# taz.de -- Der informelle Sektor Kunst | |
> Kunst Das Motto der 11. Manifesta in Zürich lautet „What People Do For | |
> Money“. Die griechische Künstlerin Georgia Sagri hat eine Videoarbeit | |
> darüber gemacht, was Künstler für die Manifesta leisten sollen | |
Bild: Georgia Sagri, Documentary of Behavioural Currencies, Installation View, … | |
Interview von Gina Bucher | |
taz: Frau Sagri, aus einer Liste von 1.000 Berufen, die in Zürich ausgeübt | |
werden, haben Sie sich als Gastgeberin eine Bankerin ausgesucht. Was ist | |
aus dieser Kollaboration entstanden? | |
Georgia Sagri: Aus den Begegnungen mit Josephin Varnholt ist die Arbeit | |
„Documentary of Behavioral Currencies“ entstanden. Die zwei identischen | |
Skulpturen, bestehend aus einem Video, Textfahnen und je einem Porträt, | |
werden sowohl in der Manifesta-Ausstellung im Löwenbräu als auch in der | |
Bank Julius Bär, dem Arbeitsplatz von Frau Varnholt, gezeigt. Die | |
Installationen dokumentieren den Versuch, wie Josephin Varnholt und ich | |
die Abstände zu überwinden versuchen, die uns aufgrund unserer | |
unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen trennen. | |
Zudem ist eine zweite Arbeit mit dem Titel „Georgia Sagri as Georgia Sagri | |
(still without being paid as an actress)“ entstanden, die die Reaktionen | |
des kuratorischen Teams der Manifesta auf die erste Arbeit reflektiert und | |
zugleich die Zusammenarbeit mit der Manifesta überhaupt. Diese Arbeit zeige | |
ich in der Galerie Up State, die nicht Teil der offiziellen | |
Manifesta-Ausstellung ist. | |
Sie legen den Vertrag zwischen Ihnen und der Manifesta offen. Warum? | |
Es ging mir darum, die Idealisierung der Arbeit und ganz konkret die | |
Idealisierung der künstlerischen Arbeit zu durchbrechen. Und das heißt eben | |
auch, offenzulegen, was es bedeutet, wenn Künstler bestimmte Arbeiten für | |
Geld erledigen. Im Rahmen der Manifesta stand jedem Künstler ein bestimmtes | |
Budget zu. Gleichzeitig wurden von den Künstlern Making-of Videos erwartet, | |
um weitere Gelder für die Manifesta zu akquirieren und so zumindest einen | |
Teil der Aufgaben der Kuratoren zu übernehmen. Das wollte ich nur unter der | |
Bedingung machen, nicht selbst als Künstlerin, sondern als Schauspielerin | |
zu erscheinen, die innerhalb dieses Manifesta-Marketing-Rahmens die Rolle | |
der Künstlerin Georgia Sagri spielt. Gerade im Kontext einer Ausstellung | |
mit dem Titel „What People Do For Money“ sollte diese Rolle, mein | |
öffentliches, zur Schau gestelltes Auftreten und das heißt auch meine | |
Arbeitskraft, nicht nur richtig bezahlt, sondern auch öffentlich | |
artikuliert werden. | |
In Ihrer zweiten Arbeit sieht man, wie Sie mit zwei unkenntlich gemachten | |
Personen des Manifesta-Teams diskutieren. Worüber verhandelten Sie? | |
In der Diskussion geht es genau um diese Frage der Artikulation, also | |
darum, wie dieses Video im Manifesta-Katalog erwähnt wird. Mir war es | |
wichtig, dass mein Making-of Video unter dem Titel „Georgia Sagri as | |
Georgia Sagri (still without being paid as an actress)“ aufgeführt wird. | |
Der Titel sollte verdeutlichen, dass mein Erscheinen dort nicht | |
selbstverständlich ist und vor allem nicht authentisch ist, wenn man so | |
will. Sie meint die Arbeit an einer Rolle, die nichts mit dem Ideal einer | |
künstlerischen Profession zu tun hat. | |
Warum sind Ihnen diese Verhandlungen wichtig? | |
Sie sind, was ich „Behavioral Currencies“, also Verhaltenswährung nenne. | |
Ich wollte dokumentieren, wie sich Menschen verhalten, wenn sie verhandeln; | |
wie sie ihr Einverständnis geben oder entziehen und auf welche Weise sie | |
mit Konflikten umgehen. All diese Arten des Benehmens sind Währungstypen, | |
weil die Entscheidung darüber, ob wir etwas tun oder nicht tun, einen | |
bestimmten Wert haben. Letztlich bezahlen wir nämlich den anderen auch in | |
Form von hartem Geld, je nachdem, wie er sich in solchen Verhandlungen | |
verhält. | |
Sind Sie mit Ihren Verhandlungen zufrieden? | |
Ich bin sehr glücklich mit der Arbeit und wie sie nun im Katalog | |
präsentiert wird. Ich musste zwar hart verhandeln, aber letztlich geht es | |
in der Arbeit eben genau darum. In meinem konkreten Fall ging es dabei auch | |
darum, sichtbar zu machen, dass selbst die bürokratischen und verwaltenden | |
Strukturen von künstlerischen Institutionen auf eine Art angelegt sind, | |
dass sie aus der Arbeit der Künstler nicht nur Kapital schlagen, sondern | |
ein verdinglichtes ideales Bild der künstlerischen Arbeit vermitteln, das | |
nicht der Realität entspricht. | |
Wie verhalten sich KünstlerInnen und Institutionen zueinander? | |
Das Verhältnis lässt sich als ein großes Missverständnis beschreiben: | |
Obwohl man ohne die Arbeit des Künstlers überhaupt nichts zeigen und | |
ausstellen könnte, obwohl die Institutionen ohne den Künstler sinnlos | |
wären, muss sich der Künstler seltsamerweise allen möglichen Entscheidungen | |
beugen, die mit dem Branding, dem Marketing und der Außendarstellung einer | |
solchen Institution wie der Manifesta zu tun haben. Im Übrigen gilt das | |
auch für die Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass ein Werk überhaupt | |
installiert wird und ohne die ebenfalls keine Ausstellung zustande kommen | |
würde. Mir ging es darum, auf diese Verhältnisse, die Rollenverteilungen | |
und Zwänge aufmerksam zu machen. Denn wenn wir glauben, dass es sich hier | |
um natürliche Zwänge handelt, die man einfach so hinnehmen muss, erliegen | |
wir einer fatalen Illusion. | |
In welcher Rolle sehen Sie sich als Künstlerin? | |
Ich bin Künstlerin, ich werde nicht dafür bezahlt, die Arbeit der Kuratoren | |
und Manager zu machen. Wenn ich ein Werk schaffe, dann nach meinem | |
Verständnis – so, wie ich möchte, dass Menschen meine Arbeit sehen, und das | |
bedeutet eben zugleich immer auch, wie sie die Welt sehen: Ich versuche in | |
meinen Arbeiten nicht nur zu verstehen, wie die Welt hier und heute ist, | |
sondern auch, wie sie in Zukunft sein könnte. Die Kunst hat immer den | |
Vorteil, dem Betrachter intellektuelle Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, | |
um Situationen und ihre Grenzen und die hinter diesen Grenzen liegenden | |
Möglichkeiten verstehen zu können. So verstehe ich die Funktion meiner | |
Arbeit: Ich versuche mich und meine Sicht auf die Welt über meine Werke zu | |
artikulieren. | |
Sie bezeichnen Ihre künstlerische Praxis als „abenteuerliches Verhalten“ �… | |
was meinen Sie damit? | |
Wenn ich in die Bank gehe, um dort mit Frau Varnholt zu sprechen, dann | |
betrete ich einen fremden, mir unbekannten Raum. Ich betrete diesen Raum | |
aber sehr bewusst, mit einem Sinn für das verborgene Abenteuer, wenn Sie so | |
wollen. Anders ausgedrückt, versuche ich mein Anliegen in verschiedenen | |
linguistischen, rhetorischen und sozialen Systemen zu artikulieren, und das | |
ist abenteuerlich. Denn meine künstlerische Produktion steht, wie im | |
übrigen Kunst im allgemeinen, notwendigerweise in Wechselwirkung zu anderen | |
Systemen, die nicht unbedingt etwas mit Kunst zu tun haben. | |
Der Kunstkontext ist immer schon Teil anderer gesellschaftlicher und | |
kultureller Zusammenhänge, beispielsweise setzt auch die Kunst eine | |
bestimmte gesellschaftliche Übereinkunft voraus, wie die sogenannte | |
Lohnarbeit gesellschaftlich organisiert ist. Wenn man sich über diese | |
Zusammenhänge bewusst ist, wenn man versteht, dass es keine getrennten | |
Systeme gibt, dass alle Systeme miteinander verbunden sind und sich | |
beeinflussen, wird man feststellen, dass viele dieser Systeme unflexibel | |
geworden sind; dass sie die agierenden Personen von vornherein in ihren | |
Handlungen einschränken. Als Künstler aber hat man aufgrund der | |
symbolischen Produktion die Möglichkeit, sich zwischen verschiedenen | |
Systemen zu bewegen und von einem System ins andere zu übersetzen und so | |
Blickpunkte und Möglichkeiten offenzulegen. Wenn ich das nicht kann, habe | |
ich meine Arbeit als Künstlerin nicht gut gemacht. Dann habe ich nicht | |
erreicht, was ich mit meiner Arbeit eigentlich erreichen möchte. | |
Worin bestand für Sie das Abenteuer mit der Bankerin? | |
Ich hatte mich aus verschiedenen Gründen dafür entschieden, eine weibliche | |
Bankerin zu treffen. Obwohl es sich bei einer Bankerin und einer Künstlerin | |
auf den ersten Blick um zwei Professionen handelt, die unterschiedlicher | |
nicht sein könnten, gibt es eine Menge an erstaunlichen Übereinstimmungen | |
zwischen uns, was zweifellos mit den gesellschaftlichen Mechanismen und | |
genderspezifischen Stereotypen zu tun hat. Unabhängig vom eigentlichen | |
Beruf kämpfen Frauen immer noch um Anerkennung in ihrer Arbeitswelt – | |
Josephin Varnholt als Bankerin genauso wie ich als Künstlerin. Wir haben in | |
dieser Hinsicht sehr viel mehr gemeinsam als zum Beispiel der Kurator | |
Christian Jankowski und ich, obwohl wir beide Künstler sind. Hier wird also | |
eine generelle oder sagen wir: strukturelle Form sozialer Ungerechtigkeit | |
sichtbar, die sich allein auf den Unterschied Mann/Frau bezieht. Daher | |
scheint mir die Analyse unseres Verhaltens wichtig, einer Analyse also, die | |
in der Lage ist zu erklären, wie wir unsere Beziehungen untereinander | |
konstruiert haben und wie wir sie konstruieren könnten. Dasselbe gilt auch | |
für unsere Beziehung zum gesellschaftlichen System als solchem, und dieser | |
Beziehung können wir neue Formen geben. | |
22 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Gina Bucher | |
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