# taz.de -- Der Körper drückt das Innenleben aus | |
> Schauspiel Warum kriegen die Deutschen so selten gute Serien hin? Liegt | |
> es an Anstalten, Produzenten und Regisseuren?Matthias Schott holt | |
> englische und amerikanische Schauspiellehrer nach Berlin. Er schätzt ihre | |
> Auffassung vom Acting | |
Bild: Matthias Schott in seinem Büro in der Schwedter Straße | |
Interview Andreas Resch | |
Nicht zuletzt aufgrund des Deutschland-Starts von Netflix, der wachsenden | |
Verbreitung von sogenannten Writers’ Rooms, in denen mehrere Autoren | |
gemeinsam an Ideen feilen, sowie ambitionierter TV-Formate wie „Deutschland | |
83“ sah es für eine Weile so aus, als könnte der deutsche Serienmarkt ein | |
wenig zu jenen in Großbritannien und den USA aufschließen. Doch wirklich | |
viel passiert ist seither nicht. Wenn nach den Gründen gefragt wird, | |
richtet sich der Fokus meist auf die Sender, auf Autoren und Produzenten. | |
Doch welche Rolle spielen hierbei die Schauspieler? Matthias Schott hat in | |
seinem Studio regelmäßig Lehrer aus dem angelsächsischen Raum zu Gast, die | |
zu Hause mit Serienstars arbeiten. Er kennt die Unterschiede zwischen den | |
Schauspielkulturen ganz genau. | |
taz: Herr Schott, abgesehen von Ausnahmen wie Dominik Grafs „Im Angesichts | |
des Verbrechens“ oder Orkun Erteners „KDD – Kriminaldauerdienst“ bleiben | |
deutsche Fernsehserien im Vergleich zu englischen und amerikanischen wie | |
„Breaking Bad“ oder zuletzt „River“ oft blass und eindimensional. Könn… | |
nicht wenigstens das Schauspielerische in deutschen Serien auf ein höheres | |
Niveau gebracht werden? | |
Matthias Schott: Das ist jetzt sehr provokativ gefragt. Generell würde ich | |
antworten: Das ist möglich – wenn es einen echten Dialog gibt zwischen | |
Schauspielern, Regisseuren und Produzenten. Ich glaube, es ist wichtig, | |
dass Schauspieler stärker in den Prozess der Figurenentwicklung eingebunden | |
werden. Häufig sind es ja die unausgereiften Rollen, die eine gute | |
Performance verhindern. | |
Das oft routiniert bis gelangweilt erscheinende Spiel in deutschen | |
Fernsehproduktionen liegt also Ihrer Meinung nach weniger an den | |
Schauspielern selbst als an den Figuren, die sie spielen? | |
Grundlage für einen komplexen Charakter ist immer das Drehbuch. Aber | |
natürlich lässt sich nicht von der Hand weisen, dass es teilweise | |
Unterschiede gibt zu englischen oder US-amerikanischen Schauspielern, was | |
die Herangehensweise anbetrifft, sich eine Rolle zu erarbeiten. | |
Was meinen Sie damit? | |
Charaktere wirklich zu entwickeln wird in England und Amerika stärker | |
praktiziert. Etwa über Improvisationen, die schon auf den Schauspielschulen | |
gelehrt werden, wodurch die Schauspieler automatisch zu einer größeren | |
Eigenverantwortung erzogen werden. In Deutschland werden junge Schauspieler | |
oft sehr früh inszeniert – anstatt erst einmal dazu ermutigt zu werden, | |
selbst Figuren zu entwickeln. Zumindest höre ich das immer wieder von | |
Absolventen. | |
Könnten Sie etwas konkreter beschreiben, wie Engländer und Amerikaner bei | |
der Rollenentwicklung vorgehen? | |
Man überlegt etwa, was eine Figur jenseits der eigentlichen Filmhandlung | |
tun könnte: Was macht sie, wenn sie alleine ist? Es geht um das Finden | |
einer Intimität, die eine Figur vielleicht nach außen hin verheimlicht, von | |
der sie aber trotzdem bestimmt wird. Die Art und Weise etwa, wie jemand | |
einen Raum betritt, gibt Aufschlüsse über sein Innenleben. Der Mut zur | |
physischen Transformation kommt meiner Meinung nach gerade im deutschen | |
Fernsehen zu kurz. | |
Welche Wege gibt es, um sich an eine solche Körperlichkeit heranzutasten? | |
Eine klassische Technik ist die sogenannte Animal Work: Ausgehend von einer | |
Drehbuchanalyse überlegt man: Wie ist der Rhythmus meiner Figur? Dann fragt | |
man, welchem Tier dieser Rhythmus ähneln könnte. Anschließend stellt man | |
sich die Bewegungen vor, die typisch für dieses Tier sind und überträgt sie | |
auf die Figur. | |
Nennen Sie bitte ein Beispiel! | |
Ein berühmtes Filmbeispiel ist Robert De Niro in Martin Scorseses „Taxi | |
Driver“. De Niro hat bei der Entwicklung der Figur des Travis Bickle an | |
einem Krebs gearbeitet. Deswegen bewegt er sich auch in vielen Szenen nicht | |
direkt, geradlinig, sondern seitlich. Dadurch entsteht eine extreme | |
Körperlichkeit, die einen sofort in ihren Bann zieht. Das für mich Geniale | |
an einer solchen Technik ist, dass ich mit dem Körper viel feiner das | |
Innenleben einer Figur ausdrücken kann. | |
Mir erzählen Schauspieler immer wieder, früher seien Caster noch ins | |
Theater gekommen, um neue Schauspieler zu entdecken. Heute geschehe dies | |
kaum noch. Gleichzeitig eröffnen E-Castings über das Internet neue | |
Möglichkeiten. Wie nehmen Sie das wahr? | |
Ich denke, dass es schon noch viele Caster gibt, die regelmäßig ins Theater | |
gehen. Aber es stimmt: Auch ich habe das Gefühl, dass aus Zeitgründen alles | |
immer weiter reduziert wird. E-Castings haben natürlich den Riesenvorteil, | |
dass man sich um Rollen bewerben kann, um die man sich früher nicht hätte | |
bewerben konnte, einfach weil man nicht eingeladen wurde. Generell würde | |
ich mir wünschen, dass nicht so bekannte Schauspieler viel häufiger eine | |
Chance bekämen und dass es hier und da mehr offene Castings gäbe. Dann | |
wären Schauspieler auch motivierter, im Training zu bleiben. Ich kann | |
Schauspieler verstehen, die irgendwann resignieren, weil sie das Gefühl | |
haben: Ich werde sowieso nicht zum Casting eingeladen. | |
In Deutschland steht immer weniger Geld für Fernsehdrehs zur Verfügung. Es | |
gibt weniger Drehtage, der einzelne Drehtag jedoch wird immer länger. Kann | |
man unter solchen Bedingungen überhaupt noch vernünftig arbeiten? | |
Wenn ich immer kürzere Vorbereitungszeiten habe, ist natürlich auch die | |
Zeit, in der ich eine Rolle entwickeln, sie erforschen kann, kürzer. Dann | |
neigt man dazu, Resultate zu spielen. | |
Was meinen Sie mit „Resultate spielen“? | |
Wenn man als Schauspieler wenig Zeit hat, geht die Tendenz fast immer | |
dahin, Klischees zu spielen. Und eben nicht neue, noch nie gesehene | |
Interpretationen und Verhaltensweisen zu entdecken. Man nimmt die erste | |
Spielidee, den ersten Einfall und reproduziert ihn. Das ist für mich | |
sowieso völlig widersprüchlich: dass beim Fernsehen immer mehr versucht | |
wird, eine Art Fließbandarbeit herzustellen, während es in anderen Branchen | |
inzwischen darum geht, den Arbeitnehmern ein kreatives Umfeld zur Verfügung | |
zu stellen. In der Fernsehbranche hingegen passiert bis auf wenige | |
Ausnahmen genau das Gegenteil. Das ist doch paradox. | |
6 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Resch | |
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