# taz.de -- Gartenzwerge gegen die AfD | |
> Die Letzten der Liste (VI) Dirk Stamer tritt in Mecklenburg-Vorpommern | |
> für die SPD an. Populistische „Effekthascherei“ ist ihm zuwider – er w… | |
> als guter Zuhörer überzeugen | |
Aus Krimowitz Felix Hackenbruch | |
Über Dirk Stamer strahlt Dirk Stamer. In seinem kleinen Arbeitszimmer | |
prangt auf einem großen Wahlplakat das Konterfei des 36-Jährigen. Im | |
Holzregal darunter liegt eine rote Bundeswehrkappe aus seiner | |
Wehrdienstzeit, daneben Fantasybücher, ein Globus und zwei ferngesteuerte | |
Hubschrauber. Besonders gerne spiele er mit dem ferngesteuerten | |
Mini-U-Boot, berichtet er. | |
Als Einziger unter den Letzten der Landeslisten der Parteien kann sich Dirk | |
Stamer ernsthaft Hoffnung auf den Einzug in den Schweriner Landtag machen. | |
Im Wahlkreis 12, der sich wie ein Gürtel um Rostock schmiegt, tritt er als | |
Direktkandidat für die SPD an. Der Wirtschaftsinformatiker tritt ein großes | |
Erbe an. Bei der letzten Wahl holte der damalige SPD-Minister für Energie | |
und Infrastruktur, Volker Schlotmann, hier mit 32,2 Prozent knapp vor der | |
CDU das Direktmandat. Als Schlotmann sich 2014 aus gesundheitlichen Gründen | |
zurückzog, ging das Mandat an einen SPD-Vertreter aus Vorpommern, und der | |
Wahlkreis 12 hatte keinen Abgeordneten mehr. Jetzt muss Stamer also | |
gewinnen. Druck spüre er trotzdem keinen. „Ich habe ja noch kein Mandat und | |
kann deshalb auch nichts verlieren“, sagt der zweifache Vater, der mit | |
seiner Frau in einem verwachsenen Einfamilienhaus im beschaulichen Kritzmow | |
– einem Vorort von Rostock – lebt. Im Jahr 2014 zog er hierher, trat der | |
SPD bei, wurde Gemeindevertreter von Kritzmow. Überhaupt: „Einen Wahlkreis | |
zu gewinnen, halte ich für die ehrlichste Form, ein Volksvertreter zu | |
sein.“ | |
Angesichts der chronischen SPD-Schwäche kein einfaches Unterfangen. Nach | |
ihrem Triumph vor fünf Jahren, als man unter Erwin Sellering 36,5 Prozent | |
holte, ist sie nach letzten Umfragen auf 22 Prozent abgestürzt. Warum, kann | |
sich Stamer nicht so richtig erklären. „Wenn man sieht, wo wir herkommen, | |
hat sich in den letzten Jahren doch vieles verbessert“, findet er, und | |
verweist auf die gesunkene Arbeitslosigkeit, den Ausbau der Autobahnen, den | |
Schuldenabbau und neue Stellen im Bildungsbereich. „Aber was im Bund schief | |
läuft, dass fällt auf uns zurück“, sagt er. | |
„Die Menschen wissen ja häufig gar nicht mehr, für was die SPD und ihr | |
Abgeordneter steht – das würde ich ändern, wenn ich in den Landtag | |
einziehe“, verspricht er. Ein jährliches Informationsblatt für alle | |
Menschen im Wahlkreis kann er sich dafür vorstellen. Schon jetzt hat er an | |
alle 23.000 Haushalte seines Wahlkreises Postkarten geschickt. Dort heißt | |
es: „Wie wäre es, wenn wir bei Ihnen zu Hause bei Kaffee und Kuchen über | |
die Zukunft unseres Landes sprechen? Den Kuchen dazu bringe ich mit.“ | |
Rund 20 Leute meldeten sich bei Stamer und erzählten ihm von ihren Sorgen. | |
„Eine Mutter, die jetzt wieder arbeitet, erzählte mir, dass ihr am | |
Monatsende der Verdienst wegen der Kitakosten nur 50 Euro mehr bringe“, | |
berichtet Stamer. Er plädiert für die gestaffelten Kita-Subventionen der | |
SPD. | |
Seine Erfahrungen aus den Kuchengesprächen hat Stamer zu seinen | |
Wahlkampfthemen gemacht. Zusammengefasst in kurze Sätze hat er sie nicht | |
nur in Infoflyer gedruckt, sondern auch auf Schilder von Gartenzwergen. | |
Sieben Zwerge sind es geworden, die jetzt im ganzen Wahlkreis verteilt | |
stehen. Darauf Slogans wie: „2.600 Euro monatlich bekommt man im Westen im | |
Schnitt. Wird Zeit, dass wir von den 1.950 Euro raufkommen – sagt der | |
Stamer auch.“ Auf die Idee mit den Gartenzwergen sei er selbst gekommen, | |
erklärt er stolz. Stamer findet sie „modern“. „Wahlkampf mit Gartenzwerg… | |
gab es wahrscheinlich noch nie. Genauso möchte ich auch Politik machen: | |
Immer wieder neue Wege wagen.“ | |
Ob es dazu kommt, hängt stark vom Abschneiden der AfD ab. Laut Umfragen | |
kommen die Rechtspopulisten aus dem Stand auf fast 20 Prozent, darunter ist | |
ein großer Teil ehemalige SPD-Wähler. Stamer hält auch das für ein | |
Kommunikationsproblem: „Wenn sich die potenziellen AfD-Wähler mal das | |
AfD-Parteiprogramm durchlesen würden, dann würden sie erkennen, dass die | |
zum Beispiel die Wegnahme des Mindestlohns fordern.“ Er wolle im Wahlkampf | |
intensiv auf solche Dinge hinweisen, versichert er. Besonders | |
angriffslustig klingt er dabei nicht. Es wirkt, als ob die AfD die SPD vor | |
sich her treibe. | |
Erst jüngst forderte ein Parteikollege von Stamer aus Stralsund die | |
konsequente Abschiebung von kriminellen Flüchtlingen. „Effekthascherei“ | |
nennt Stamer das, schließlich habe man die Flüchtlingskrise vorbildlich | |
gelöst, und für Kriminelle gebe es geregelte Verfahren. „Ich glaube, dass | |
sich die AfD nicht von der Flüchtlingsfrage speist, sondern aus einer | |
Unzufriedenheit und einem Misstrauen gegen der Politik.“ | |
Ob es dem Politikneuling Stamer gelingt den Wählern dieses Misstrauen zu | |
nehmen, wird sich am 4. September zeigen. Schon jetzt scheint er symbolisch | |
für die kriselnde SPD zu stehen. Bemüht, aber bieder. Sympathisch, aber | |
nicht streitlustig. Unaufgeregt, aber auch wenig überraschend. Da werden | |
wohl auch Kaffee, Kuchen und Gartenzwerge nichts daran ändern. | |
„Ich habe keine Leichen im Keller“ sagt Stamer am Schluss. Das ist fast ein | |
bisschen schade. | |
31 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Felix Hackenbruch | |
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