schlägt dennoch vor, dass der Senat die Streetfood-Gründer | |
unterstützen könnte – etwa indem er ihnen erlaubt, Foodtrucks und Stände | |
auf öffentliche Gelände zu stellen, ohne dafür eine Genehmigung beantragen | |
zu müssen. | |
Professionalisierung? Eigener Laden? An den Streetfood-HändlerInnen im | |
Preußenpark gehen diese Entwicklungen bislang vorbei. Hier ist und bleibt | |
es ursprünglich, mit Woks über dem Gasbrenner, Papayasalat aus der | |
Plastikschale und Strohhalmen, die in frisch geköpften Kokosnüssen stecken. | |
Gut besucht und lecker. | |
26 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Jana Tashina Wörrle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |