# taz.de -- „Ätzende Verhältnisse“ | |
> Kunst In der Installation „Über das Meer“ erzählen drei Seefahrer-innen | |
> vom Leben, von Schiffen und der Sehnsucht nach Freiheit | |
Bild: Unterschiedliche Erfahrungen, gleiche Sehnsüchte: Giegold & Weiß mit Se… | |
Interview von Hilke Rusch | |
taz: Alex Giegold und Tomka Weiß, in Ihrer Audioinstallation lassen Sie | |
drei Frauen zu Wort kommen, deren Leben mit dem Meer verknüpft ist: Eine | |
Skipperin, eine Kreuzfahrturlauberin und eine geflüchtete Frau. Ist das ein | |
Beitrag zur sogenannten Flüchtlingsdebatte? | |
Alex Giegold: Als wir 2012 mit dem Projekt angefangen haben, waren die im | |
Mittelmeer ertrinkenden Flüchtenden kaum in den Medien. Es war das Jahr, in | |
dem die Costa Concordia vor Italien in Schieflage geriet. Dass die | |
Aufmerksamkeit für die 32 Toten der Costa Concordia so viel größer war als | |
für die toten Geflüchteten, hat uns wütend gemacht. | |
Tomka Weiß: Die Geschichten in unserer Installation sind nur Splitter einer | |
größeren Debatte. Das Meer ist hier wie eine riesige Bühne, auf der die | |
Erfahrungen, Träume und Sehnsüchte der drei Frauen aufeinandertreffen. Und | |
ihre ganz unterschiedlichen Motive, die sie auf das Meer geführt haben: | |
Arbeit, Vergnügen, Flucht. | |
Die Erzählungen der Frauen haben Sie zu Audiocollagen zusammengefügt. | |
Außerdem haben Sie sie dazu angeregt, ein Schiff nach ihren jeweiligen | |
Wünschen zu entwerfen. Wie finden die Eingang in die Installation? | |
Weiß: Wir wollten hören, wohin sich diese Menschen träumen, welchen Ort sie | |
erschaffen. Den Schiffbauingenieur Sabo Raoul Krebs haben wir dann | |
beauftragt, aus diesen Traumschiffen technische Skizzen anzufertigen. Die | |
bilden jetzt annähernd in Originalgröße das Setting, in dem BesucherInnen | |
die Erzählungen der Frauen hören können. | |
Was erzählen die Entwürfe? | |
Giegold: Das Schiff der Skipperin Tine beispielsweise ist ein reales Boot, | |
das sie irgendwann einmal bauen möchte. Es besteht ganz aus Stahl, sodass | |
sie es überall selbstständig reparieren kann. Für sie ist das eine | |
Vorstellung von Freiheit: Unabhängig zu sein. Die Zeit auf dem Wasser ist | |
für sie eine Flucht vor den ätzenden Verhältnissen, wie sie sagt. Sie meint | |
eine kapitalistische Gesellschaft. | |
Genet, die Geflüchtete, ist aus ganz anderen Gründen und wahrscheinlich | |
viel weniger freiwillig in ein Boot gestiegen ist. Ist das im Entwurf ihres | |
Traumschiffs sichtbar? | |
Giegold: Das aufblasbare Boot, mit dem Genet von der Türkei nach | |
Griechenland kam, versteht sie gar nicht als richtiges Schiff, sie hat es | |
immer als Ballon bezeichnet. Das war so voll mit Menschen, dass einige ihr | |
Gepäck über Bord werfen mussten. Genet hat nur ein paar Dinge behalten | |
können, darunter ein Foto ihrer Tochter, das auch in der Ausstellung zu | |
sehen ist. | |
Weiß: Ihr Traumschiff hat nichts mit diesem „Ballon“ zu tun. Ihr Entwurf | |
ist ein Boot für besondere Anlässe, für Parties, Hochzeiten. Innen mit Holz | |
ausgekleidet, außen weiß, wichtig sind ihr die Lautsprecher für viel gute | |
Musik. Außerdem sollen auf dem Schiff Fotos hängen, das erste von ihren | |
beiden Kindern in Kapitänsuniformen. | |
Sie haben drei Frauen befragt. War das Zufall? | |
Giegold: Nein. Erzählungen von Frauen sind generell unterrepräsentiert. Und | |
das trifft in vielerlei Hinsicht auch auf das Meer zu: Didi wollte als | |
junge Frau zur See fahren, hat sich auch mehrfach beworben, wurde aber | |
immer abgelehnt, weil sie eine Frau war. Ihr blieb nur, ans Meer zu ziehen. | |
Wir wollen männlicher Geschichtsschreibung etwas entgegensetzen. | |
Weiß: Und auch, wenn es um Flucht geht, sind Erfahrungen von Männern viel | |
präsenter. Genet war auf der Flucht hochschwanger, ihr Sohn kam einen Tag | |
nach ihrer Ankunft in Berlin zur Welt – zwei Wochen nach dem Stichtag. | |
Wie interagieren die drei Erzählungen in der Ausstellung miteinander? Wo | |
sind Parallelitäten, wo die Kontraste? | |
Giegold: Die Sehnsüchte gleichen sich, aber die Erfahrungen sind | |
unterschiedlich. Das zeigt sich bei Assoziationen wie beim Schlagwort | |
„Hafenpolizei“, das wir den Frauen gegeben haben: Während Genet nur wenig | |
sagt und von „jerks“ und „assholes“ redet, erzählt die Kapitänin Tine… | |
großen bürokratischen Aufwand, wenn es um Schiffsüberführungen geht. Die | |
Assoziation der Kreuzfahrturlauberin Didi sieht ganz anders aus: Sie | |
verbindet „Hafenpolizei“ mit der gleichnamigen Fernsehserie. | |
Ausstellung: Bis zum 9.12. im Kulturhaus Walle Brodelpott, Schleswiger | |
Straße 4 | |
Zur Vernissage am Sonntag um 15 Uhr spielt die Akkordeonistin Tanja | |
Buttenborg. | |
24 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Hilke Rusch | |
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