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# taz.de -- Das staubige Image loswerden
> Schule Vergangene Woche hat Bildungsministerin Johanna Wanka 5 Milliarden
> Euro für die digitale Ausstattungim Unterricht angekündigt. Damit könnten
> Projekte wie das mBook gefördert werden – doch damit allein ist es nicht
> getan
Bild: So könnte er aussehen, der digitale Unterricht
von Judith Freese
Der schlaksige Junge in geflickten Hosen zeigt den Siebtklässlern vom
Attendorner Gymnasium, wie der Zweite Weltkrieg sein Leben verändert hat,
wie seine Familie mit Angst und Hunger umgeht. Max ist eine auf Karton
gezeichnete Figur und Protagonist kurzer animierter Lernfilme. Er ist so
alt wie die Schüler und taucht im Laufe des Schuljahres häufiger im
Unterricht auf.
Im Computerraum des Rivius-Gymnasiums im westfälischen Attendorn sitzen die
Schüler je zu zweit vor einem Computer und arbeiten mit ihrem mBook – einem
digitalen Schulbuch, das in einem Browserfenster Texte, Videos und
Audiodateien darstellt. „Heute arbeitet die Mehrheit der Lehrer bei uns
damit“, sagt Geschichtslehrerin Wiebke Boecker.
## Ministerin im Unterricht
Das Gymnasium ist eine von vierzig Pilotschulen in Nordrhein-Westfalen, an
denen das mBook im Geschichtsunterricht verwendet wird. Wissenschaftler der
Universität Eichstätt haben es für die Klassen 5 bis 9 entwickelt – auch
für andere Schulformen. Das Projekt startete in Belgien, dann beauftragte
die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf eine an den Lehrplan angepasste
Version. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) saß schon mal bei
Boecker im Unterricht. Neben dem mBook gibt es in NRW ein ähnliches
digitales Projekt für den Biologieunterricht. In Bayern wurden erst vor
Kurzem Unterrichtsbücher in digitaler Form zugelassen.
Laut einer aktuellen Umfrage des ZukunftsMonitors wünschen sich neun von
zehn Deutschen mehr digitalen Schulunterricht. Herausgeber des Monitors ist
das Bildungsministerium. Dazu passend hat Bildungsministerin Johanna Wanka
(CDU) soeben ihre „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“
vorgestellt. Fünf Milliarden Euro, verkündete Wanka ohne Wissen der
Kultusminister vergangene Woche, will der Bund bis zum Jahr 2021 in die
digitale Ausstattung der Schulen investieren. Teilt man dieses Geld durch
die 40.000 Schulen im Land, bleiben im Jahr pro Schule 25.000 Euro übrig.
Zu wenig, kritisiert der Bundesverband Medien und Marketing. Und der
Deutsche Lehrerverband würde das Geld lieber in die Sanierung von Schulen
stecken und beim altbewährten Printbuch bleiben.
„Das Wissen aus Büchern wird nachhaltiger aufgenommen“, sagt
Verbandspräsident Josef Kraus der taz. Schüler neigten zur Bequemlichkeit.
Wenn sie nach einem Begriff suchen können, glaubt Kraus, lesen sie nicht
den ganzen Text. Wenn Videos den Anschauungsgrad von Lernstoff
unterstützen, sei er aber nicht abgeneigt.
So richtig kann sich also niemand mehr gegen die Digitalisierung sträuben.
Den ersten Platz beim Deutschen Lehrerpreis machten in diesem Jahr
Physiklehrer Patrick Bronner und seine Kollegen vom Freiburger
Friedrich-Gymnasium für ihr Projekt „Smartphones im Unterricht“. Bronners
Schüler nutzten ihre Smartphones unter anderem als Messgerät für
Radioaktivität oder berechneten damit die Flugbahn von Schokoküssen. Auch
der Einsatz von Virtual Reality in verschiedenen Unterrichtsfächern wird
von Konzernen wie Google und Samsung zurzeit getestet.
Für Wiebke Boecker, deren Schüler mit dem mBook heute digital lernen,
verliert das Fach Geschichte zunehmend seinen staubigen Charakter – das
typische Auswendiglernen fällt weg. Schüler können sich historische Reden
anhören und anhand von Propagandavideos lernen, wie Bürger auf Staatslinie
gebracht werden sollten.
## Motivierte Schüler – auch ohne Tablets
Neu ist auch, dass die Schüler über die didaktischen Formate aufgeklärt
werden. Am Anfang jedes Kapitels erklären die Autoren in Interviews, was
sie sich dabei gedacht haben. „Vorher haben die Schüler den Inhalt des
Geschichtsbuchs einfach als Wahrheit hingenommen“, sagt Boecker. Vor allem
ältere Schüler motiviert das digitale Lernen, beobachtet die
Geschichtslehrerin. „Am Ende des Schuljahres bin ich oft erstaunt, wie viel
sie noch wissen. Manche arbeiten sogar freiwillig voraus.“
Dennoch läuft der Einsatz des mBooks noch nicht optimal. Die Schule hat zu
wenige Computer, Tablets gibt es nicht. Und auf den Smartphones der Schüler
ist das Display zu klein, um damit sinnvoll arbeiten zu können. Zudem setzt
das mBook voraus, dass Schüler zu Hause einen Internetzugang haben – sonst
können sie keine Hausaufgaben machen. Die technischen Mängel, die die
Wanka-Milliarden möglicherweise beheben können, sind aber nicht die einzige
Hürde für mehr digitales Lernen an Schulen.
Laut der Studie „International Computer and Information Literacy Study“
(ICILS) von 2012 ist neben der Ausstattung auch die Medienkompetenz der
deutschen Schüler unterdurchschnittlich. Die meisten seien zwar Profis im
Umgang mit Smartphones, könnten aber nicht Programme wie Word oder Excel
bedienen, beobachtet Lehrerin Boecker.
Andererseits sind auch viele Lehrkräfte nicht für den Einsatz neuer Medien
geschult. Nur in NRW ist Medienkompetenz ein Pflichtfach im
Lehramtsstudium. Deshalb hat Bildungsministerin Wanka das Geld an eine
Bedingung geknüpft: Damit die 5 Milliarden fließen, müssen die Länder dafür
sorgen, dass mediale Lernkonzepte Einzug in die Lehrpläne halten und
gleichzeitig Lehrer mit den notwendigen didaktischen Fähigkeiten
ausgerüstet werden.
Darauf hofft auch Florian Sochatzy. Der Leiter des Instituts für digitales
Lernen in Eichstätt hat das mBook mitentwickelt. Er glaubt, dass momentan
noch zu wenige Lehrkräfte Fortbildungsangebote wahrnehmen. Wenn selbst
Referendare kaum digitale Medien im Unterricht einsetzten, bedeute das für
das mBook: „Es ist noch nicht massentauglich“.
Daran allein liegt es aber nicht. Die Lehrer sind in der Gestaltung des
Unterrichts sehr frei. Das mBook, verrät Lehrerin Wiebke Boecker, gefällt
einigen Kollegen nicht. Das ist vor allem – eine Generationenfrage.
19 Oct 2016
## AUTOREN
Judith Freese
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