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# taz.de -- Seetangsnacks und Selbstgebrannter
> Kunst Triennale der Kleinplastik, das klingt nicht gerade aufregend. Ist
> es aber! In Fellbach bei Stuttgart behandelt die Schau das überfällige
> Thema Essen im Zeitalter der Globalisierung auf appetitliche Art und
> Weise
Bild: Banu Cennetoğlu, Library of Spirits I – Romania (Detail), 2013–2014
von Markus Weckesser
Triennale der Kleinplastik klingt ein bisschen wie Rasseschau der
Kleintierzüchter. Jedenfalls nicht sehr aufregend und neu. Von diesem
antiquierten Titel sollte sich aber niemand abschrecken lassen und bloß
nicht den Weg ins kleine Städtchen Fellbach bei Stuttgart scheuen. Denn die
13. Triennale in der Alten Kelter bietet alles andere als Kleinmütiges. In
diesem Jahr wartet die Schau dazu mit einem Thema auf, das schon lange
überfällig ist, weil es jeden Menschen betrifft: das Essen im Zeitalter der
Globalisierung.
Es geht also weniger um bestimmte Lebensmittel als vielmehr um
unterschiedliche Aspekte wie Produktionsbedingungen und Konsumgewohnheiten,
Umweltbewusstsein, das gewandelte Gesundheitsverständnis und soziale
Praktiken. Eine der nachdrücklichsten Arbeiten schuf Mauricio Guillén. Mit
der Präsentation von gestohlenen Reservierungsschildern aus noblen
Restaurants erinnert der gebürtige Mexikaner an die anderen, die nicht an
gedeckten Tischen sitzen und für die Lebensmittel immer mit dem Kampf ums
Überleben gleichbedeutend sind.
Konkrete Kritik wie Paulo Nazareth, der die rassistische Verwendung von
indigenen Namen und Motiven auf Konsumgütern benennt, äußern indes nur
wenige Künstler. Pamela Rosenkranz füllte Wasserflaschen von Evian mit
einem hautfarbenen Silikongemisch. Während es der Hälfte der Menschheit an
sauberem Trinkwasser mangelt, vermarkten Unternehmen Wasser mit den
Versprechungen von Reinheit und Natürlichkeit. Josh Kline befragte einen
Kurier des Versandunternehmens FedEx zu seinem stressigen Arbeitsalltag,
der ihm keine Zeit für angemessene Pausen lässt. Um sein Pensum zu
erfüllen, ernährt sich der Fahrer hauptsächlich von Kaffee und
Automatensnacks.
Möglicherweise mundet diesem Mitarbeiter ja auch das Knabberzeugs, das aus
Seealgen hergestellt ist. Ob die blau beleuchteten Großkanister mit
blubberndem Wasser und glibbrigem Tang, die Dan Rees in die Ausstellung
verfrachtet hat, allerdings Besucher zur Heimproduktion anregen, bleibt
abzuwarten. Seine Readymade-Präsentation von bunten Snacktüten weckt
jedenfalls das Bedürfnis, versuchsweise Seetang zu naschen.
Reale Verköstigung ist bei Banu Cennetoğlu möglich. Die Künstlerin aus
Istanbul sammelte selbstgebrannte Schnäpse, die sie in einer Art Bibliothek
zusammenstellte. Im Tausch gegen Geld oder andere Gegenstände lassen
Valentin Beck und Adrian Rast Besucher von ihrem Eingemachten probieren.
Die beiden Künstler haben aus Lebensmitteln, die von Supermärkten
aussortiert wurden, Köstlichkeiten wie Rotkrautchutney und Pilze in Essig
gekocht.
Überraschenderweise haben einige Skulpturen doch etwas mit Tieren und der
kleinen Form zu tun. Björn Braun ließ von Zebrafinken kunstvolle und
fragile Nester bauen. Als Materialien offerierte er den zarten Tierchen
Kunstfedern, gefärbte Kokosnussfasern, Fell und Gräser. Die Arbeit hat
zwar, wie einige andere auch, rein gar nichts mit Lebensmitteln zu tun,
aber im weiteren Sinn mit „Ökologien des Alltags“, wie die Triennale in
ihrem Untertitel verspricht. Dana Sherwood backte für Waldtiere üppige
Torten und Desserts aus Früchten, Rohkost, Vogelfutter, Marzipan und
Schlagsahne. Dabei machte sie die Beobachtung, dass Tiere, die sich von
Abfällen ernähren, ihre Essgewohnheiten denen der Menschen angleichen.
Seit ihrer Gründung 1980 wurden für die Triennale stets hervorragende
Kuratoren verpflichtet. In den Vorjahren waren es Kunstmacher wie Manfred
Schneckenburger, Cathérine David, Yilmaz Dziewior und Angelika Nollert.
Diesmal sind es Anna Goetz und Susanne Gaensheimer, Direktorin des
Frankfurter Museums für Moderne Kunst. Die Mischung von jungen und
international etablierten Künstlern hätte inhaltlich ebenso gut in ihr
eigenes Haus gepasst.
Doch der heimliche Star der Triennale ist der Ausstellungsort selbst. Seit
2001 wird die Kunstschau in der Alten Kelter ausgerichtet, in der früher
Wein gekeltert und gelagert wurde. Die aktuelle Ausstellungsfläche misst
2.500 Quadratmeter und wird von einem imposanten Dachgebälk aus Holz
überspannt. Das Berliner Architekturbüro Kuehn Malvezzi konstruierte aus
weißen hängenden Stoffbahnen nun ein Zelt innerhalb des Hauses, dass zwar
keinen strengen White Cube bildet, aber doch einen beruhigten Bereich. Zur
Decke hin nimmt der dünne Einbau die Form der spitz zulaufenden Architektur
an. An den Seiten wiederum fällt der Stoff gerade ab, sodass umlaufend ein
weiterer Raum entstanden ist, der nach oben den Blick auf die
Fachwerkkonstruktion gewährt.
Und obgleich der Umgang übersichtlich ist, wird der Besucher immer wieder
von Exponaten überrascht, auf die er unvermutet stößt, weil diese, ebenso
wie ihre Beschilderung, mehr als zurückhaltend angebracht sind, etwa eine
vergoldete Bronzekartoffel von Subodh Gupta oder Fische aus Kuhmist von
Petrit Halilaj.
Bis 2. Oktober, Alte Kelter, Fellbach, Katalog (Kerber Verlag) 24 Euro
9 Aug 2016
## AUTOREN
Markus Weckesser
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