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# taz.de -- Besinnung Beim Kunstprojekt „In Quarantäne – zeitgenössische …
Bild: Schiffsverkehr entlang der Quarantänestation im Hafen von Rotterdam
Text und Fotos von Gunda Schwantje
Von der Nordsee her tost der Wind in den Pappeln, Erlen und Weiden; der
Rotterdamer Hafen unweit davon dröhnt und brummt. Mittendrin, am Rand eines
Feldes, auf dem wilde Kräuter und Blumen üppig blühen, steht ein 3,5 Meter
hoher aschgrauer Würfel: eine Einsiedlerklause. Die Künstler Marianne
Lammersen und Jack S. C. Chen haben sie gebaut. An einer Seite ist das
Relief einer Metropole montiert. Straßenzüge, Wolkenkratzer, ein Manhattan
en miniature. Die Miniwolkenkratzer sind aus buntem Glas, sie hängen
seitlich an der Klause, sind umgekippt.
Zutritt zum Ort der Besinnung nur ohne Gepäck und ohne Schuhe, steht auf
einem Schild. Nackte Füße versinken im Teppich. Ein schmaler Gang aus
weichem Tuch. Ein kleiner Innenraum ganz in Weiß. An einer Wand leuchten
die montierten Glastürme wie Mosaike, wie Kirchenfenster, die Licht
einfangen. Meditieren ließe sich an diesem Ort oder einfach ausgiebig
nichts tun.
Die Klause ist Teil eines Kunstprojekts. Mitten im Rotterdamer Hafen auf
dem gigantischen Industrieareal haben in einer grünen Oase internationale
Künstler und Architekten moderne Klausen, also Rückzugsorte, gebaut. 23
davon gibt es inzwischen, 25 sollen es am Ende dieses Sommers sein, denn
das hier ist work in progress. Titel der Ausstellung: „In Quarantäne –
zeitgenössische Klausen“ (In Quarantaine – hedendaagse hermitages).
Initiiert und organisiert für die Stichting Kunsteiland hat die Künstlerin
Louike Duran die Ausstellung. Die 62-Jährige arbeitet und lebt auf dieser
drei Hektar großen grünen Enklave mitten im Hafen. Sie sitzt auf einem
Stuhl unter einer Weide, erzählt, wie ihr vor drei Jahren die Idee kam,
zeitgenössische Klausen bauen zu lassen. „Die Menschen leben in so hohem
Tempo. Das hat viele Nebenwirkungen, Burn-outs etwa durch Arbeitsdruck.
Aber auch die sozialen Medien verursachen Stress“, sagt sie. „Und wenn der
Mensch im Kopf immer irgendwo anders ist als an dem Ort, an dem er sich
tatsächlich aufhält, hat das Auswirkungen auf das Gehirn und die
Erinnerung.“ Davon ist sie überzeugt. Duran registrierte, „dass Menschen
aufgrund des tagtäglichen Bombardements mit Informationen Ruheplätze für
sich schaffen“, Schrebergärten nutzen, Baumhütten in Gärten bauen, Scheunen
für Fahrräder zu Hobbyräumen umgestalten. „Menschen schaffen eine Art
Klause, um mal für sich zu sein.“
Die Künstler setzen das Klausenthema auf vielfältige Weise um, findet sie.
„In Quarantäne“ sei keine Ausstellung ausgestattet mit einem großzügigen
Budget, sondern vor allem getragen von der Begeisterung der Teilnehmer –
trotz des miserablen, verregneten Sommers in diesem Jahr.
Freakig, ideenreich, bizarr, zum Teil mit großen handwerklichen Fähigkeiten
und sehr viel Liebe zum Detail ausgeführt ist so manche Klause. Die
Kreation „Stop Contact (2016)“ der Künstler Max Wylacker und Danny van
Walsum bringt das Thema so auf den Punkt: außen ein Ensemble aus
Stromkabeln, Verbindungsleitungen, Schaltern, Steckkontakten, Sicherungen,
Klingeln, Ventilatoren. Innen ein klitzekleiner Raum, eine winzige
Aussicht, ein paar Habseligkeiten – Tisch, Stuhl, ein Buch, eine
Schreibmaschine – das meiste in Weiß.
Vorbilder für einen Rückzug, für das Eremitendasein in einer Klause gibt
es. Oft wohnen Einsiedler in abgelegenen Hütten, ziehen in Grotten, bauen
schlichte Behausungen mit natürlichen Materialien in dünn besiedelten
Landstrichen.
Hester Pilz hat eine Klause aus Lehm gebaut. „Ich hatte sofort ein Bild im
Kopf, ein 3-D-Bild“, erzählt die Künstlerin, die auf dem Lande im Süden der
Niederlande wohnt. Pilz arbeitet nur mit natürlichen Materialien. Eine
Feuerstelle, eine Wasserquelle, eine Ecke für Studien, Stufen zum
Hochsteigen, denn „auf dem Dach ist Platz für ein Lager unter den Sternen“.
Die Mauern dieser Behausung sind in der Erde verwurzelt, sie hat
Weidenzweige gesteckt. Die Studienecke symbolisiert für Pilz „Bildung,
Kreativität, Kultur, die wirklich essenziellen Dinge. Die Welt untersuchen,
Wissen und Weisheit weitergeben“, das findet sie bedeutsam. „Bed, Bad,
Bureau“ (Bett, Bad, Büro) ist der Titel ihrer Klause. „Das ist ein Hinweis
auf die Situation von Asylsuchenden. In den Niederlanden war ja irgendwann
die Rede von der ‚Bett-Bad-Brot-Regelung‘. Bett-Bad-Brot ist das absolute
Minimum, das Flüchtlingen zur Verfügung stehen muss zum Überleben.“
„In Quarantäne“ – der Titel der Ausstellung – verweist auch auf die
Funktion, die dieses Hafenareal einmal hatte: die Quarantänestation eines
Welthafens. Ursprünglich gebaut, um kranke Seeleute zu isolieren, die mit
gefährlichen tropischen Seuchen infiziert waren. Doch dazu kam es nicht,
nach Fertigstellung wurde die Quarantänestation für diverse Zwecke genutzt.
Vor 35 Jahren zogen Künstler ein, Kraker, also Hausbesetzer. Sie wurden
geduldet. Louike Duran ist eine von ihnen. Heute leben und arbeiten in den
Gebäuden, die – dank der Kraker – inzwischen unter Denkmalschutz stehen,
die Kreativen diverser Disziplinen, nun zeitlich befristet. „Diese grüne
Oase war und ist buchstäblich eine Art Klause für uns“, sagte Duran.
Sich mal loskoppeln von der Hektik des Alltags, von Datenströmen, vom Wahn
des Tages. Alleinsein. Sich fokussieren. Und dann, auf dem Rückweg, reist
man erneut entlang der Hafenbecken. Hier wird eine Bohrinsel gebaut, dort
bewegen sich Kräne am Himmel.
Die Ausstellung „In Quarantaine – hedendaagse hermitages“ ist bis zum 4.
September 2016 zu sehen, Mittwoch bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr.
Quarantaine-Inrichting im Stadtteil Heijplaat, Quarantaineweg 1 D-4, 3089KP
Rotterdam, Hafennummer 2630. Weitere Infos: www.stichtingkunsteiland.nl
6 Aug 2016
## AUTOREN
Gunda Schwantje
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