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# taz.de -- Frauen an der Macht Politiker ohne Narzissmus gibt es nicht, sagt A…
Bild: „Was ist denn noch DDR bei Ihnen?“, fragt der Psychologe Christian Sc…
Von Christian Schneider (Text) und Karsten Thielker (Fotos)
Es geht familiär zu im Leipziger AfD-Hauptquartier. Das überraschend kleine
Büro war früher das der Immobilienfirma von Uwe Wurlitzer, der heute in
seiner Funktion als Generalsekretär der sächsischen AfD Karsten Thielker
und mich willkommen heißt. Seine Frau arbeitet zusammen mit einer Kollegin
im Nebenzimmer, in der Ecke hinter dem PC schläft eine braunschwarz
getüpfelte Promenadenmischung im Hundekörbchen, und die Hauptperson ist –
nein, nicht die Parteivorsitzende, sondern die acht Monate alte Tochter der
Wurlitzers. Gut, dass wir hier im zweiten Stock sind, sagt der
Generalsekretär, da werden die Scheiben nicht eingeworfen. Andernorts sei
das so bei AfD-Niederlassungen.
Wenige Minuten später kommt Frauke Petry, begrüßt mich freundlich, widmet
sich dann aber erst einmal ihren Mitarbeiter*innen und dem Baby, das sich
auf ihrem Arm sichtlich wohlfühlt. Es wirkt unverkrampft, nicht inszeniert.
Ich bin erstaunt, dass die vierfache Mutter in der Realität noch jünger und
zierlicher wirkt als in den TV-Bildern. Zierlich, aber alles andere als
zerbrechlich. Schon beim Fotoshooting, das sie ungeschminkt und leger mit
Jeans und Bluse gekleidet absolviert, fällt eine sportliche Zähigkeit
ebenso auf wie ihr Spaß daran, ins Bild gesetzt zu werden.
## Die Familie als Enklave
Das Ganze dauert – ein bisschen zu lang für meinen Geschmack. Die fürs
Gespräch vorgesehene Zeit ist knapp. „Na, dann kucken wir mal, dass wir
effizient sind“, sagt Petry – und ist damit bei einem ihrer
Lieblingsthemen: Effizienz. Sie mag es, wenn die Dinge zügig vorankommen
und am Ende „ein Ergebnis von dauerhaftem Wert“ steht. Das sei ein
familiäres Erbe: Die Eltern haben sich beide aus bescheidenen Verhältnissen
hochgearbeitet, studiert und sich als Ingenieur und Chemikerin in der DDR
eine Existenz aufgebaut – ohne sich dem System zu unterwerfen. Petrys Vater
pflegte das „offene Wort“ und eckte an. Jahrelang kämpfte er um die
Ausreisemöglichkeit, schließlich nutzte er im Frühjahr 1989 eine
Dienstreise, um im Westen zu bleiben. Danach war die verbliebene Familie
massivem Druck ausgesetzt. Aber auch schon vorher war die
„kulturchristlich“ erzogene Frauke „sichtlich separiert“: als eine von …
Schülerinnen ihrer Klasse war sie zur „Christenlehre“ gegangen.
Im Kontrast zur Außenwelt fungierte die Familie als glückliche Enklave:
Hier habe sie sich geschützt gefühlt. Es wurde viel und offen geredet,
gleichzeitig musste jedoch – insbesondere nach der Flucht des Vaters –
immer an einer „offiziellen Version“ für die Außendarstellung gearbeitet
werden. Frauke Petrys Grunderfahrung ist, in zwei Welten zu leben. Die
familiäre Tradition der freien Rede und des naturwissenschaftlich
inspirierten „analytischen Geists“ hat sie nachhaltig geprägt. Nur eines
vermisste sie im Elternhaus: noch ein weiteres Geschwister neben der vier
Jahre älteren Schwester. „Ich bin nicht gerne alleine“, sagt sie. Der Satz
kommt, mitten in der sonst schnell fließenden Rede, stockend, fast wie ein
Geständnis, obwohl es doch scheinbar eine Selbstverständlichkeit ist.
Während ich darüber nachdenke, ist meine Gesprächspartnerin bereits
woanders.
Mit dem Wunsch, nicht allein zu sein, hänge zusammen, dass sie am liebsten
in der Gemeinschaft arbeite, mit anderen kooperiere. Klar traue sie sich
zu, allein Entscheidungen zu treffen, das habe sie als Unternehmerin
gelernt, aber lieber sei es ihr, das mit anderen zu teilen. In Null Komma
nichts sind wir von der Familie mitten in der AfD gelandet. Da habe von
Anfang an einfach alles gepasst: Vor allem die Möglichkeit, „gemeinsam
Strukturen zu schaffen – das hat mich angetrieben“.
Petrys politisches Denken orientiert sich mehr an Gemeinschafts- denn an
Gesellschaftskategorien. Ihre Sehnsucht danach, in gemeinschaftlichen
Strukturen nicht nur zu handeln, sondern „gehalten“ zu werden, ist spürbar.
Deshalb ist für sie der Vorwurf, politische Alleingänge zu machen,
schmerzhaft: „Es tut mir weh“, sagt sie. Insbesondere dann, wenn es
hintenrum geschehe. Die AfD-Vorsitzende schildert sich als einen Menschen,
der offen und neugierig in die Welt geht, darauf gepolt, allen alles direkt
ins Gesicht zu sagen. Was manchmal andere kränke. Das tut ihr leid, aber
sie kann einfach „Lügen nicht ausstehen“: für sie einer der kritischen
Punkte im politischen Leben. Ist sie, frage ich mich, überhaupt
„Politikerin“ im herkömmlichen Sinne?
Frauke Petry gehört zu der Generation, die ihre Kindheit in der DDR
verbracht und die Adoleszenz im wiedervereinigten Deutschland, in ihrem
Fall im Westen, erlebt hat. Sie war 14, als sie nach Dortmund zog. Für die
strebsame und ehrgeizige Frauke war es eine Chance, sich neue
Lernmöglichkeiten zu erschließen. Schon in der DDR hatte sie Französisch
als schulische Wahlsprache gelernt, im Westen holt sie das große Latinum
nach. Nach dem Abitur als Jahrgangsbeste studiert sie, wie die Mutter,
Chemie, unter anderem in England – selbstverständlich inklusive Promotion.
„Was ist denn noch DDR bei Ihnen?“, will ich wissen. Es ist einer der raren
Momente im Gespräch, in denen für einen Augenblick Schweigen herrscht.
„Gute Frage“, sagt Petry nachdenklich. Was aus der DDR-Zeit stamme „und
mich auch politisch sehr bestimmt hat“, sei „die große Vorsicht – oder
nennen Sie es meinetwegen auch Misstrauen – gegenüber allem, was,
grundsätzlich egal wo, gesagt wird: in der Wissenschaft oder in der Politik
oder der Öffentlichkeit.“ Meine Nachfrage, ob dieses generalisierte
Misstrauen nicht im Widerspruch zu der von ihr reklamierten Offenheit und
Neugier stehe, trifft auf ein entschiedenes „Nö!“ – und den schnellen
Nachsatz: „Widersprüchlich zu sein ist ja nicht unbedingt schlimm.“
Ohne Übergang erzählt sie, wie ihre Neugier sie schon als Kind auf dem
Campingplatz in Rügen dazu getrieben habe, Fremde anzusprechen und mit
Fragen zu löchern. Für mich ist es eine Schlüsselstelle im Interview:
Plötzlich sehe ich ein Kind, das eigentlich hinauswill, die Welt, anderes
und andere kennenlernen will: eine Alternative zum geschlossenen Raum der
Familie. Als wir über Deutschland reden, zieht sie eine direkte
Identifikationslinie von ihrer Person über die Familie zur Nation. „Sie
sind also stolz, Deutsche zu sein – warum?“ Für sie eine unsinnige Frage:
„Warum ist ein Kambodschaner stolz darauf, Kambodschaner zu sein? Oder ein
Kenianer oder ein Kongolese, wer auch immer?“ Es sei doch klar: „So wie man
als Kind natürlicherweise sich mit seiner Familie identifiziert“, so gebe
es das „natürliche Gefühl“, auf die Nation stolz zu sein „und sich darin
aufgehoben zu fühlen“. Wer Frauke Petrys politisches Engagement verstehen
will, muss diesen Satz verstehen. Hinter allem steht der Wunsch nach
„Aufgehobensein“: Die Nation als schützende Hülle.
Muss nicht, wer so empfindet, zwangsläufig das Fremde fürchten? Und
abwehren? Notfalls auch militant? Ähnlich wie die Grünen sich für eine
intakte Natur einsetzten, sei es ihr wichtig, ihren Kindern eine „intakte
Nation“ zu hinterlassen, ein „wieder geheiltes Land“. Die Teilung
Deutschlands war „Unrecht“, die Wiedervereinigung ist für sie nicht
Geschichte, sondern Aufgabe.
Über konkrete politische Ziele erfahre ich allerdings nichts. Mich erinnert
es an die Gespaltenheit ihres frühen Lebens: die idealisierte „innere Welt“
der Familie im Kontrast zur feindlichen Außenwelt – die aber doch ihre
Neugier anstachelte; und ihren Wunsch, „nicht allein zu sein“. Ich
überlege, wie dieser Wunsch mit ihrer Existenz als öffentlicher Person
zusammenhängen mag.
Im öffentlichen Auftritt ist sie von Kindesbeinen an geübt. Frauke Petry
hat schon mit fünf Jahren als Pianistin auf der Bühne gestanden. Noch heute
spielt sie Klavier und Orgel und singt im Chor. Ihre große musikalische
Liebe ist Bach. In seiner Musik und in der Natur („Bäume“) kann sie ganz
bei sich sein. Aber sie kann durchaus auch dem Leben auf dem medialen
Präsentierteller etwas abgewinnen.
## Liebe für Leistung
Politiker ohne Narzissmus gebe es nicht, stellt sie sachlich fest. Und dann
überrascht sie mich mit einer Aussage, die wie ein Fremdkörper in ihrer
Selbstdarstellung wirkt: Manchmal, wenn sie nach einem öffentlichen
Auftritt auf der Bühne steht und mit Beifall bedacht wird, fühle sie sich
unangenehm berührt, unwohl. Sie kann es sich nicht erklären. Worum geht es?
War es vielleicht nicht gut genug?
Ich kenne das Phänomen als Reaktion von Menschen, die früh daran gewöhnt
wurden, Liebe nur für Leistung zu erhalten. Deren „Effizienz“ das Ergebnis
eines Abrichtungsdeals ist: Schaff das – und ich lieb dich. Ihnen bleibt
immer ein Zweifel, weil diese Gleichung nie aufgeht.
Ganz am Ende, eigentlich ist das Interview schon vorbei, kommt wie aus dem
Nichts eine weitere Kindheitserinnerung: Frauke fährt auf dem Fahrrad
umher, auf der Suche nach einem Spielkameraden. Es klingt einsam – und ist
nichts weniger als der Cantus firmus ihres Lebens. Frauke Petry sucht
tatsächlich „Spielkameraden“. Ihr Leben lang. Bei der AfD schien es endlich
zu gelingen. Und jetzt? Wie wird es weitergehen? Politisch meint sie das zu
wissen: 2017 Einzug in den Bundestag, 2021 stärkste Fraktion. Größenwahn
oder Wunschdenken? Oder gar …? Wie auch immer. Dann würde sie ja, werfe ich
ein, Kanzlerin! Sie zuckt die Achseln. Das hängt davon ab, ob man sie will.
Sie meint: in ihrer Partei. Da müssten schon alle mitspielen. Wie es
scheint, haben einige ihrer derzeitigen Spielkameraden etwas dagegen. Aber
das wird Frauke Petry nicht davon abhalten, das Ziel fest im Auge zu
behalten. Und effizient darauf hinzuarbeiten.
8 Oct 2016
## AUTOREN
Christian Schneider
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