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> Tourismus Rund 1,2 Millionen Menschen machten 2015 Urlaub im Ausland. Das | |
> ist wirtschaftlich betrachtet zwar ein großer Erfolg. Einheimische an den | |
> Reisezielen haben davon aber oft nichts. Es braucht faire Reisen | |
von Frank Herrmann | |
„Voller möchte man sich das nicht vorstellen“ – war eine Reaktion deutsc… | |
Mallorca-Urlauber im Sommer 2015, als alleine im August 1,75 Millionen | |
Touristen die Baleareninsel stürmten – doppelt so viel, wie auf der Insel | |
Einheimische leben. Für 2016 wird mit mehr als 13 Millionen Touristen ein | |
neuer Rekord prognostiziert. In Spitzenzeiten starten oder landen pro | |
Stunde mehr als 40 Flugzeuge auf dem Flughafen von Palma de Mallorca – rund | |
um die Uhr. | |
Mallorca ist kein Einzelfall. Auch auf den Seychellen, Thailand, Kuba oder | |
in der Inkastadt Machu Picchu in Peru stöhnen Behörden und Einheimische | |
über die Besuchermassen. Viele Reiseziele sind – vor allem in der | |
Hauptsaison – an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt. Denn neben Millionen | |
von Europäern, Nordamerikanern und Australiern reisen inzwischen auch | |
Millionen von Chinesen, Brasilianern und Indern munter um die Welt. Rund | |
1,2 Milliarden Auslandstouristen waren es nach Angaben der | |
Welttourismusorganisation UNWTO im vergangenen Jahr weltweit. Das ist rein | |
wirtschaftlich betrachtet sicherlich ein großer Erfolg – vor allem für | |
Fluglinien, Reiseveranstalter und die Reisedestinationen. | |
Doch die Touristenmassen machen den Einheimischen das Leben vielerorts zur | |
Hölle. Sie verbrauchen große Mengen an Wasser, hinterlassen Unmengen an | |
Abfall und trampeln Kulturgüter in den Boden. Ganze Viertel werden in | |
einigen beliebten Großstädten wie Barcelona, Lissabon oder Prag inzwischen | |
von Touristen dominiert. Den Einheimischen bringt die Touristifizierung | |
Partylärm, Müll, völlig überhöhte Miet- und Immobilienpreise. | |
Jede Stadt, jeder Strand, jeder Nationalpark hat eine ökologische | |
Aufnahmegrenze. Wird sie überschritten, dann verbraucht sich die | |
Sehenswürdigkeit, bis die Besucher schließlich wegbleiben. Alternative | |
Reiseziele gibt es (noch) zur genüge. Tourismusmanager hielten die | |
Berechnung einer solchen Kapazitätsgrenze bislang für überflüssig, viele | |
Entscheidungsträger ignorierten sie einfach. | |
Kein Wunder: Welche Regierung begrenzt schon freiwillig Touristenströme, | |
wenn sie auf die Devisen und Steuern aus dem Reisegeschäft angewiesen ist. | |
Ohne die Millionen von Urlaubern hätte die Wirtschaftskrise Spanien | |
möglicherweise vollends in die Knie gezwungen und auch Island verdankt | |
seine wirtschaftliche Erholung nach harten Krisenjahren zu großen Teilen | |
dem Tourismus. Er ist inzwischen noch vor der Fischerei zum bedeutendsten | |
Devisenbringer des kleinen Inselstaats geworden. Rund 1,5 Millionen | |
Besucher erwarten die Isländer 2016. Das ist das Fünffache der | |
Einwohnerzahl und sprengt besonders in den Sommermonaten die Kapazitäten. | |
Es beeinträchtigt zudem die sensible Flora am Polarkreis. Einmal | |
niedergetrampelt, braucht sie Jahre, um sich zu erholen. | |
Auch deswegen denkt die Regierung über die Einführung einer Abgabe für | |
Besucher nach. Eine solche hat man bereits im Juli 2016 auf Mallorca | |
eingeführt. Für Müllbeseitigung und eine verbesserte Infrastruktur sind | |
seitdem – je nach Art der Unterkunft und der Reisezeit – 0,25 bis zwei Euro | |
pro Tag und Tourist fällig. Auch an anderen Orten weltweit möchte man den | |
stetig anschwellenden Besucherstrom mit zusätzlichen Gebühren in den Griff | |
bekommen – sei es mit einer geplanten Eintrittskarte für Tagestouristen, um | |
den Markusplatz in Venedig zu betreten, mit einer seit November 2015 | |
geltenden Ökosteuer auf den Malediven oder einer seit Juni 2016 auf der | |
kleinen Mittelmeerinsel Malta eingeführten Umweltabgabe. Ob sich stetig | |
wachsende Besucherströme allerdings alleine mit Geld steuern lassen, ist | |
fraglich. | |
Auf den Kanarischen Inseln sind Begrenzungen der Besucherzahlen im | |
Gespräch. Praktiziert wird dies bereits in sensiblen Ökosystemen, wie etwa | |
auf der zu Kuba gehörenden Inselgruppe Jardines de la Reina, in deren | |
Gewässer jährlich maximal 500 Taucher zugelassen sind. Oder auf beliebten | |
Wanderwegen wie dem Milford Trek auf der Südinsel Neuseelands, den täglich | |
nur maximal 40 Personen begehen dürfen. Auch für die zu Ecuador gehörenden | |
Galápagos-Inseln und für den Inkatrail nach Machu Picchu gelten | |
Beschränkungen. Kurzen Prozess machten die Behörden im Mai diesen Jahres in | |
Thailand: Sie schlossen die bei Urlaubern beliebte Insel Koh Tachai, Teil | |
des Similan Island National Parks. Der Grund: Schäden durch zu viele | |
Touristen. | |
Wahrscheinlich werden wir uns in den kommenden Jahrzehnten an immer mehr | |
Orten der Erde an Beschränkungen der Touristenzahl gewöhnen, ja gewöhnen | |
müssen, will man Sehenswürdigkeiten auch für die nachfolgenden Generationen | |
erhalten. Sich dieser Realität zu stellen und sie den Touristen zu | |
kommunizieren, wird Aufgabe der jeweiligen Regierungen und der | |
Tourismusindustrie sein. Sie ist unausweichlich. Widerstand seitens der | |
Branche, aber auch seitens der Touristen ist zu erwarten. Wie berechnet man | |
die optimale Besucherzahl für einen sozial- und umweltverträglichen | |
Tourismus? Wer berechnet sie? Und was genau begrenzt man? In Venedig | |
beispielsweise griffe eine Begrenzung der Hotelbetten zu kurz – die meisten | |
Besucher kommen nur tagsüber oder übernachten auf einem Kreuzfahrtschiff. | |
Hinzu kommt, dass Vergleichswerte und Erfahrungen fehlen. | |
Wer fürchtet, dass dann automatisch die Preise steigen und Tourismus eine | |
elitäre Angelegenheit wird, sei getröstet. Zum einen ist Tourismus | |
vielerorts bereits zahlungskräftiger Klientel vorbehalten. Zum anderen kann | |
man die Preisentwicklung kontrollieren und die Besucher entweder nach dem | |
Prinzip first come, first serve bedienen. Oder etwa einmal im Jahr eine | |
Verlosung starten. Dann hätten alle Touristen unabhängig von Geld die | |
gleichen Chancen, einen Ort mit beschränkten Besucherzahlen kennenzulernen. | |
Frank Herrmann ist Autor des gerade im oekom Verlag in Erstauflage | |
erschienenen Ratgebers „FAIRreisen – Das Handbuch für alle, die | |
umweltbewusst unterwegs sein wollen“. | |
17 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Frank Herrmann | |
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