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# taz.de -- Rente im Verteilungskampf
> Altersversorgung Nach den Wahlerfolgen der AfD hat die Große Koalition
> die Themen Rente und Altersmut neu entdeckt. Ihre Politik ändert sie aber
> nicht
von Ursula Engelen-Kefer
Ein Jahr vor den Bundestagswahlen im kommenden Jahr haben die
Groko-Parteien CDU/CSU und SPD die Themen Altersarmut und Rentenpolitik
wiederentdeckt. Nach den Wahlschocks der jüngsten Landtagwahlen blicken sie
wie das Kaninchen auf die Schlange Alternative für Deutschland (AfD). Dabei
geht es zwar vordergründig um die Ablehnung der Flüchtlingspolitik, bei
tieferer Betrachtung jedoch um Ärger bis Wut über die sozialen
Ungerechtigkeiten.
Bei 20 Millionen Rentnern mit ihrer hohen Wahlbeteiligung ist der amtlich
bestätigte massive Anstieg der Altersarmut eine politische Zeitbombe. Der
Verteilungskampf zwischen solidarischer gesetzlicher Rentenversicherung und
kapitalgedeckter Alterssicherung geht damit in eine neue Runde. Unter der
Tarnkappe des Generationenkonflikts werden der gesetzlichen
Rentenversicherung weitere finanzielle Mittel entzogen und in die Kassen
der privaten Finanzbranche sowie in den Bundeshaushalt umgeleitet. Versehen
ist dies mit dem Segen der christlich-sozialen Regierungskoalition.
Verkündet wird ein Anstieg der Beiträge als angeblich unausweichliche Folge
für die Aufbesserung der gesetzlichen Altersrenten. Über die erheblichen
finanziellen Spielräume durch Einbeziehung aller Erwerbstätigen sowie
Erhöhung des Steueranteils insbesondere zur Finanzierung der
milliardenschweren Mütterrente herrscht dagegen Funkstille.
## Haltelinie beim Rentenniveau mit Haken und Ösen
Nun muss es die zuständige Bundesministerin für Arbeit und Soziales
richten. Auch Andrea Nahles hat sich bereits lautstark geäußert. Beim
Abfall des Rentenniveaus müsse eine Haltelinie eingezogen werden. Die
„frohe“ Botschaft für derzeitige und zukünftige Rentner hat allerdings
erhebliche Haken und Ösen. So wird die Rentenspirale per Gesetz von
ursprünglich etwa Dreiviertel des Nettoeinkommens auf bereits jetzt weniger
als die Hälfte stetig weiter nach unten geschraubt. Damit ist das Kernstück
der dynamischen lohnbezogen Altersrente, Anstieg der Renten gemäß den
Lohnzuwächsen und damit Erhaltung des Rentenniveaus, längst zerfleddert.
Die hohen Kosten für eine Verbesserung des Rentenniveaus sei den jüngeren
Generationen der Beitragszahler nicht zumutbar und gefährde
Wettbewerbsfähigkeit sowie Beschäftigung, lautet das jahrzehntealte Lamento
aus Bundesregierung und Wirtschaft. Die Arbeitgeberverbände setzen noch
eins drauf: Einer Haltelinie bedarf es vor allem bei den Rentenbeiträgen.
Sie sind per Gesetz auf 20 Prozent 2020 und 22 Prozent 2030 gedeckelt. Aus
dem Nahles-Ministerium wird die Altersarmut mit dem „Faktencheck“
heruntergespielt: Derzeit sind nur 3 Prozent der Rentner auf Grundsicherung
im Alter angewiesen, da ihre Rente zum Leben nicht reicht.
Dabei ficht die Arbeitsministerin nicht an: Rentner mussten seit der
Jahrtausendwende bereits einen Kaufkraftverlust von etwa einem Fünftel
hinnehmen. Selbst amtliche Berichte weisen auf die dramatisch wachsende
Altersarmut in den nächsten Jahren. Dies gefährdet die Alterssicherung
gerade für die Jüngeren und damit das Vertrauen in die über Pflichtbeiträge
finanzierte gesetzliche Rentenversicherung.
## Fortsetzung des Dreisäulenmodells in der Alterssicherung
Mit einem statistischen Befreiungsschlag versucht die
Bundesarbeitsministerin, der Rentenfalle zu entkommen. Bislang erfolgten
die Festlegungen von Renten und Beiträgen bis zum Jahr 2030. Bei
Fortschreibung darüber hinaus wird ein weiterer drastischer Abfall des
Rentenniveaus deutlich. Hier müsse nun die Haltelinie eingezogen werden,
über deren Höhe sie sich jedoch zunächst nicht äußern wolle. Allerdings
kündigt sie bereits jetzt weitere Erhöhungen der Beiträge an. Klar ist
jedenfalls, die Haltelinie und damit das Rentenniveau werden in jedem Fall
deutlich niedriger sein als heute. An die Wiederherstellung einer
Altersrente, die den Lebensstandard sichert, ist schon gar nicht zu denken.
Altersarmut bis weit in die Mitte der Gesellschaft ist damit programmiert.
Dafür wird das sogenannte Dreisäulenmodell weiter fortgesetzt:
Lebensstandardsicherung gibt es danach nur mit betrieblichen und privaten
Zusatzrenten. Bei der betrieblichen Alterssicherung ist bereits der
Kompromiss mit dem Bundeskanzleramt, dem Bundesfinanzminister und auch den
Tarifparteien in trockenen Tüchern. Die beitrags- und steuerfreie
Entgeltumwandlung für Betriebsrenten wird auf bis zu 7 Prozent vom
Bruttoeinkommen fast verdoppelt. Für kleinere Betriebe und Geringverdiener
soll es zusätzliche finanzielle Förderung geben. Darüber hinaus werden auch
die Bedingungen für die dritte Rentensäule, die privaten Riesterrenten,
verbessert, obwohl deren Scheitern kaum zu verbergen ist. Dass hierdurch
der Rentenversicherung erhebliche Beiträge und Steuern entgehen, die für
ihre nachhaltige Sicherung dringend erforderlich wären, spielt
offensichtlich keine Rolle.
## Patchwork-Rentenreformen gehen weiter
Die Bekämpfung der weiter wachsenden Altersarmut als unerledigte Forderung
aus der Koalitionsvereinbarung wird ebenso wie die angekündigte umfassende
Rentenreform in den Wahlkampf gezogen und auf die nächste Legislaturperiode
verschoben. Die seit Jahren überfällige Angleichung der Ostrenten an das
Westniveau scheitert trotz Koalitionsvereinbarung an der Weigerung von
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, dies zu finanzieren. Dafür greift
er für seine wahltaktische „schwarze Null“ im Bundeshaushalt immer
ungenierter in die Sozialkassen. Für weitere Irritation sorgt erneut der
bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der jetzt die Angleichung der
Ostrenten von einer weiteren milliardenschweren Aufbesserung der
Mütterrenten abhängig macht.
Fazit: Anstelle der Wiederherstellung der solidarischen Alterssicherung
gehen Klientelpolitik und Patchwork Reformen weiter, wie zuletzt auch die
Flexirente. Damit können die gravierenden Lücken bei der sozialen
Gerechtigkeit und letztlich auch die politischen Spielräume für die AfD
nicht geschlossen werden.
18 Oct 2016
## AUTOREN
Ursula Engelen-Kefer
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