# taz.de -- Berliner Szenen: Im Halteverbot | |
> Der Politeur | |
Es klopft an die Scheibe. Es ist ein Herr vom Ordnungsamt. Ich lasse das | |
Fenster runter. „Sie wissen, dass Sie hier im absoluten Halteverbot | |
stehen?“ Ich nicke. Trotzdem habe ich in der Wendeschleife vor dem | |
Ringcenter 1 gehalten, wohl wissend, dass ich so die Zufahrt zur | |
Warenannahme blockiere. Aber erstens könnte ich jederzeit wegfahren und | |
zweitens ist um 17 Uhr nicht mehr damit zu rechnen, dass noch etwas | |
geliefert wird. | |
„Ich stehe hier nur, weil ich auf meine verletzte Freundin warte.“ | |
Der Politeur schaut mich misstrauisch an. | |
„Verletzte Freundin?“ | |
„Sie hat sich den Fuß gebrochen. Ich hole sie ab. Das Laufen mit Krücken | |
bereitet ihr große Mühe.“ | |
Sein Zögern und sein Mienenspiel lassen erkennen, dass er einen inneren | |
Konflikt zu bewältigen hat: Menschlichkeit zeigen oder auf Einhaltung von | |
Recht und Ordnung beharren? Er entscheidet sich für einen salomonischen | |
Kompromiss, der ihn das Gesicht wahren lässt und mir ermöglicht, mein | |
Versprechen zu halten. | |
„Fahren Sie bitte dorthin!“ Ich setze meinen Wagen zehn Meter um. Jetzt | |
stehe ich zwar noch genauso im absoluten Halteverbot, aber näher an der | |
Currybude. | |
Da kommt auch schon Melanie. Ihr Anblick ist ziemlich schockierend. Statt | |
sich auf sie zu stützen, trägt meine Freundin die Krücken unterm linken | |
Arm. Mit der rechten Hand telefoniert sie. Ihr Schritt ist flott. Würde sie | |
nicht ihren Kunststoffschalenschuh mit Vakuumkissen tragen, würde man ihr | |
die Behinderung nicht abnehmen. Fehlt nur noch, dass sie anfängt, auf ihrem | |
gebrochen Fuß zu hüpfen. Zum Glück bemerkt der Knöllchenmann nichts, weil | |
er gerade mit einem anderen Falschparker beschäftigt ist. Er würde uns | |
wahrscheinlich statt null gleich zwei Strafzettel geben. Stephan Serin | |
9 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Stephan Serin | |
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