# taz.de -- Ein zunehmend skeptischer Aufklärer | |
> Theoriegeschichte Wie das Judentum zueinem politischenund religiösen | |
> Feindfür deutsche Denker wurde, lässt sich in den wiederaufgelegten | |
> Schriften von Saul Ascher lesen | |
„Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judentum und wollen über | |
unser Volkstum und Deutschtum schmähen und spotten“, mit diesen Worten | |
verbrannten am 18. Oktober 1817 deutsche Burschenschaftler auf der Wartburg | |
unter großem Gejohle die Schrift „Germanomanie“ des deutschjüdischen Auto… | |
Saul Ascher. Es braucht nicht viel Fantasie, um die ideologische Linie von | |
damals zu den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen im Jahr 1933 zu | |
sehen. | |
Bezeichnenderweise gerieten Ascher, der 1822 im Alter von 55 Jahren | |
verstarb, und sein philosophisch-politisches Oeuvre in der Folge in nahezu | |
vollkommene Vergessenheit. Die Theoriegeschichte vollendete damit das Werk, | |
das die antisemitischen Studenten begonnen hatten. | |
Dabei wären heute Aschers zahlreichen Schriften als Rüstzeug gegen den | |
wiederaufkeimenden Kleingeist nationalistischer Populisten wichtiger als | |
jemals zuvor. Aus diesem Grund ist es verdienstvoll, dass der in den USA | |
lehrende Germanist Bernd Fischer jetzt eine Einführung in und einen | |
umfassenden Überblick zu Aschers politischen Schriften vorlegt. | |
Über Ascher selbst ist wenig bekannt. Er war spätaufklärerischer | |
Privatgelehrter, Buchhändler, Verleger und eng mit Salomon Maimon und | |
Johann Friedrich Cotta befreundet. Heinrich Heine nannte ihn in seiner | |
„Harzreise“ despektierlich „Doktor Saul Ascher“ und machte sich über s… | |
Vernunftgläubigkeit lustig. Aber Ascher fühlte sich nicht nur der Ratio | |
verpflichtet, wie Fischer betont, er hatte vor allem ein seismografisches | |
Gespür für die nationalistisch-xenophoben Verschiebungen, die sich unter | |
den führenden deutschen Denkern seiner Zeit vollzogen. | |
Aschers Schriften müssen vor allem im Kontext sich herausbildender moderner | |
Anerkennungskämpfe und Integrationsstrategien deutscher Juden gelesen | |
werden, so der Autor. Deshalb setzt der Band auch mit Aschers Antwort auf | |
die Frage, ob Juden Soldaten werden sollen, ein. Hier zeigt sich, dass er | |
nicht in der bloßen Gewährung von Rechten und dem Zwang zur | |
staatsbürgerlichen Pflicht des Armeediensts die Voraussetzung für | |
Aufklärung sah. Vielmehr lehnt er eine Wehrpflicht ab, der nicht eine | |
Erziehung und Befähigung zur Mündigkeit zugrunde liegt. | |
## Reformfähige Religion | |
Fischer zeigt sodann auf, wie Ascher durch eine eigenständige Definition | |
des Judentums dieses als eine reformfähige Religion verstand. Dadurch | |
unterschied er sich ganz grundsätzlich von seinem Vorgänger, dem Begründer | |
der jüdischen Aufklärung Moses Mendelssohn. Aber Ascher war nicht | |
antireligiös, vielmehr gestand er der Religion im Leben der Menschen eine | |
wichtige Rolle zu, die der Vernunft verschlossen bleibt. | |
Die zentralen Abschnitte des Buches betreffen Aschers Auseinandersetzung | |
mit dem deutschen Idealismus und der Romantik und insbesondere mit Johann | |
Gottlieb Fichte. Fischer arbeitet hervorragend Aschers ideologiekritische | |
Auseinandersetzung mit Fichtes Antisemitismus heraus. Dabei macht er | |
deutlich, dass Ascher diesen nicht als ein isoliertes Phänomen sah, sondern | |
der Judenhass bereits durch Kants Religionsphilosophie zu einem | |
konstitutiven Element deutscher Philosophie wurde. Das Judentum galt | |
deutschen Denkern fortan nicht nur als politischer und religiöser Feind, | |
sondern wurde zu einem moralischen Gegner. | |
Aber Fischer zeigt auch Bruchlinien in Aschers Denken auf. Er arbeitet | |
heraus, wie aus Ascher, dem begeisterten Anhänger Napoleons, der | |
ernüchterte Kritiker wurde. Gleichwohl blieb das Thema der Revolution für | |
Ascher ein ganz zentrales Element seiner politischen Theorie. Erst durch | |
sie könne sich eine aufgeklärte und politisierte Kultur der Regierten | |
entwickeln. | |
Ob allerdings in Deutschland ein solcher Neubeginn möglich sei, darüber | |
zeigte sich Ascher am Ende seines kurzen Lebens zunehmend skeptisch. „Haß | |
gegen alle Ausländer ist, nach ihrer Meinung, die erste Tugend eines | |
Deutschen“, schrieb Ascher 1818 und liefert damit vor zwei Jahrhunderten | |
eine Diagnose, die passgenau auf das heutige AfD-Milieu zutrifft. Er sollte | |
wieder gelesen werden. Kevin Zdiara | |
Bernd Fischer: „Ein anderer Blick: Saul Aschers politische Schriften“. | |
Böhlau Verlag, Wien, 2016, 194 Seiten, 40 Euro | |
22 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Kevin Zdiara | |
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