# taz.de -- Amerika als Knochenjob | |
> Foto Ein Land, zerrissen in Schwarzweiß, von der Großen Depression bis | |
> zur Bürgerrechtsvision von Martin Luther King – C/O Berlin im Amerikahaus | |
> zeigt mit der „I am You“-Schau die Arbeit des Fotografen und | |
> Filmregisseurs Gordon Parks | |
Bild: Der Kickstarter von Parks‘ Fotografenkarriere: „American Gothic“, W… | |
von Ralf Hanselle | |
Die Warnung der Mutter sollte nicht folgenlos bleiben. Noch im hohen Alter | |
musste sich Gordon Parks an sie erinnern: „Komm mir ja nicht nach Hause, | |
wenn du die Dinge nicht besser gemacht hast als irgendein weißer Junge.“ | |
Dieser Satz hatte ihn durchs Leben getrieben. Am Ende konnte der 1912 | |
geborene und vor zehn Jahren verstorbene Fotograf nahezu alles. Manches | |
besser, manches schlechter: Drehbücher schreiben und Klavier spielen, Verse | |
dichten und Musik komponieren. Selbst Schauspielerei und Filmregie (zum | |
Beispiel bei „Shaft“) hatte er in den 93 Jahren seines Lebens zu seiner | |
Profession machen können. | |
Besonders aber auf dem Gebiet der Fotoreportage konnte Gordon Parks so | |
schnell kein Weißer das Wasser reichen. Gerade einmal 29 Jahre alt war der | |
Sohn eines verarmten Gemüsebauern, als er von der legendären Farm Security | |
Administration (FSA) den Auftrag erhielt, die Auswirkungen der Großen | |
Depression auf die schwarze Bevölkerung Amerikas zu dokumentieren. | |
Es war nicht irgendein Job. Es war die Anstellung, mit der man Geschichte | |
festhielt: Unzählige vor ihm hatten das bewiesen. Walker Evans hatte für | |
die FSA sein epochales Werk „Let Us Now Praise Famous Men“ aufgenommen. | |
Dorothea Lange hatte im Auftrag der Regierungsorganisation ihre | |
unvergessene „Migrant Mother“ fotografiert. All diese Bilder hatte Parks im | |
Gedächtnis. All die Reportagen über die Schattenseiten der Vereinigten | |
Staaten. Sie hatten den ambitionierten Wanderarbeiter aus Fort Scott in | |
Kansas auf die Idee gebracht, seine erste eigene Kamera zu kaufen. 7 Dollar | |
soll er für sie bezahlt haben. Eine Investition in die Zukunft. | |
Was aus diesen 7 Dollar geworden ist, das ist derzeit bei C/O-Berlin im | |
Amerikahaus zu sehen. Unter dem Titel „I am You“ hat Hauskurator Felix | |
Hoffmann Höhepunkte aus Parks’ Schaffen versammelt: frühe Reportagen für | |
das Magazin Life, Modestrecken sowie narrative Sequenzen und | |
Künstlerporträts. 180 Fotos, dazu Filmsequenzen, vergrößerte Kontaktbögen | |
und Magazinausschnitte erzählen vom Schaffen eines Autodidakten, der zu | |
einem der außergewöhnlichsten Fotoreporter Amerikas wurde. | |
Es war die Herkunft, die Parks’ Werk geprägt hat – der unstillbare Hunger | |
nach Zugehörigkeit und der Ehrgeiz, der ihm wie ein Gespenst im Nacken saß. | |
„Ich habe Böses überlebt, aber ich habe dem Bösen nie erlaubt, mir meine | |
Entfaltungsfreiheit zu rauben.“ Denn es hätte auch alles ganz anders kommen | |
können. Was es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hieß, „young, | |
gifted and black“ zu sein, das zeigt bereits das erste Bild in der | |
Ausstellung: Eingeklemmt zwischen Besen und Wischmopp schaut man auf eine | |
Putzfrau in einem Washingtoner Regierungsgebäude. Im Hintergrund glänzt die | |
US-amerikanische Fahne. Rechts erstrahlt blitzblank eine teure Kommode. | |
„American Gothic“ hat Parks die 1942 entstandene Aufnahme betitelt. | |
Die afroamerikanische Frau, die Amerika säubert, wurde sein Durchbruch. | |
Titel und Komposition waren dabei ironische Verweise auf das gleichnamige | |
Puritaner-Glück, das Parks’ Landsmann Grant Wood ein Jahrzehnt zuvor in | |
seinem berühmten Gemälde in Öl fixiert hatte. Parks zeigte die | |
wortwörtliche Kehrseite von Woods weißer und angelsächsischer | |
Spießeridylle: Amerika als Knochenjob. | |
Bald folgten Aufträge für große Magazine. Parks fotografierte Bandenkämpfe | |
in Harlem, er dokumentierte den Alltag in einer ersten psychiatrischen | |
Klinik für Weiße und Schwarze, und er begab sich auf die Spurensuche des | |
Verbrechens. Immer wieder ist es ihm dabei gelungen, dicht an die | |
Ereignisse heranzurücken. Er ist mit Polizisten auf Streife gefahren, er | |
hat das Vertrauen schwarzer Gangmitglieder in New York gewinnen können. | |
Irgendwie war er immer mit seinen Geschichten verwoben. Das Thema, das den | |
ersten farbigen Redaktionsfotografen des Magazins Life umtrieb, so beweist | |
diese Ausstellung, war im Kern das Thema seines eigenen Lebens: Schwarzsein | |
im angeblich weißen Amerika. Als in den 1960er Jahren die | |
Bürgerrechtsbewegung an Fahrt gewann, schuf Parks große Bildreportagen über | |
das Umfeld von Malcolm X oder über den „March on Washington“. Damals, im | |
August 1963, ist ihm erneut ein bis heute unvergessenes Foto gelungen: | |
Wieder zeigt das Schwarzweißbild die amerikanische Fahne – Linien, getrennt | |
in Hell und in Dunkel. Darüber aber hat sich ein Mann erhoben: der | |
Bürgerrechtler Martin Luther King. Mit ihm hat Gordon Parks eine | |
uneingelöste Vision geteilt: „Ich wurde einmal gefragt, ob ich an eine Zeit | |
glaube, in der die Menschheit vereint sein wird. Alles, was wir tun können, | |
ist hoffen und träumen.“ | |
Gordon Parks: „I am You. Selected Works 1942–1978“ im C/O-Berlin, | |
Hardenberg-str. 22–24. Bis 4. Dezember, tgl. 11-20 Uhr | |
17 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Hanselle | |
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