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# taz.de -- Grenzübergänge als täglicher Sport: Die geteilte Hauptstadt
Globetrotter
von Elise Graton
Vor lauter Konzentration (Linksverkehr) hatte ich sie zuerst gar nicht
bemerkt: Die über allem thronende, an den südlichen Hang der
Kyrenia-Bergkette gemalte Fahne der selbst proklamierten Türkischen
Republik Nordzypern. Mein griechisch-zypriotischer Freund M. hatte mir vor
der Abreise davon erzählt.
Bei der Autofahrt vom südlichen Flughafen ins Zentrum Nikosias kann man sie
kaum übersehen. „Eine Provokation!“, meinte auch M., denn es ist klar, dass
sich der überdimensionierte rote Halbmond samt Stern über den Süden erhebt,
um dem allgemeinen Konsens zu trotzen: Nordzypern wird – außer von der
Türkei – international nicht anerkannt.
## Mitten durch Nikosia
Seit griechischem Putsch und türkischer Militärintervention 1974 wird die
Inselrepublik von einer Grenze durchzogen, die mitten durch Nikosia
verläuft, die letzte geteilte Hauptstadt Europas. Ich staune nicht schlecht
über die provisorisch wirkenden Barrikaden aus Sandsäcken und Ölfässern.
Die Innenstadt wirkt fast wie eine Filmkulisse, entlang derer eine
bedächtige Stille herrscht: Die grenznahen, einst prachtvollen Häuser sind
verwaist und überwuchert. Die Soldaten in sandfarbener Uniform nehme ich
erst wahr, als einer vor mir laut zu gähnen beginnt.
Bevor M. nach Köln zog, organisierte er oft spontane Partys entlang der
„Green Line“ – jener 1974 von UN-Friedenstruppen gezogene Pufferzone, die
eine Eskalation zwischen griechischen und türkischen Zyprioten verhindern
soll. Ein paar Lautsprecherboxen richtete M. dabei immer gezielt gen
Norden, „um in Kontakt zu bleiben“. Ob seine Signale erwidert wurden?
„Nein. Vermutlich bespaßten wir nur ein paar UN-Soldaten.“
2003 wurde die Grenze wieder durchlässig – an einzelnen und mittlerweile
immerhin sieben Checkpoints. Einer davon, für Fußgänger und Flaneure,
befindet sich mitten in der restaurierten Altstadt Nikosias – nahe dem
Restaurant „Berlin Wall 2“. Die Stimmung ist gelassen, es herrscht reges
Kommen und Gehen, doch bei der Rückkehr in den Südteil darf man auf keinen
Fall vergessen, sich bei der Nordseite wieder abzumelden. „Manchmal winken
die Beamten einen einfach durch“, warnte mich M. „Dann aber steht im
Computer, man hätte den Norden nie verlassen, und es gibt Ärger.“
Auch den Rat meiner Gastgeber, keine gefälschte Chanel-Tasche über die
Grenze zu schmuggeln, befolge ich. Das gäbe dann Stress mit dem Südteil.
Dafür schaffe ich, wie von ihnen gewünscht, heimlich einen Stapel
Stadtpläne vom Nordteil rüber, die im Süden nirgends erhältlich sind. Wer
Nikosia in seiner Gänze erkunden will, braucht zwei Karten, auf denen der
jeweils andere Teil als unbesiedelte Fläche dargestellt wird.
Für die Überquerung der Grenze per Auto gibt es extra Checkpoints, die
trotz Landkarte kaum zu finden sind: Kein einziges Schild weist auf sie
hin, man will es den Touristen schließlich nicht zu leicht machen.
Auf dem Rückweg erwartet mich das gleiche Suchspiel, also frage ich in
einem kleinen Möbelladen zwei muskelbepackte Türken nach dem Weg. „Go
home“, raunzt einer. Pardon? „Go back“, korrigiert höflich der andere.
„Beim ersten Kreisverkehr geradeaus. Beim zweiten Kreisverkehr weiter
geradeaus. Und beim dritten Kreisverkehr …“ Spannende Atempause. Wieder
geradeaus? „Nein. Dann bist du da“.
Grenzübergänge wurden zu meinem täglichen Sport. Später, im Westen der
Insel, erzähle ich zwei alten Frauen von meinen Ausflügen. „Ich bin hier im
Süden geboren“, meinte die Eine. „Drüben habe ich nichts verloren“. Die
andere war zumindest einmal im türkischen Teil, um sich die Zitronenhaine
bei Güzelyurt anzuschauen. „Aber sie haben sie verkommen lassen“, schmollt
sie.
## Generelles Desinteresse
Feindseligkeit lässt sich nicht aus den Gesprächen entnehmen, eher eine Art
resigniertes Desinteresse. „Das ist leider generell so“, bekräftigt M., als
ich ihn nach meiner Rückkehr anrufe. Selbst bei der jüngeren Generation sei
die anfängliche Euphorie nach der Öffnung erster Checkpoints wieder
verpufft.
„Und, hast du die Flagge gesehen?“ Hin und wieder müssten ihre Farben
aufgefrischt werden, erzählt er. Das geht nur mit Anweisungen per Funk, die
Flagge ist einfach zu enorm. „Einmal haben Typen aus dem Süden sich in die
Funkverbindung gehackt und die Maler falsch navigiert“, kichert M. Die
Flagge prangte dann eine Zeitlang dilettantisch und schief. Aber zum Lachen
ist ihm nicht zumute: Jüngste Verhandlungen beider Seiten ließen fast auf
eine baldige Wiedervereinigung hoffen. Doch mit der jetzigen Entwicklung in
der Türkei wird das wohl wieder nichts.
Elise Graton ist freie Journalistin und Übersetzerin in Berlin
16 Aug 2016
## AUTOREN
Elise Graton
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