# taz.de -- Schnell, hart und ein bisschen verrückt | |
> Trendsport Berlin hat eine der aktivsten deutschen Communitys für | |
> Bikepolo. Unsere Autorin ist selbst dabei – und will nicht mehr davon | |
> lassen | |
Bild: Die Wucht und die Schnelligkeit, mit der wir uns auf unseren Rädern bewe… | |
von Gitti La Mar | |
Die Sonne geht schon um 19 Uhr unter, dann wird es kalt. Aber ich friere | |
nicht auf dem Rollhockeycourt im Stadion Friedrichsfelde in Lichtenberg. | |
Ich friere eigentlich nie, zum Glück, denn das Training draußen gehört | |
dazu, das ganze Jahr. Vor mir liegt Berliner Asphalt, die Luft riecht nach | |
Herbstanfang, mein Polorad steht bereit. Ich ziehe Knie und | |
Ellenbogenschützer, Handschuhe und Helm mit Visier an, steige aufs Rad und | |
hebe fahrend den Schläger vom Boden auf. | |
„Drei, zwei, eins, Polo!“ Wir rasen über den Asphalt aufeinander zu. Ich | |
versuche, den Ball in der Mitte des Spielfeldes als Erste zu erreichen. | |
Dumpf prallen die Schläger aufeinander. Die Wucht und die Schnelligkeit, | |
mit der wir uns auf unseren Rädern bewegen, geben mir den Kick. Neulich | |
meinte eine Freundin: „Was ihr macht, das ist wirklich verrückt.“ | |
Bikepolo ist ein bisschen wie Eishockey auf Rädern: Gespielt wird drei | |
gegen drei, wir schießen einen Hockeyball mit Schlägern ins Tor. Das Spiel | |
geht entweder zehn Minuten oder so lange, bis fünf Tore gefallen sind. | |
Eigentlich ist es ein alter Sport. Radpolo wurde schon 1891 erfunden. Aber | |
erst um 1996 haben Fahrradkuriere Bikepolo wiederentdeckt. Wer heute in | |
Deutschland Bikepolo spielen will, sollte nach Berlin kommen, hier gibt es | |
eine der aktivsten Bikepolo-Communitys in Deutschland. Wir haben zwei | |
Courts und um die 25 aktive SpielerInnen. 2010 haben wir in Weißensee die | |
zweite Weltmeisterschaft ausgerichtet. | |
Bei der WM habe ich Bikepolo kennengelernt, es war Liebe auf den ersten | |
Blick. Wie viele andere bin ich über einen Bekannten mit dem Sport in | |
Berührung gekommen; ein Freund von mir arbeitete als Fahrradkurier. 2010 | |
kamen 64 Teams aus der ganzen Welt zur WM nach Weißensee, und sofort hatte | |
ich eine Leidenschaft für den Sport, weil er so schnell, hart und ein | |
bisschen verrückt ist. Nach der WM in Berlin hab ich mir also ein altes | |
Rennrad gekauft und angefangen, Bikepolo zu spielen. Ich war im Parkhaus, | |
als ich das erste Mal trainierte, bei minus 12 Grad. | |
Aber auch in Berlin ging es erst klein los. Seit 2006 wird gespielt, | |
anfänglich auf dem Wassertorplatz in Kreuzberg mit Bambusschlägern auf | |
Fixie-Rädern und starrem Gang. Heute sind die bunten Räder ausgerüstet mit | |
einer Scheibenbremse, einem kleinen Freilaufgang und Klickpedalen. Und wir | |
haben uns organisiert. | |
Michi ist in Berlin unser Bikepolo-Vereinswart. Er ist durch seinen | |
Zwillingsbruder Jojo, der 2011 in Australien lebte, zum Sport gekommen. | |
„Weil meinem Bruder der Sport so gut gefiel, erzählte er mir, dass es auch | |
in Berlin SpielerInnen gibt und dass ich es doch mal ausprobieren sollte. | |
Ich war sofort fasziniert“, sagt Michi. „Einerseits weil es ein Teamsport | |
mit dem Fahrrad ist, und andererseits weil die Bikepolo-Community weltweit | |
einfach großartig ist.“ Ich verstehe, was er meint. Mir gefallen die | |
Herausforderung, das Teamplay und die Geschwindigkeit. Und das | |
Unkonventionelle daran. | |
Denn beim Bikepolo spielen alle Geschlechter zusammen. Es gibt nicht viele | |
Sportarten, wo das so ohne Weiteres möglich ist und wo die Teams so gut | |
gemischt sind. Anfangs standen Frauen nur im Tor, aber das hat sich zum | |
Glück geändert, die Frauen haben sich emanzipiert. Mittlerweile gibt es | |
weltweit sehr viele gute Spielerinnen, die in gemischten Teams wichtige | |
Turniere gewinnen. Was außerdem gut ist: Die Teams werden per Zufall neu | |
gemischt. Es ist einfach abwechslungsreicher, wenn man sich immer wieder in | |
einem neuen Team zusammenfindet, weil man mehr über sich und das | |
Spielverhalten anderer lernt. | |
Ja, Bikepolo ist, wie die Freundin sagt, tatsächlich ein verrückter Sport. | |
Stürze und Verletzungen gehören dazu. Vor drei Jahren habe ich mir das | |
Wadenbein zertrümmert. Aber trotz Operation und Schmerzen war es mein | |
sehnlichster Wunsch, so schnell wie möglich wieder auf mein Polorad zu | |
steigen. Auch die äußeren Bedingungen sind nicht immer leicht. Trainiert | |
wird ganzjährig draußen. Wie jedes Jahr versuchen wir gerade wieder, eine | |
Halle für den Winter zu organisieren oder einfach nur was Überdachtes zu | |
kriegen. Aber obwohl Bikepolo in Berlin als Sportart vom Radsportverband | |
anerkannt wird, ist das schwer. | |
Ob der Sport wirklich groß wird, wissen wir natürlich nicht. Die | |
Weltmeisterschaft in Neuseeland dieses Jahr wurde live gestreamt, zum | |
ersten Mal wurde Bikepolo sogar live in englischen Bars übertragen. Seit | |
einigen Jahren entdecken auch mehr Sponsoren den Sport. Eine bekannte | |
Automarke hat diesen Sommer ein Turnier in Frankreich initiiert und einige | |
Teams eingeladen, darunter war auch erstmals ein sehr erfolgreiches | |
Frauenteam, die Flüge wurden bezahlt. | |
Auch ich erlebe einiges. So fliege ich demnächst beispielsweise zu den | |
lateinamerikanischen Meisterschaften nach Argentinien, allerdings auf | |
eigene Kosten. Durch den Sport habe ich nicht nur erfahren, was | |
Leidenschaft bedeutet, sondern mir auch ein paar nützliche Fähigkeiten | |
angeeignet. Zum Beispiel Spanisch. Und Fahrräder reparieren. | |
10 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Wibke Reckzeh | |
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