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# taz.de -- zwischen den rillen: Alles Blut aus den Songs saugen
JENNY HVAL: „BLOOD BITCH“ (SACRED BONES/CARGO)
Im sechsten Song ihres neuen Albums „Blood Bitch“ spricht Jenny Hval
endlich Klartext: „It’s about vampires“, beantwortet damit auch die Frage,
wovon ihr neues Album handelt. Die Fragende reagiert mit glucksendem
Lachen: „It’s so basic.“
Ganz daneben trifft diese Selbsteinschätzung des neuen Werks der Norwegerin
nicht. Doch gleichzeitig ist es komplizierter, war doch Banales bis anhin
nicht gerade die Kernkompetenz der Künstlerin aus Oslo. Hval schlüpfte in
ihren Performances bisher in wechselnde (Gender-) Rollen und griff damit
die Komplizenschaft von männlicher Herrschaft und Kapitalismus an.
In „Innocence is Kinky“ deklarierte sie etwa ihre Liebe zu
Internetpornografie und formulierte daraus eine Erklärung für sexuelle
Unabhängigkeit, in „Meshes of Voice“ verbündete sie sich mit der
Musikerkollegin Susanna und in „Apocalypse, Girl“ (2015) fragte sie: „What
is soft dick rock?“ und ließ statt einer Antwort eine verwirrende Lücke.
Auch mit „Blood Bitch“ inszeniert sich die 36-Jährige als rastlose
Künstlerin. Doch diesmal glückt ihr die Verzahnung von konzeptuellem
Überbau und Pop nicht ganz. Die Musik klingt nicht nur der fiependen
Elektronik wegen wie die Tonspur eines trashigen Horrorfilms: Erst kriecht
Vampirin Hval in „Ritual Awakening“ aus ihrer Gruft. In „Female Vampire“
hastet sie zu pulsierendem Synthie und Langstrecken-Beat durchs Gelände,
kunstfertig geht der galoppierende Takt in rhythmisches Keuchen über. In
„Conceptual Romance“ eröffnet uns die Blutsaugerin, woran sie wirklich
krankt: Liebe in Zeiten des Spätkapitalismus. Untermalt ist ihr Kummer von
wummernden Synthesizern. Erst „Untamed Region“ lässt aufhorchen:
Bleistiftgekritzel als Percussion, sphärische Keyboard-Sounds und Hvals
ätherische Stimme öffnen den Raum für eine bluttriefende Geschichte. In
„The Great Undressing“ schließlich erklärt Hval zu spacig schwirrenden
Synthesizerhooks: „Like capitalism / It works like unrequited love that way
/ It never rests.“
## Drei Spielverderber
Mit der „Blood Bitch“ („Bluthündin“) im Titel ergibt sich daraus ein
thematisches Dreigestirn aus Vampirismus, selbstzerfleischender Liebe und
Kapitalismus. Den einen Spielverderber kann man jeweils durch den anderen
austauschen, suggiert Hval. Nicht gerade eine Erleuchtung angesichts der
Unmengen von Vampir-Thematik, die die Unterhaltungsindustrie zuletzt
aufbot. Vielleicht gelingt Hval damit eine feministische Ermächtigung des
seit Bram Stoker religiös-sexistisch aufgeladenen Vampir-Mythos.
Musikalisch hingegen ist die zweite Hälfte des Albums richtig aufregend: In
„Period Place“ zittert der Bass wie ein Gummiband und lässt unvermittelt
den Kopf nicken. Endlich erkundet Hval wieder die stimmunggebenden Tönungen
ihre Stimme. Vieles auf „Blood Bitch“ wirkt unfertig: So schneidet Hval in
„The Plague“ überstellige Bongos, kryptische Tonbandschnipsel, verzerrtes
Geschrei und knisternde Flammen zu einem Ambient-Track mit filmischen
Qualitäten. Erst mit dem Track „Secret Touch“ entsteht so etwas wie
Eingängigkeit auf einem melodiös durchweg sperrigen Album.
Hval hat Performance und kreatives Schreiben studiert. Ihre experimentellen
Popsongs sind stets durch starke politische Konzepte untermauert. Doch
während mit ihrem letzten Album „Apocalypse, Girl“ die Verzahnung von
Kunst, Konzept und Pop voll aufging, mag das mit „Blood Bitch“ nicht
durchweg gelingen. Was dieser feministischen Trash-Horror-Musik am meisten
fehlt, ist ein einnehmender Song. Timo Posselt
7 Oct 2016
## AUTOREN
Timo Posselt
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