# taz.de -- Gefährdetes Laubenpieperglück | |
> taz-Serie Letzter Sommer (5) In Spandau gibt es eine Laubenkolonie, die | |
> teilweise dem Bezirk und teilweise der Bundesanstalt für | |
> Immobilienaufgaben (Bima) gehört. Der Bezirk möchte seinen Abschnitt nun | |
> renaturieren | |
Bild: Das gibt’s doch nicht: Die Grenze zwischen Bezirks- und Bundeseigentum … | |
Text und Fotos Jana Tashina Wörrle | |
Ich soll hinter dem Zeltplatz abbiegen. Dort führt ein Weg mit vielen | |
Schlaglöchern durch den Wald. Dem Schild zur Gaststätte Havelgut soll ich | |
folgen. Auf dem Parkplatz des mittlerweile geschlossenen Lokals würde ich | |
dann schon die „Agitationsflächen“ sehen, beschreibt mir Ilona Brede ein | |
paar Tage vor meinem Besuch der Spandauer Laubenkolonie den Weg. Dort | |
angekommen soll ich einfach nach Ilona rufen. Doch so weit kommt es gar | |
nicht. Als ich vor den Transparenten stehe, die an Zäunen und Hauswand | |
hängen und mit „Meine Laube will nicht sterben“ und einem einfachen | |
„Warum?“ ein mulmiges Gefühl verbreiten, weist man mir den Weg. | |
Brede wartet schon am Gartentor auf mich. Neben der fröhlichen | |
Laubenpieperin mit den blonden Haaren steht Colin Dorn, ihr Partner in | |
schwarzem T-Shirt mit dem Aufdruck „Fußball und Grillen“. Der ironische | |
Spruch auf seinem T-Shirt passe gut, sagt Dorn, der gern grillt, aber eben | |
nicht nur. Er komponiert auch Musicals, etwa wenn er auf der 4 Quadratmeter | |
großen Terrasse seiner Laube sitzt. Dort sitzt jetzt auch Brede und | |
erzählt. | |
## Alles da, was man braucht | |
Seit fast zehn Jahren verbringt sie so gut wie jeden freien Tag hier. In | |
Kreuzberg lebt sie in einer Fünfziger-Jahre-Mietwohnung auf 50 | |
Quadratmetern. In ihrer Laube hat sie nur etwa 25 – inklusive Garten und | |
Terrasse. Es ist eng, und doch ist alles da, was man braucht – Bett, Sofa, | |
Tisch, Kochnische. Es scheint wie im Campingurlaub: Plastikstühle, | |
Wachstischtuch, Lampions. Bald soll es damit vorbei sein. Dieser Sommer ist | |
der letzte in der Laube. Zumindest sieht derzeit alles danach aus. | |
Den Mietvertrag für die Laube hat Brede jedes Jahr von Neuem | |
unterschrieben; zwar immer für nur ein Jahr, aber immer ohne Zweifel, dass | |
ein neues Jahr in der Laube kommt. „Jetzt versuche ich, jeden Tag noch | |
bewusster zu genießen, den wir hier sein dürfen“, sagt sie. Im Juni 2016 | |
kam die Kündigung. Bis Ende Dezember muss sie raus sein, denn dann wird | |
alles abgerissen. Die 25 Quadratmeter Laubenglück im Wald, der | |
Mikro-Kräutergarten und die Terrasse, auf der Brede so gern mit Buch und | |
Weinglas sitzt, ihr Wohnzimmer mit Allesbrenner. | |
Der nagelneue Kamin glänzt metallisch. Erst seit Kurzem entspricht er auch | |
den neuesten Abgasnormen. „Das hat ordentlich was gekostet“, sagt Brede, | |
die auch die vergangenen Winterwochenenden in ihrer Laube verbracht hat. | |
„Mit einem doppelwandigenn Außenschornstein“, fügt Dorn hinzu. Trotzdem: | |
Die Kiefernscheite, die sich in einer Ecke des Minigrundstücks stapeln, | |
werden wohl nicht mehr alle verheizt werden. | |
Brede und Dorn sind ein Paar und noch dazu Nachbarn. Ihre beiden Lauben | |
stehen Bretterwand an Bretterwand nebeneinander. Von einem Grundstück aufs | |
andere führt ein enger Pfad mit einem Holztor dazwischen. Und doch gibt es | |
einen wesentlichen Unterschied: Bredes Laube steht auf Grund und Boden, der | |
dem Bezirk Spandau gehört. Die Laubenpieperin soll ihren Standort aufgeben, | |
weil der Bezirk dort im Landschaftsschutzgebiet das Gelände renaturieren | |
will. | |
Das Grundstück wiederum, auf dem Dorns Laube steht, gehört nur zu einem | |
Teil dem Bezirk; der andere Teil ist Eigentum der Bundesanstalt für | |
Immobilienaufgaben (Bima), also des Bundes. Da der Bund derzeit keine | |
Schritte gegen die Laubenpieper unternimmt, fällt seine Laube in die | |
Kategorie „verhandelbar“. Die Grenze zwischen Landes- und Bundesgrundstück | |
verläuft direkt durchs Dorns Schlafzimmer. | |
Angefangen hatte alles mit dem Ende des Gaststättenbetriebs Havelcasino | |
nebenan. Einst ein bei Radfahrern und Waldspaziergängern beliebtes Lokal, | |
kamen die Betreiberin und mit ihr das Gebäude in die Jahre. Vor zwei Jahren | |
wurde dank neuem Pächter aus dem Havelcasino das Havelgut und aus dem | |
Ausflugslokal ein Restaurant, das das Gemüse des nahe liegenden Hofs | |
„Speisegut“ verarbeitete. Doch so richtig kam es nicht wieder in Gang. | |
Zudem entpuppte sich das alte Haus als baufälliger als gedacht. Kurzum: Das | |
Havelgut machte zu, und der Bezirk sah davon ab, weiteres Geld in das alte | |
Haus zu investieren. Im Zuge seines Abrisses soll nun das gesamte | |
Bezirksareal begrünt werden. | |
„Der Bezirk hat den Streifen, auf dem die Lauben stehen, vor 28 Jahren vom | |
Bund gekauft“, sagt Michael Spiza vom Straßen- und Grünflächenamt Spandau. | |
Damals standen die Lauben schon da, deshalb hätte man sie bis jetzt | |
geduldet. Ursprünglich waren sie die Nebengebäude der Gaststätte. „Ab wann | |
hier eine nicht genehmigte Umnutzung stattgefunden hat, ist nicht mehr | |
nachvollziehbar“, sagt Spiza. Brede hat eine andere Sicht der Dinge: „Die | |
Lauben standen schon dort, bevor diese Gegend zum Landschaftsschutzgebiet | |
erklärt wurde, und genossen bisher Bestandsschutz“, sagt sie. Zu spät. Für | |
den Behördenleiter steht fest, dass die Bezirksflächen renaturiert werden | |
sollen. | |
Auch die Laube von Bettina Hoffmann wird dann dem Erdboden gleichgemacht | |
werden. Ihre Laube ist größer, massiver und sehr aufgeräumt. Der Rasen vor | |
dem Häuschen gestutzt; der Zaun aber ist voller Plakate – Protestplakate | |
gegen den Abriss. Bettina Hoffmann verbringt schon seit 40 Jahren jeden | |
freien Tag hier. Ihr Vater hat die Laube eigenhändig gebaut. Die | |
Neuköllnerin soll sie nun eigenhändig abreißen oder zumindest die Kosten | |
dafür tragen. „Was mir bleibt, sind ein Schuppen und das Klohäuschen, denn | |
die stehen auf Bima-Seite“, sagt sie. Was fast wie ein Scherz klingt, | |
treibt ihr Tränen in die Augen. Hinter dem Klohäuschen ist noch etwas Platz | |
auf der Wiese. „Dort dürfte ich einen Wohnwagen aufstellen, aber nichts | |
Neues bauen.“ | |
Bevor es jedoch so weit kommt, wollen beide für ihre Lauben kämpfen. Die | |
Frauen haben die Presse und Politiker angeschrieben, Plakate gemalt und | |
Flyer verteilt. Für ein Pressefoto posieren jetzt Brede und Dorn. Plötzlich | |
will Dorn doch noch das T-Shirt wechseln. Der ironische Spruch könnte | |
falsch verstanden werden, sagt er. Hier gehe es schließlich um ein ernstes | |
Thema. | |
24 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Jana Tashina Wörrle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |