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# taz.de -- Wenn der Bauer selbst siegelt
> Ungleichgewicht Heute mischen im Fairen Handel auch große
> Handelsunternehmen, Börsenmakler und Großplantagen mit. Diese
> Kräfteverschiebung empfinden viele Kleinbauern als ungerecht. Das neue
> Produktlabel SPP soll ihnen zu mehr Stärke verhelfen
von Frank Herrmann
Faire Verbraucher mögen eine heile Welt: Sie wünschen sich Bananen von
zufriedenen Pflückern, T-Shirts von Näherinnen, die unter menschenwürdigen
Bedingungen arbeiten, und Kleinbauern, die strahlen, weil auf ihrem
Päckchen Kaffee ein bunter Aufkleber prangt, der ihnen faire Preise
garantiert.
Die Realität sieht anders aus: Erntehelfer sind auf Plantagen oftmals
giftigen Chemikalien schutzlos ausgesetzt, Näherinnen in Asien und anderswo
werden weiter schamlos ausgebeutet und den Kaffeebauern in Lateinamerika
ist das Lachen vergangen. Schuld daran sind nicht nur der Klimawandel und
Pilzbefall, sondern auch die veränderten Strukturen im Fairen Handel.
Ging es einst darum, Kleinbauern gerechtere Preise zu zahlen,
Zwischenhändler auszuschalten und Zugang zu den Weltmärkten zu ermöglichen,
mischen heute im Fairen Handel auch große Handelsunternehmen, Börsenmakler
und Großplantagen mit. Also genau die Vertreter ungerechter Anbau- und
Handelspraktiken, gegen die der Faire Handel einst angetreten war.
Diese Kräfteverschiebung empfinden viele Fairtrade-Kleinbauern als
ungerecht. „Partnerschaft auf Augenhöhe“, ein Leitspruch von Fairtrade,
sieht für Sie anders aus. Die Kleinproduzenten sehen sich durch
zertifizierte Plantagen ebenso benachteiligt wie durch ungerechte
Handelsstrukturen oder die Verwässerung von Fairtrade-Standards zugunsten
großer Handelsketten. Der Unmut der Kleinbauern fand eine Stimme im
lateinamerikanischen Produzentennetzwerk CLAC, stimmberechtigtes Mitglied
bei Fairtrade International. Im Jahr 2006 entstand bei der CLAC mit dem
SPP-Siegel ein eigenes Gütezeichen, mit dem seit 2011 Produkte aus
kleinbäuerlicher Herstellung gekennzeichnet werden.
Das ist ungewöhnlich. Denn in der Regel stammen die Besitzer von Sozial-
und Nachhaltigkeitssiegeln aus dem reichen Teil der Welt. So haben etwa
Fairtrade und Naturland Fair ihren Sitz in Deutschland, Ecocert in
Frankreich, UTZ Certified und die World Fair Trade Organization in den
Niederlanden und die Rainforest Alliance in den USA.
Doch brauchen wir bei der verwirrenden Siegelvielfalt überhaupt ein
weiteres Gütezeichen? Dieses schon, denn es gehört den Kleinbauern. Das
Siegel gebe ihnen die Möglichkeit, selbstbestimmt zu entscheiden, von
welchen Fairtrade-Regeln sie am meisten profitieren, heißt es bei SPP.
Konkret bedeutet dies beispielsweise für Kaffee höhere Mindestpreise und
eine höhere Bioprämie bei gleichzeitig niedrigeren Zertifizierungskosten
als bei Fairtrade. Zertifiziert werden können auch einzelne Kleinbauern im
Gegensatz zu Fairtrade, „wo als Voraussetzung immer demokratische
Organisationen notwendig sind“, so Claudia Brück von TransFair, dem
deutschen Ableger von Fairtrade International. Auch für die Lizenznehmer,
also die Unternehmen, die das Logo bei uns auf ihren Verpackungen
abdrucken, wird es spürbar billiger. Fallen bei Fairtrade 0,22 Euro pro
Kilo an, sind es bei SPP nur rund 7 Cent.
Hört sich alles gut an, wäre da nicht der niedrige Bekanntheitsgrad von
SPP. Er tendiert hierzulande gegen null. Das liegt auch an der mangelnden
Berichterstattung. Weder auf der Webseite des Forums Fairer Handel (FFH),
der nach eigenen Angaben „Stimme des Fairen Handels“, noch auf den Seiten
von TransFair oder der GEPA, Deutschlands größter Fairhandelsorganisation,
findet sich etwa zu SPP.
Zumindest bei der GEPA hält man ein Siegel von Kleinbauern für Kleinbauern
für sinnvoll und unterstützenswert. „Wir möchten Mitglied bei SPP werden
und befinden uns gerade im Aufnahmeprozess“, sagt Andrea Fütterer, Leiterin
der Abteilung Grundsatz. „Denn nur als Mitglied können wir sinnvoll an der
Verbesserung des Systems mitarbeiten.“ Noch gebe es einige Schwächen bei
SPP bezüglich des Standards und des Ablaufs der Zertifizierungen, so
Fütterer. Dennoch plane man einige Kaffees nach SPP-Kriterien einzukaufen,
allerdings ohne das Produktsiegel zu verwenden – seit einigen Jahren
gängige Praxis bei der GEPA.
Bei TransFair gibt man sich gelassen. SPP sei keine Konkurrenz zum
Fairtrade-Siegel, „die Kriterienentwicklung und das Management sind nicht
transparent nachvollziehbar und unterliegen auch nicht den
ISEAL-Richtlinien, sagt Claudia Brück. Auch beim FFH sieht man SPP noch
nicht auf einer Stufe mit den anerkannten Monitoring- und
Zertifizierungssystemen des Fairen Handels wie etwa WFTO, Fairtrade oder
Naturland Fair. Daher fand das Kleinbauernsiegel auch in der aktuellen
Imagebroschüre des FFH „100 % Fair – Der Faire Handel in Deutschland“ ke…
Berücksichtigung. Ebenso wenig wie die Genossenschaft Ethiquable
Deutschland, Tochter der gleichnamigen französischen
Fairhandels-Importorganisation, die immerhin seit 2009 auf dem deutschen
Markt aktiv ist.
Bei Ethiquable setzt man immer öfter auf das SPP-Siegel, das inzwischen den
Länderkaffee Ecuador, die Nuss-Nougat-Creme, Kochbananenchips oder
Kräutertees ziert. Vor allem viele im Ursprungsland weiterverarbeitete
Produkte tragen das Kleinproduzentensymbol. „Die höhere Wertschöpfung vor
Ort ist für SPP ein wichtiges Anliegen – und da treten sie bei uns offene
Türen ein“, sagt Klaus Kruse, Vorstand bei Ethiquable Deutschland.
„Hoffentlich erkennen auch andere Unternehmen die Bedeutung dieses Siegels
und helfen dabei, dessen Bekanntheitsgrad zu erhöhen.“
Der Weg dorthin ist lang und steinig. Denn bislang bieten in Deutschland
nur Ethiquable, der Düsseldorfer Verein ProGua (nur Kaffee) und demnächst
die GEPA (ebenfalls vorerst nur Kaffee) Produkte mit SPP-Siegel an.
Weltweit gibt es gerade einmal 15 registrierte Käufer SPP-zertifizierter
Produkte in acht Ländern. Zu wenig auf Dauer, um den Durchbruch zu
schaffen. Dafür braucht es teure Werbung und viel Verbraucherkommunikation.
So etwas wie die im Jahr 2003 von der Bundesregierung finanzierte, groß
angelegte Kampagne „fair feels good“. Sie verhalf seinerzeit dem
Fairtrade-Siegel in Deutschland zum Durchbruch.
Frank Herrmann ist Koautor des Ratgebers „Fair einkaufen – aber wie?“, 5.
Auflage 2015
17 Sep 2016
## AUTOREN
Frank Herrmann
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