# taz.de -- Unter Vorwand geschlossen | |
> Ungarn Völlig überraschend hat die linke Zeitung „Népszabadság“ am | |
> Samstag dichtgemacht – angeblich aus wirtschaftlichen Gründen. Die | |
> Redaktion glaubt das nicht und spricht von einem Putsch | |
Bild: 5.000 Menschen demonstrierten am Samstag in Budapest gegen die Schließung | |
von Ralf Leonhard und Tibor Rácz | |
„Orbán, fort mit dir!“, forderten mindestens 5.000 Journalisten, | |
Oppositionelle und Leser der Tageszeitung Népszabadság am Samstagabend vor | |
dem Parlament in Budapest. Sie warfen Ministerpräsident Viktor Orbán vor, | |
die Pressefreiheit mit Füßen zu treten, wenn die Oppositionszeitung ihr | |
Erscheinen einstellen muss. „Wir werden wohl nur mehr aus der | |
Regierungszeitung Magyar Idők über die Politik im Lande informiert werden“, | |
schimpfte Népszabadság-Redakteur Miklós Hargitai von der Rednertribüne. | |
Mit einem vernehmlichen „Pfuuuui“, antworteten die Demonstranten. „Was | |
heute mit dem Népszabadság passiert, ist ein Schweinerei“, sagte der | |
Philosoph Gáspár Miklós Tamás, der es als erwiesen sieht, dass die | |
Regierung die Pressefreiheit in Ungarn liquidieren will. | |
Die etwa hundert Redakteure der Tageszeitung waren Samstag früh von einem | |
Kurier geweckt worden. Er übergab ein nicht unterzeichnetes Schreiben, das | |
dem Empfänger mitteilte, er sei ab sofort vom Dienst freigestellt. Die | |
Zeitung vom Montag sollte nicht mehr erscheinen. Selbst das Onlineportal | |
wurde Samstag abgeschaltet. E-Mail-Accounts und Diensthandys der | |
Mitarbeiter waren blockiert. Als Begründung wurde den Mitarbeiterinnen und | |
Mitarbeitern erklärt, der Eigentümer wolle die ständigen Verluste nicht | |
mehr hinnehmen. Das einstige Flaggschiff der linksliberalen Presse habe in | |
den vergangenen zehn Jahren zwei Drittel seiner Leser verloren und 16 | |
Millionen Euro Verluste eingefahren. | |
Eigentümer ist die Medienholding Mediaworks, die wiederum mehrheitlich der | |
Vienna Capital Partners (VCP) des österreichischen Investmentunternehmers | |
Heinrich Pecina gehört. Der operiert vorwiegend im Dunstkreis konservativer | |
und rechter Politiker in Österreich und war in Jörg Haiders Finanzakrobatik | |
in Kärnten verstrickt. Journalistische Interessen hat er keine. | |
Die Regierungspartei Fidesz bestritt in einer Pressemitteilung jedes | |
politische Motiv. Gleichzeitig konnte Fidesz-Vizechef Zsilárd Német seine | |
Freude nicht verhehlen: „Meiner Meinung nach war es höchste Zeit.“ Premier | |
Viktor Orbán selbst ging am Sonntag in einem Interview im | |
öffentlich-rechtlichen Radio Kossuth mit keinem Wort auf den überraschenden | |
Zeitungstod ein. | |
Népszabadság war mit einer täglichen Auflage von knapp 40.000 Exemplaren | |
immer noch die größte Tageszeitung und die wichtigste, die von der | |
Regierung Orbán noch nicht gleichgeschaltet war. Heinrich Pecina wollte | |
sich nicht äußern. Er berief sich am Telefon auf eine Erkältung und verwies | |
auf eine Presseerklärung: „Da steht alles drin.“ | |
Die Redaktion glaubt nicht an die darin angeführten ökonomischen Motive und | |
spricht von Putsch. Die Zeitung sei in den letzten Jahren so schlankgespart | |
worden, dass sie keine Verluste mehr schrieb. Außerdem sei sie der | |
wichtigste Kunde der Druckerei, die demselben Unternehmen gehört. | |
Mediaworks gibt zudem die wichtigste Sportzeitung, das einzige täglich | |
erscheinende Wirtschaftsblatt und acht Regionalzeitungen heraus. Insgesamt | |
wirft dieses kleine Medienimperium Gewinne ab. Nicht erreicht würden bei | |
Népszabadságnur die eingeplanten Werbeeinnahmen, weil Inserate aus dem | |
Umfeld der Regierung – offenkundig aus politischer Motivation – sehr | |
spärlich geschaltet werden. | |
Für eine sorgfältig orchestrierte Hinrichtung der lästigen Zeitung spricht | |
auch die Vorgeschichte. So hat die von der Regierung kontrollierte | |
Wettbewerbsbehörde entgegen früherer Spruchpraxis die Übernahme der PLT | |
nicht untersagt und damit größere Medienkonzentration zugelassen. Die | |
suspendierten Redakteure, die mit niemandem über ihre Situation reden | |
dürfen, vermuten, dass die Chefs der Regierenden die Geduld mit der | |
respektlosen Zeitung verloren haben. Zuletzt hatte sie durch sorgfältige | |
Recherchen einen Korruptionsskandal von Notenbankchef György Matolcsy | |
aufgedeckt und über das Luxusleben von Kommunikationsminister Antal Rogán | |
berichtet. | |
10 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
Tibor Rácz | |
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