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# taz.de -- Duchamp schweigt auf Kuba
> Kongress Bei der Tagung des internationalen Kunstkritiker- verbands AICA
> im kubanischen Havanna diskutierte man Perspektiven für die Szene des
> Landes – zudem spiegelte sich der aktuelle Diskurs der gesamten Kunstwelt
> wider
Bild: Ins Netz gegangen: Street-Art in Havanna
von Uta M. Reindl
„Esto no es un café“ heißt das kleine Speiselokal in Alt-Havanna,
eingerichtet à la Magritte und mit Gerichten im Angebot, die von moderner
Kunst inspiriert sind – so „Klein Blau“ (Lamm mit Schimmelkäse) oder
„Duchamps Fountain“ (Schweinefilet an Gemüse, in einer Miniversion jenes
Urinals serviert). Mayrelis Peraza, Ex-Kuratorin des Centro de Arte
Contemporaneo Wilfredo Lam in Havanna, eröffnete vor zwei Jahren das
Restaurant, das den überbordenden Ideenreichtum der Kubaner geradezu
versinnbildlicht – auch deren mitunter waghalsige Erfindungen angesichts
der chronischen Mangelwirtschaft im Umbruch ihres Inselstaates.
„Neue Utopien: Kunst, Erinnerung und Kontext“ betitelte sich die
Jahreshauptversammlung des internationalen Kritikerverbandes Association
Internationale de Critiques d’Art (AICA) in Havanna – geradezu passend für
Ort und Zeitpunkt. Frei nach dem Motto „Utopia liegt im Horizont“ eröffnete
denn auch Marek Bartelik, der Präsident des 1951 gegründeten Weltverbandes
der Kunstkritiker, den 49. AICA-Kongress mitten in Kubas Hauptsaison.
Während der fünf Kongresstage, als allenthalben zwischen den Orten größter
Armut die einst prachtvollen, nun maroden Kolonial- und Art-déco-Häuser
eifrig restauriert wurden, gedachten die AICA-Versammlungen samt Referenten
und Zuhörern aus 25 Nationen der zahlreichen Baustellen in der
internationalen Kunstwelt. So plädierten die brasilianische
Kunsthistorikerin Cristina Freire und ihr britischer Kollege Michael
Ashbury für den deutlicheren Einbezug von ethnischen Artefakten in die
ansonsten der westlichen Kunst vorbehaltenen Museen. Kubas AICA-Präsident
David Mateo sprach sich energisch für eine Öffnung Kubas aus, die mit einer
Öffnung der Welt für Kuba einhergehen möge.
## Mehr Beschreibung, mehr Realismus
Eine Tour d’horizont durch die feministische Kunst und über die in der
globalen Museenlandschaft unterrepräsentierten Frauen bot die britische
Kunsttheoretikerin Hillary Robinson. Der US-Kritiker Robert Storr sprach
dezidiert über den Kritikerdiskurs, forderte hier mehr Beschreibung, mehr
Realismus, vor allem eine klarere Ausrichtung auch auf den kunsthistorisch
weniger gebildeten, aber nicht minder interessierten Leser. „Kritiklos für
eine kritische Analyse“ empfand Marie Luise Syring, die Präsidentin der
deutschen AICA-Sektion, viele der Ausführungen zu jenem Utopia.
Vor allem die prekäre Situation der Kunstkritikerinnen und Kunstkritiker,
die wachsende wirtschaftliche und politische Zensur in der globalen
Kunstkritik kam zu kurz – Letzteres mit einer knappen Solidaritätsadresse
an die türkischen Journalistenkollegen. Auf den international
spektakulärsten Fall von Kunstzensur in Kuba bezogen sich einige Referenten
nur vage: auf die in New York lebenden kubanischen Performerin und
Installationskünstlerin Tania Bruguera, die sich 2014 in Havanna mit einem
Ausstellungsverbot sowie einem Passentzug konfrontiert sah.
Ein solches Verbot würde das Künstlerkollektiv Los Carpinteros wohl kaum
treffen, da das von der Schweizer Galerie Kilchmann vertretene Künstlerduo
schon längst international etabliert und sozusagen auf der sicheren Seite
ist. Dies erschloss sich bei den von der AICA-Sektion Kubas arrangierten,
sehr aufschlussreichen Rundgängen durch Havannas Kunstszene nach den
Sitzungen. Die Kunst der in Kuba und Madrid lebenden Los Carpinteros gab es
gleich auf mehreren Etagen eines Mehrfamilienhauses zu sehen, ähnlich wie
bei dem nicht minder prominenten wie weltläufigen Kubaner Carlos Garaicola,
der ebenfalls zwischen den Kapitalen Kubas und Spaniens pendelt.
Für die junge Kunst gibt es durchaus etliche öffentliche Räume in der
Stadt, so etwa die staatlich finanzierten Galerien, vor allem – wie ein
Abstecher im Kongress-Beiprogramm erwies – die Factoría Habana in der
Altstadt. Dort bot das für seine hochkarätigen Ausstellungen bekannte Haus
auf drei Etagen die Themenschau „El silencio de Duchamp“ (Das Schweigen
Duchamps) mit kubanischen Künstlern. Fünf der sechs Kunst- und
Kulturstiftungen Kubas sind staatliche Einrichtungen, eine weitere wird von
der Ludwig-Stiftung mit Sitz in Aachen finanziert. In den oberen Etagen
eines Hochhauses in El Vedado offeriert die 1994 noch von Peter Ludwig
persönlich gegründete Stiftung jungen Kubanern kurzfristige
Ausstellungsmöglichkeiten, vermittelt Artist-in-Residence-Programme,
interdisziplinäre Workshops mit Studierenden aus den USA sowie auch eine
lokale Internetbörse für junge Leute aus Havana.
## Con internet yo puedo
Denn ein stabiler Internetzugang ist die große Utopie in Kuba, weshalb sich
die Kubaner an Hotspots der großen Hotels tummeln, um dort oft stundenlang
ihre Korrespondenz zu erledigen. So auch im Innenhof des staatlichen Muséo
Orgánico Romerillo, wo an der Wand neben dem Atelier des kubanische
Künstlers Kcho die Abwandlung des Obama-Ausspruchs geschrieben stand: „Con
internet yo puedo“ („Mit Internet kann ich“).
Der AICA-Kongress in der Metropole Kubas mündete in einer ausführlichen
Präsentation der 1984 gestarteten Havanna-Biennale, die für die
internationale Vernetzung der dortigen Kunstszene immer bedeutender wird.
Doch sehr beeindruckten am Ende sodann die zahlreichen Würdigungen von
Nachwuchskritikern und -kuratoren, wie sie in anderen AICA-Sektionen nicht
so herzlich ausfallen dürften.
25 Oct 2016
## AUTOREN
Uta M. Reindl
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