| # taz.de -- Umweltbildung mit jungem Gemüse | |
| > Grüner Lernort Schon seit fast 100 Jahren gibt es in Berlin | |
| > Gartenarbeitsschulen. Doch erst seit Mai sind sie im Schulgesetz | |
| > verankert. Dadurch soll ihre Finanzierung sicherer werden – wirkliche | |
| > Planungssicherheit aber verhindert noch das Berliner Haushaltsrecht | |
| Bild: Der Mann fürs Grüne: Helmut Krüger-Danielson leitet das Schul- und Umw… | |
| von Jana Tashina Wörrle | |
| Die Sonne brutzelt, die Sprinkleranlagen sind an diesem Morgen voll | |
| aufgedreht und bewässern die kleinen Gemüsefelder, die Obstbäume | |
| und Kräuterbeete. Nach und nach watscheln Gruppen mit Kita-Kindern | |
| und rennen Klassen von Grundschülern auf das Gelände. | |
| Vor dem Bürogebäude der Gartenarbeitsschule stehen fünf Knirpse | |
| in Reih und Glied und bekommen gerade ein Radieschen in die Hand | |
| gedrückt. Sie mustern es neugierig. Einige beißen direkt zu, | |
| andere sind zögerlich. Als sie zu ihrem Gartenstück laufen, wird | |
| klar, welches Thema sich die Erzieherinnen der Kita für heute | |
| ausgedacht haben: Sie pflanzen selbst Radieschen, und weil man an den | |
| Samen noch nicht erkennen kann, was später daraus wird, gibt es erst | |
| einmal schon fertige rote Knollen. | |
| Über 40.000 Besucher hat das Schul- und Umwelt-Zentrum Mitte (SUZ), zu | |
| der das Gelände der Gartenarbeitsschule in der Scharnweberstraße | |
| gehört, jedes Jahr. Kita-Kinder und Schüler kommen regelmäßig, um | |
| sich hier um eigene Beete kümmern. Andere Besucher schauen nur | |
| einmalig vorbei oder zu ganz bestimmten Projekten. | |
| „Kids an die Kartoffel“ etwa. Da trifft man sich an vier Tagen im Jahr. | |
| „Wir legen die Kartoffeln in die Erde, dann müssen sie angehäufelt | |
| werden, als Nächstes steht das Ernten auf dem Programm, und dann | |
| bereiten wir sie gemeinsam zu“, erklärt Helmut Krüger-Danielson. Er | |
| ist Biologie- und Geografielehrer. Zu vermitteln, wie unsere | |
| Grundnahrungsmittel wachsen und was man dafür tun muss, ist ihm | |
| wichtig. Schon seit 1992 leitet Krüger-Danielson das SUZ und kämpft | |
| dafür, dass die Gartenarbeitsschulen in der Berliner | |
| Bildungspolitik einen besseren Stand bekommen und eine stabilere | |
| Finanzierung. | |
| ## Neu gefasstes Schulgesetz | |
| Nach langem Warten tut sich jetzt endlich was. Seit 9. Mai gibt es eine | |
| neue Fassung des Berliner Schulgesetzes, in dem nun auch die | |
| Gartenarbeitsschulen einen festen Platz haben – gemeinsam mit den | |
| Jugendkunst- und den Jugendverkehrsschulen. In Paragraph 124a ist | |
| festgehalten, dass jeder Bezirk jeweils eine dieser | |
| außerschulischen Angebote unterhält und welche Aufgaben sie | |
| haben. | |
| Bisher war das im Schulgesetz nur für die Musikschulen und die | |
| Volkshochschulen vermerkt – und damit auch nur deren Finanzierung | |
| gesichert. „Jetzt steht offiziell fest, dass es uns gibt und dass wir | |
| auch Geld bekommen“, sagt Helmut Krüger-Danielson und lächelt, | |
| während er schon mal Luft holt, um gleich ein „aber“ hinterher zu | |
| schieben. | |
| Denn die finanzielle Situation ist aus seiner Sicht nach wie vor | |
| intransparent. Um wirklich eine sichere finanzielle Position | |
| zu haben, genügt der Paragraph im Schulgesetz nicht, denn den | |
| Gartenarbeitsschulen fehlt eine sogenannte Produktnummer. Und im | |
| Berliner Haushaltsrecht ist eine Regelfinanzierung zwingend an | |
| das Vorhandensein einer Produktnummer geknüpft. | |
| Ob Gartenarbeitsschule, Jugendkunst- oder Jugendverkehrsschule | |
| – keine hat bisher eine solche Nummer und somit werden die Kosten, | |
| die Jahr für Jahr für das Personal und den Unterhalt der | |
| Einrichtungen anfallen, immer einem anderem Produkt hinzugebucht. | |
| Das ist meist die Produktnummer, die für die Grundschüler in den | |
| Bezirken angesetzt ist. | |
| Das Gehalt von Krüger-Danielson selbst ist zwar wie bei den Lehrern | |
| über die Senatsverwaltung für Bildung gesichert, doch er bangt um | |
| seine vier Mitarbeiter, die der Bezirk Mitte bezahlt. „Es ist immer | |
| wieder die große, ungeklärte Frage, woher der Bezirk die Mittel für | |
| die Gartenarbeitsschulen nimmt“, sagt der 64-Jährige. Daran ändert | |
| auch der Eintrag ins Schulgesetz nichts. Genauso wenig wie der | |
| finanzielle Zuschuss, den die Gartenarbeitsschulen in diesem und | |
| im kommenden Jahr vom Land Berlin erwarten können. Im | |
| Doppelhaushalt 2016/2017 sind für die außerschulischen Lernorte | |
| pro Jahr jeweils zwei Millionen Euro – zur „Stärkung und zum Ausbau“ | |
| wie es in einem dazugehörigen Dokument der | |
| Senatsbildungsverwaltung heißt – enthalten. | |
| Die Gartenarbeitsschulen bekommen davon pro Standort rund 30.000 | |
| Euro. Für das SUZ bedeutet das eine deutliche Aufstockung der Mittel | |
| in den zwei Jahren, die Krüger-Danielson für Lehr- und Lernmaterial | |
| einplanen kann. Normalerweise hat er dafür rund 15.000 Euro pro Jahr | |
| zur Verfügung – für Saatgut, Gießkannen, Werkstoffe und andere | |
| Gartenmaterialien, die für die Schulbeete und für Projekte | |
| benötigt werden. „Bücher sind bei uns eher zweitrangig“, erklärt er | |
| und erzählt von einem schon lang gehegten Wunsch der Gartenpädagogen | |
| in Mitte: „Wir würden gerne einen Lehmbackofen bauen für unser Projekt | |
| ‚Vom Korn zum Brot‘, aber bislang fehlte uns das Geld dafür.“ | |
| ## Finanziell in der Schwebe | |
| Ob der Wunsch mit den Zuschüssen erfüllt werden kann, ist noch | |
| ungeklärt. Weder normale Unterhaltskosten dürfen damit | |
| finanziert werden noch Bauvorhaben – und zu diesen könnte auch ein | |
| Lehmbackofen zählen. Obwohl das Geld schon für dieses Jahr im | |
| Haushalt fest eingeplant ist, ist bei SUZ noch nichts davon | |
| angekommen, geschweige denn klar, wann sich Land und Bezirke | |
| einigen, wer es wie und wann auszahlt – voraussichtlich wird das | |
| Gartenjahr 2016 dann schon dem Ende entgegengehen. | |
| Nichtsdestotrotz bedeuten die zusätzlichen Mittel eine | |
| Erleichterung für die Gartenarbeitsschulen – aber keine fest | |
| planbare. Ohne ordentliche Produktnummer bleibt der | |
| Schwebezustand. | |
| Helmut Krüger-Danielson irritiert zudem noch ein kurzer Satz, der | |
| Einzug in das Schulgesetz gefunden hat. In §124a Absatz 1 heißt es | |
| zur Verpflichtung, dass jeder Bezirk eine Gartenarbeitsschule | |
| unterhält: „Diese Verpflichtung kann auch durch Kooperationen mit | |
| strukturell vergleichbaren Einrichtungen erfüllt werden.“ Was so | |
| viel bedeutet wie, dass auch freie Träger statt die Bezirke selbst die | |
| Gartenarbeitsschulen betreiben können. „Das könnte im schlimmsten | |
| Fall mit sich bringen, dass gärtnerisches Personal entlassen und zu | |
| deutlich schlechteren Bedingungen wieder eingestellt wird. | |
| Zusätzlich befürchte ich, dass dann die Angebote einer Kommerzialisierung | |
| unterliegen“, so der SUZ-Leiter und Sprecher der | |
| Interessengemeinschaft Berliner Gartenarbeitsschulen. | |
| Bislang bezahlen Schüler und Kita-Kinder nichts, wenn sie im SUZ | |
| Mitte ein eigenes Beet anlegen, Kartoffeln ernten oder im | |
| Gewächshaus einmal ausprobieren wollen, wie man in der Großstadt | |
| sogar Ananas und Zitronen anbauen kann. Und das wird auch in großer | |
| Zahl genutzt. Umweltbildung ist Teil des staatlichen | |
| Bildungsauftrages und sollte Krüger-Danielson zufolge deshalb | |
| auch im Kern in der staatlichen Verantwortung bleiben. | |
| Seine Bedenken teilte übrigens ursprünglich auch die | |
| Senatsverwaltung für Bildung. Bevor die Gesetzesänderung in Kraft | |
| trat, hat sie eine Stellungnahme dazu abgegeben und kritisiert | |
| denselben Satz wie Krüger-Danielson. In der Stellungnahme heißt es, | |
| dass die Formulierung „strukturell vergleichbare Einrichtungen“ | |
| von dem Ziel abweiche, eine Weiterentwicklung der Standards in den | |
| Gartenarbeitsschulen zu erreichen und die existierenden | |
| Gartenarbeitsschulen und deren Liegenschaften zu erhalten und | |
| abzusichern. | |
| Sprecherin Beate Stoffers sagt dazu: „Das Parlament als Gesetzgeber | |
| hat entschieden, diesen Satz in das Schulgesetz aufzunehmen. Aus | |
| der Sicht unseres Hauses war er nicht erforderlich.“ Das heiße aber | |
| deswegen nicht, dass dadurch zwingend die Qualität der | |
| Gartenarbeitsschulen leide. | |
| Ihre Chefin, Bildungssenatorin Sandra Scheeres, lässt sich mit den | |
| Worten zitieren: „Ziel der schulgesetzlichen Verankerung ist eine | |
| nachhaltige Aufwertung der Arbeit der Gartenarbeitsschulen als | |
| außerschulische Lernorte.“ Die Erfahrungen, die hier gesammelt | |
| werden können, seien vor allem für Kinder aus innerstädtischen | |
| Ballungsräumen von herausragender Bedeutung. | |
| ## Bewährtes Angebot | |
| Das Gartengelände wird nun am späteren Vormittag immer voller. | |
| Überall wuseln Kinder umher – zwischen den Obstbäumen, Töpfen mit | |
| Kräutern und mitten durchs Gewächshaus. | |
| Nur etwa 35 Prozent der Berliner Schulen haben eigene Schulgärten. | |
| Zwar hat der Landeselternausschuss die Senatsbildungsverwaltung | |
| erst kürzlich dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Zahl der | |
| Schulgärten wächst und die Umweltbildung in diesem Bereich gestärkt | |
| wird. Ziel sind 90 statt 35 Prozent. | |
| Doch das ist bislang nur reine Theorie. In der Praxis haben sich die | |
| Gartenarbeitsschulen mit ihren Angeboten schon lange bewährt und | |
| bieten vielen Schülern und Kita-Kindern die Möglichkeit, Gärtnern | |
| zu lernen. Obwohl Helmut Krüger-Danielson sich keineswegs als | |
| Traditionalist bezeichnen will – „ich bin durchaus ein Fan von | |
| Urban-Gardening-Projekten und allem Neuen, was mit dem Gärtnern zu | |
| tun hat“ – findet er es manchmal bedauerlich, dass er so um den Stand | |
| der Gartenarbeitsschulen kämpfen muss. | |
| 26 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jana Tashina Wörrle | |
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