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# taz.de -- Ein Gespenst im Schlachthof
> Performance Mit ihrem Festival „For H. M.“ würdigen junge PerformerInnen
> den Dramatiker und Dichter Heiner Müller – mit recht freiem Zugriff auf
> seine Texte
Bild: Wirklichkeit unmöglich machen – oder mindestens erst mal vernebeln: Ma…
von Pia Siber
Ein moosgrüner Fallschirm ist das Erste, was einem in der Performance „Wald
Tier“ vom Kollektiv Danaehelios begegnet. Er liegt ausgebreitet da, die
Performerin Mona Louisa-Melinka Hempel darunter, bewegt sich langsam. Sie
kämpft tänzerisch gegen das große grüne Tuch. Der Fallschirm ist vielleicht
der Waldboden, dann der ganze Wald – der Feind? Hempel sagt, es gehe darum,
„an einem Ort überrascht zu werden, und dann damit zurecht zu kommen wo man
ist“ und dass sie ein Gefühl der Parallelität erzeugen wolle.
Ihr Stück basiert auf dem Text „Herakles 2 oder die Hydra“ von Heiner
Müller, ist der Auftakt eines Dreiteilers und wird im Rahmen des
Performance Festivals „For H. M.“ im Schlachthof uraufgeführt. Müller
erzählt vom mythologischen Kampf Herakles’gegen die Hydra. Auch Müllers
Hydra ist der Wald selbst und wird übergroß: Es nagen Zweifel, ob der
Waldboden nachgibt oder ob die Füße des Schreitenden von ihm angesaugt
werden.
Kämpfen muss auch Hempel in ihrer Performance: gegen innere und äußere
Einflüsse, gegen die Welt und gegen sich selbst. Ihr kraftvolles Spiel
allein mit diesem Fallschirm ist außerordentlich fesselnd.
Die Künstler möchten Heiner Müller wieder nach Bremen bringen, „ohne den
Leuten einfach seine Texte vor die Füße zu werfen“. Ein gänzlich
Unbekannter ist Heiner Müller freilich auch in Bremen nicht, doch sind
hiesige Inszenierungen des bedeutenden Dramatikers tatsächlich eine
Seltenheit. Müller sei wie ein Gespenst, sagt Calendal Klose vom
Danaehelios-Kollektiv: „Jeder kennt ihn irgendwie, aber dann eben doch
keiner so genau.“
In Müllers Werken begegnen einem immer wieder der Krieg, der Verrat und der
Kampf. Er fragt, wie die Rolle des Einzelnen im Getriebe der Welt ist und
wie sich der einzelne Mensch in dieses System einfügt. In der „Mülheimer
Rede“ heißt es: „Am Verschwinden des Menschen arbeiten viele der besten
Gehirne und riesige Industrien. Das erhellt die Notwendigkeit der Kunst als
Mittel, die Wirklichkeit unmöglich zu machen.“ Diese Forderung an die Kunst
hat sich das Festival programmatisch vorangestellt.
Junge Performance-Künstler aus Bremen, Leipzig und Gießen erarbeiteten die
Stücke für das Festival mit Bezug auf Texte von Heiner Müller. Sie
transportieren die Werke in die Gegenwart. Das Festival ist bewusst keines
„über“ oder „von“ Heiner Müller, sondern „für“ ihn. Denn es werd…
seine Stücke aufgeführt, sondern es soll die Aktualität seiner Gedanken
verdeutlicht werden.
Heiner Müller verarbeitet in seinen Texten Erfahrungen mit dem Zweiten
Weltkrieg, dem Scheitern von politischen Systemen, der deutschen Teilung
und Wiedervereinigung. Er schreibe mit der Angst vorm Vergessen des
Nachkriegsdeutschlands. Er prophezeite Mauern an den europäischen
Außengrenzen und sorgte sich um die Zukunft Europas. „Die Gedanken der
jungen Künstler treffen auf die schweren Texte von Heiner Müller“, sagt
Klose. Die eigenen Erfahrungen und Meinungen verbinden sich mit denen
Müllers.
Und das kann mitunter auch aus großer Ferne geschehen: In einem der Stücke,
einer dokumentarischen Performance, werden die Zuschauer in das Nachtleben
Leipzigs mitgenommen. Die Künstler haben verschiedene Interviews mit
„Nachtmenschen“ geführt und auch ihre eignen Erlebnisse in das Stück
einfließen lassen. Sie sprachen mit Schichtarbeitern, Partygästen und
Nachteulen und malen so ein Bild der nächtlichen Stadt. „Die Großstadt ist
ein Ort, an dem Leiden aufeinandertreffen“, sagt Klose. Und genau dieses
Leid finde man auch bei Heiner Müller. Außerdem sei der ja auch ein
Nachtmensch gewesen.
Die Idee, verschiedene Performances zu einem Festival in Bremen zu
vereinen, ist nach und nach entstanden. Die Stücke existierten zum Teil
bereits, nur „Wald Tier“ wurde speziell für das Festival entwickelt – im
Rahmen einer Residenz im Theater Schlachthof.
Es soll ein Raum entstehen, in dem sich Darsteller und Zuschauer, Bühne und
Sitzreihen vermischen. Zwischendurch wird es Pommes-Pausen für alle geben,
um sich von der Schwere der Themen zu erholen. Und nach den Darstellungen
bleibt das Ende offen. „Jeder soll selbst entscheiden, wann er gehen
möchte“, sagt Hempel – oder eben bleiben, „um noch weiterzutanzen“.
„For H. M.“: 29. und 30. Oktober, 19 Uhr, Theater Schlachthof
29 Oct 2016
## AUTOREN
Pia Siber
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