# taz.de -- Streit mit Genossenschaft um die Grenzen der Sanierung | |
> MieterbeteiligungDer denkmalgeschützte Reichardtblock in | |
> Hamburg-Bahrenfeld soll saniert und modernisiert werden. Einige | |
> MieterInnen wehren sich gegen die Pläne der Genossenschaft Altonaer Spar- | |
> und Bauverein. Sie fürchten gesundheitsschädliche Stoffe und eine | |
> Mieterhöhung für die modernisierten Wohnungen | |
von Johanna von Criegern | |
Die Fassade ist von Baugerüsten umstellt, in weißen Zelten davor lagern die | |
Baumaterialien: Die Fassade des Reichardtblocks in Hamburg-Bahrenfeld wird | |
saniert. Doch nicht nur der Gebäudekomplex ist eine Baustelle – zwischen | |
den Mietern und dem Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) gibt es gleich | |
mehrere. Denn einige Mieter wehren sich gegen die Baumaßnahmen. | |
Für den Altoba ist dies das zweite Hindernis bei dem Bauvorhaben: Erst am | |
15. August erhielt die Genossenschaft die Genehmigung zur Fassadensanierung | |
vom Denkmalschutzamt – nach einem langen Hin- und Her, das bis zum | |
Oberverwaltungsgericht reichte(taz berichtete). Bis 2021 möchte der Altoba | |
die Fassaden des Ensembles sanieren, also Mängel ausbessern – und den 1920 | |
errichteten Gebäudekomplex aus 400 Wohnungen bei der Gelegenheit auch | |
gleich modernisieren. | |
Eine Besonderheit des Komplexes ist sein zum Teil zweischaliges Mauerwerk: | |
Hinter der Außenfassade ist ein Hohlraum von neun Zentimetern, danach folgt | |
eine weitere Wand. Das diente früher der Wärmedämmung. Aufgrund dieser | |
Besonderheit ist der Block denkmalgeschützt. Beim Altoba fürchtet man, dass | |
die Außenfassaden des zweischaligen Mauerwerks auf Dauer in ihrer | |
Standsicherheit gefährdet wären. Tatsächlich ist der Mörtel zwischen den | |
Backsteinen nur noch Sand, die Steine lassen sich mit bloßen Händen | |
herauslösen. | |
Mit Polyurethan-Schaum wird jetzt zuerst die Westfassade am Bornkampsweg | |
ausgeschäumt. Der Zustand der Fassaden sei so schlecht, dass eine | |
herkömmliche Fassadensanierung nicht funktioniere, meint Norbert Eversloh, | |
Geschäftsführer der Everisol GmbH. Er beaufsichtigt die Bauarbeiten. Der | |
Isolierstoff Polyurethan-Schaum wird erstmals benutzt, um eine Fassade zu | |
stabilisieren. | |
Eversloh und sein Team bohren Löcher in die Außenfassaden, reinigen die | |
Freiräume des zweischaligen Mauerwerks und spritzen Polyurethan-Schaum | |
hinein. Der härtet schnell aus. Anschließend werden die Löcher mit Korken | |
verschlossen. Kleine weiße Tüten hängen Everslohs Mitarbeiter darunter, | |
damit der Schaum nicht die Fassade beschmutzt. „Das Besondere an diesem | |
Schaum ist, dass er das Mauerwerk zuverlässig verfestigt, sodass die | |
Fassade erhalten bleiben kann“, so Eversloh. Seit über 25 Jahren arbeitet | |
er mit Polyurethan. | |
Einige Mieter befürchten, dass der Schaum gesundheitsschädlich sein könnte. | |
Nach einer Stunde auf dem Innenhof habe sie Kopfschmerzen gehabt und sich | |
schlecht gefühlt, erzählt eine Mieterin. Die Mitarbeiter von Eversloh | |
arbeiten täglich mehrere Stunden ohne Atemschutz auf der Baustelle. | |
Burkhard Pawils, Vorstandsvorsitzender des Altoba, meint, dass | |
Polyurethan-Schaum weder für die Mieter noch für die Arbeiter | |
gesundheitsschädlich sei. Arnold Drewer, Geschäftsführer des Ipeg-Instituts | |
für Gebäudesanierung, bestätigt, dass dieser Schaum nicht giftig ist. Seine | |
einzelnen Bestandteile seien dies zwar, aber wenn sie zu Polyurethan | |
reagiert haben, seien sie unschädlich. „Seit über 40 Jahren wird der Schaum | |
zur Wärmeisolierung auf der gesamten Welt benutzt. Auch künstliche | |
Herzklappen, Matratzen und Kondome sind aus Polyurethan“, sagt er. | |
Beim PU-Schaum-Infocenter heißt es, dass bei der Arbeit mit | |
Polyurethan-Schaum zwar sogenannte Isocyanate austreten, welche die | |
Atemwege reizen könnten, aber erst bei hoher Konzentration sei der Schaum | |
giftig. Das PU-Schaum-Infocenter beschäftigt sich mit kleinen Mengen an | |
Polyurethan-Schaum, die für die Dämmung von Fenstern und Dächern verwendet | |
werden. | |
Die Sorgen einiger Mieter kann der Altoba nicht zerstreuen: Eine Mieterin | |
behauptet, dass andere Mieter aufgrund der Bauarbeiten ausgezogen seien. | |
Der Altoba formuliert es so, dass einige Mieter „aufgrund der | |
bevorstehenden Bauarbeiten den Wunsch hatten, aus dem Reichardtblock in | |
eine andere Wohnanlage der Genossenschaft zu ziehe“. | |
Der Polyurethan-Schaum ist nicht der einzige Streitpunkt zwischen den | |
Mietern und dem Altoba. Denn nach der Fassadensanierung soll der | |
Gebäudekomplex modernisiert werden: Unter anderem sollen neue Leitungen | |
gelegt und das Dachgeschoss ausgebaut werden. | |
Wenn der Vermieter ein Gebäude modernisiert, kann er einen Teil seiner | |
Kosten durch Mieterhöhungen ausgleichen: Schließlich profitieren auch die | |
Mieter von höheren Wohnstandards. Das ist der Unterschied zu einer | |
Sanierung, wie sie bei den Außenfassaden vorgenommen wird. Denn der | |
Vermieter ist verpflichtet, das Gebäude in vertragsgemäßem Zustand zu | |
halten und trägt dafür die Kosten. Einigen Mietern des Reichardtblocks | |
passt diese Erhöhung nicht. | |
Im Herbst möchte der Altoba seine Mieter befragen, ob sie der | |
Modernisierung zustimmen. Für die leer stehenden Wohnungen stimmt das | |
genossenschaftliche Unternehmen dabei selbst ab – mit „Ja“. Wenn eine | |
Mietpartei den Modernisierungsmaßnahmen zustimmt, dann wird der Altoba bei | |
der Modernisierung dieser Wohnungen von der Hamburgischen Investitions- und | |
Förderbank finanziell unterstützt. Burkhard Pawils sagt, dass die | |
Mieterhöhung für diese Wohnungen dadurch niedriger ausfiele. Für die ersten | |
zehn Jahre nach dem Ende der Bauarbeiten gilt eine Mietpreisgarantie. | |
Stimmt eine Mietpartei dagegen, „müssen wir überlegen, wie wir damit | |
umgehen“, meint Silke Kok vom Altoba. Denn bestimmte Maßnahmen müssten auf | |
jeden Fall durchgeführt werden. „Die Holzfenster müssen beispielsweise | |
ausgetauscht werden, da diese überwiegend das Ende ihrer Haltbarkeit | |
erreicht haben und teilweise undicht sind.“ | |
Noch fehlen jedoch einige Genehmigungen, unter anderem vom | |
Denkmalschutzamt: „Sie ist aber in Aussicht gestellt“, versichert Thomas | |
Kuper, ebenfalls Vorstandsmitglied beim Altoba. | |
24 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Johanna von Criegern | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |