# taz.de -- Auf ihn kann man zählen | |
> Mathe-Genie Der Berliner Gymnasiast Branko Juran hat bei der 57. | |
> Internationalen Mathematik-Olympiade in Hongkong Bronze geholt. Der | |
> 17-Jährige trainiert bereits für die 58. Ausgabe in Rio de Janeiro. Nach | |
> dem Abitur will er studieren – natürlich Mathe | |
Bild: Hat Spaß an kniffligen Aufgaben: Branko Juran war bei der Internationale… | |
von Michael Thiele | |
„Die sechste Aufgabe war super elegant und hatte eine wunderschöne Lösung�… | |
schwärmt Branko Juran. „Nur wenige Schüler haben sie überhaupt geschafft. | |
Sie war megaschwer! Aber wenn man die Lösung hinterher erfährt, erschließt | |
sich einem alles ganz leicht.“ | |
Die Aufgabe, von welcher der 17-jährige Schüler aus Berlin spricht, war die | |
letzte bei der 57. Internationalen Mathe-Olympiade (IMO), an der Branko | |
Juran als einer von sechs Deutschen teilgenommen hat (siehe Kasten). Am | |
Ende hat Juran eine Bronzemedaille gewonnen. | |
Doch zurück zur Aufgabe sechs. Denn während diese bei Juran für | |
leidenschaftliche Hingabe sorgt, dürfte sie bei 99 Prozent aller Menschen | |
ratloses Kopfschütteln, wenn nicht gar Kopfschmerzen hervorrufen. Was ist | |
denn schön an einer komplexen mathematischen Aufgabenstellung? | |
Juran lacht: „Nehmen wir zum Vergleich die erste Aufgabe vom ersten Tag, | |
eine Geometrieaufgabe mit Winkeln und Streckenverhältnissen. Eine | |
Standardaufgabe: konstruiert, mit einer netten Lösung, kann man machen.“ | |
Aber die sechste, die sei schön gewesen, vor allem weil sie eine ganz | |
„leichtfüßige Beschreibung“ habe. Sie lautet: „In der Ebene seien n ≥… | |
Strecken so gegeben, dass sich je zwei Strecken kreuzen und keine drei | |
durch einen gemeinsamen Punkt verlaufen. Lisa soll von jeder Strecke einen | |
ihrer Endpunkte auswählen und dort einen Frosch so hinsetzen, dass er zum | |
anderen Endpunkt blickt. Dann wird sie n − 1 mal in die Hände klatschen. | |
Jedes Mal, wenn sie klatscht, springt jeder Frosch sofort vorwärts auf den | |
nächsten Schnittpunkt auf seiner Strecke. Die Frösche wechseln nie die | |
Sprungrichtung. Lisa möchte die Frösche so hinsetzen, dass sich niemals | |
zwei Frösche gleichzeitig auf dem gleichen Schnittpunkt befinden. (a) Man | |
beweise, dass Lisa dies immer erreichen kann, wenn n ungerade ist. (b) Man | |
beweise, dass Lisa dies niemals erreichen kann, wenn n gerade ist.“ | |
## Faszination für Zahlen | |
Auch wenn es Juran nicht gelungen ist, sie zu lösen, hat er doch drei von | |
sechs Aufgaben geschafft, und zwar Nummer eins, zwei und vier. Genauso | |
hatte er es erwartet, schließlich kennt er die Aufgaben aus den | |
vorangegangen Jahren und damit das Anforderungsniveau. | |
Wenn man so will, hat er sich sein halbes Leben auf die IMO vorbereitet, | |
und angefangen hat alles in der dritten Klasse. „Damals habe ich bei der | |
Bezirksrunde der Mathe-Olympiade mitgemacht, und zwar für die fünfte Klasse | |
– und habe gewonnen“, erzählt der Schüler. „Da dachte ich, ‚Hm, du bi… | |
wirklich nicht schlecht.‘“ | |
Für den jungen Mann, der „schon immer eine gewisse Faszination für Zahlen“ | |
hatte, war das ein Schlüsselerlebnis. Von nun an nahm er am | |
Mathe-Unterricht in höheren Jahrgängen teil, ging schon als Drittklässler | |
bereits in die sechste. | |
Doppelunterricht hat er bis heute. Momentan belegt Juran zwei Mathe-Kurse, | |
auch bekommt er zusätzliche Aufgaben gestellt. Dass seine Schule, das | |
Heinrich-Hertz-Gymnasium in Friedrichshain, ohnehin einen | |
mathematisch-naturwissenschaftlichem Schwerpunkt hat – weshalb das Niveau | |
über die Abitur-Anforderungen hinaus geht –, rundet das Bild vom | |
Mathe-Ausnahmetalent ab. | |
## Lehrer fragen um Rat | |
Können ihm seine Lehrer noch etwas beibringen, hält er sie überhaupt für | |
kompetent? „Auf jeden Fall“, antwortet Juran. Auch wenn es schon | |
vorgekommen sei, dass Lehrer ihn um Rat fragten. | |
Zur schulischen Förderung kam die universitäre. Mehr als sechs Jahre hat | |
der Gymnasiast die Kurse der Mathematischen Schülergesellschaft Leonhard | |
Euler (MSG), die bei der Mathe-Didaktik der Humboldt-Universität zu Berlin | |
(HU) angesiedelt ist, belegt. | |
Seit 1970 werden hier Interessierte und Begabte gefördert. In wöchentlichen | |
Kursen für die Jahrgänge 5 bis 13 kommen Themen zur Sprache, die an den | |
Schulstoff angelehnt sind. Wenn es etwa in der Schule zum Beispiel um das | |
Berechnen natürlicher Zahlen geht, dann werden hier die Axiome (ein | |
Grundsatz einer Theorie – Anm. d. Red.) derselben diskutieren. Ein vor | |
allem bei den Kleinen gern genutztes Angebot, wie sich an den | |
Teilnehmerzahlen erkennen lässt: In den unteren Jahrgängen gibt es fünf | |
Kurse mit je 20 Schülern, in den höheren noch ein bis zwei Kursen. | |
Zum Großteil sind die Schüler männlich, wie Juran berichtet, in seinem Kurs | |
hätten zuletzt ein Mädchen und sechs Jungs gesessen. Auch bei der MSG hat | |
er übrigens Stufen übersprungen, als Drittklässler nahm er bereits am Kurs | |
für Fünftklässler teil. Auch später war er nie im offiziellen | |
Schuljahrgang. Schließlich erhielt er Einzelförderung. | |
Zunächst coachten ihn die HU-Mathematiker Ingmar Lehmann, Privatdozent, und | |
Konrad Gröger, Professor im Ruhestand; im Herbst 2014 hat Dr. Alexander | |
Fauck, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Campus in Adlershof, übernommen. | |
Wie Juran erklärt, gingen die Inhalte inzwischen weit über den Schulstoff | |
hinaus. „Wir diskutieren Uni-Aufgaben, im Wesentlichen ist es | |
Mathe-Theorie. Auch mit der Mathe-Olympiade hat das nur bedingt etwas zu | |
tun.“ | |
Apropos Olympiade. Branko Juran, der mit der Bronzemedaille zufrieden, aber | |
nicht hundertprozentig glücklich wirkt – „es ist gut, wie es gelaufen ist, | |
eine Medaille hatte ich mir ja vorgenommen“ –, trainiert längst für die I… | |
2017 in Rio de Janeiro. „Ich will es auf jeden Fall wieder versuchen. Ich | |
kenne auch niemanden, der nicht noch einmal angetreten ist“, begründet er | |
seinen Entschluss. | |
Mit dem langwierigen Qualifikationsprozess ist er derweil vertraut. Auf | |
Bundesebene gilt es einen Mathe-Preis zu gewinnen, es folgen etliche | |
Klausuren und Seminare. Ob auf Ebene der VAIMO, der Vorauswahl zur Auswahl | |
der IMO, oder der AIMO, der eigentlichen Auswahl – überall wird kräftig | |
ausgesiebt. Insgesamt dauert dieser Prozess ein Jahr. Im November stehen | |
die nächsten Prüfungstermine an, bevor im Januar die eigentliche | |
Vorbereitung beginnt. | |
## Im Gespräch mit der Welt | |
Aber es ist nicht nur die Mathematik, die ihn zur erneuten Teilnahme | |
bewegt, sondern auch der Austausch mit den anderen Schülerinnen und | |
Schülern. So erzählt er begeistert, mit wie vielen verschiedenen Menschen | |
er in Hongkong ins Gespräch gekommen sei. | |
„Mit den Briten habe ich über den Brexit gesprochen, mit den Syrern über | |
den Krieg.“ Eine intensive, durchaus politische Erfahrung sei das gewesen. | |
Nur mit den Koreanern habe er sich nicht unterhalten. Warum nicht? „Ich | |
glaube, die konnten kein Englisch.“ | |
Nicht zuletzt die frischen Reiseeindrücke motivieren ihn. „Ich war zum | |
ersten Mal in Hongkong, eine megaspannende Stadt. Ich war schon in New | |
York, dort gibt es auch überall Wolkenkratzer, aber in Hongkong kommt noch | |
eine ganz andere Kultur dazu“, sagt Juran und erinnert sich an das | |
tropische Klima. „In den ersten Tagen sind wir Deutschen fast gestorben – | |
35 Grad, dazu die hohe Luftfeuchtigkeit und der Smog!“ | |
Nach der Olympiade war Erholung angesagt. Die letzten Sommerferien nutzte | |
Juran unter anderem für Urlaub in Kroatien, für einen Trip mit seinen | |
Freunden zu einem Festival in Baden-Württemberg und dies und das – er sei | |
da ziemlich spontan, plaudert der sonst so planvoll agierende Mathe-Profi. | |
In jedem Fall wird er nach dem Abitur 2017 Mathe studieren. Und Berlin wohl | |
verlassen. „Ich gehe wahrscheinlich nach Bonn, weil dort die Reine | |
Mathematik sehr gut aufgestellt ist.“ | |
21 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Thiele | |
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