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> Natur Der interkulturelle Gemeinschafts- garten „Prachttomate“ im | |
> Rollbergkiez von Neukölln ist ein Paradies – und gefährdet: Ein | |
> Sportplatz soll darauf entstehen | |
Bild: Grünes Paradies: Im Neuköllner Gemeinschaftsgarten „Prachttomate“ m… | |
von Elisabeth Meyer-Renschhausen | |
Im Neuköllner Nachbarschaftsgarten „Prachttomate“ unweit des U-Bahnhofs | |
Karl-Marx-Straße wuchert es wild: Radieschen, Möhren und Lauch, hellgrün, | |
dunkelgrün. Vor allem aber Tomaten – vorgezogen aus samenfestem Saatgut. | |
Noch sind viele grün, rot ist der Mohn, der dazwischen blüht. Dazu | |
Kornblumen, gelb blühende Kuhdisteln und Menschen, die Erde harken, mit | |
Pflanzen hantieren, Gießkannen schleppen. Und Kinder, überall Kinder, die | |
auf selbstgezimmerten Treppen und im Baumhaus herumtoben, für die die | |
Brache, auf der es in Badewannen und auf Bretterverschlägen grünt, ein | |
verwunschener Ort mit Abenteuerpotenzial ist, ein Paradies – jetzt ist es | |
gefährdet: Ein Sportplatz soll darauf entstehen. | |
„Hier im Garten macht jeder alles, wir haben keine individuellen Beete. Wer | |
Lust hat, kommt und macht mit“, sagt Thomas Herr, er arbeitet in der | |
offenen Jugendarbeit und gehört zu dem Dutzend Leuten, die sich zur | |
Kerngruppe der „Prachttomate“ zählen. Viele andere, die nur sporadisch | |
mitmachen, gehören aber auch dazu. | |
In der Nachbarschaft wohnen Menschen mit türkischen, palästinensischen und | |
libanesischen Wurzeln. Viele sind erwerbslos, andere leben prekär. Im | |
Garten fragt niemand nach ihrem sozialen Status, ihrer Herkunft, ihrer | |
Bildung, ihrer Befindlichkeit. Einmal im Monat findet ein | |
Floh-Geschenk-Tausch-Markt statt, dann ist es brechend voll. | |
## Früher eine Brache | |
Der Garten entstand 2011 als Jugendprojekt. Das brachliegende Grundstück im | |
Rollbergkiez war extrem vermüllt. Deshalb waren die Eigentümer wohl auch | |
bereit, der Gruppe die pachtlose Nutzung zuzugestehen – zur | |
Zwischennutzung. Die bunte Gartenhütte haben Jugendliche aus dem Kiez | |
gebaut, ebenso das Baumhaus, das versteckt im hinteren Gartenbereich liegt. | |
Gärtnern sei nicht so die Sache der Jungen, meint Thomas Herr, auf | |
Handwerkliches, aufs Bauen mit Holz sprängen sie leichter an. „Wenn sie | |
erst einmal etwas gezimmert haben, identifizieren sie sich mit dem Ort, der | |
so ein wenig vor Vandalismus geschützt wird.“ Nicht aber geschützt ist so | |
eine Fläche, wenn die Zerstörung vom Bezirk angeordnet wird. | |
Jochen Biedermann, der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses von | |
Neukölln, sagt, ihm sei schon klar, dass man solche Gemeinschaftsgärten | |
nicht einfach an einen anderen Ort umsetzen könne. Andererseits – und es | |
gibt immer ein „andererseits“, wenn ein Satz anfängt wie der von Biedermann | |
– sei es verständlich, wenn die Schulen Sportflächen wünschten. | |
Man könnte sogar noch weiter gehen und sagen, dass die landeseigene | |
Wohnungsgesellschaft „Stadt und Land“ – der das Grundstück zur Hälfte | |
gehört – hier eigentlich preiswerten Wohnungsraum schaffen müsste. | |
Allerdings ist das Grundstück schwierig geschnitten. Problematisch aus | |
Sicht der Bebauer ist auch, dass die andere Hälfte des Grundstücks einem | |
Investor gehört und ein kleines Stückchen einer privaten Besitzerin. Daher | |
streiten sich verschiedene Abteilungen des Bezirksamts um das Grundstück. | |
Einig ist man sich nur, es für den Bezirk und „gemeinschaftsdienliche | |
Aufgaben“ behalten zu wollen. | |
## Noch eine versiegelte Fläche | |
Die Gartengruppe hält dagegen: Im Gegensatz zu Gärten vermehrten | |
Sportanlagen die versiegelte Fläche in der Stadt, argumentieren sie. Die | |
Gartenaktivistinnen und -aktivisten sind überzeugt, dass interkulturelle | |
Gärten als Orte einer zwanglosen Begegnung zwischen den Kulturen unbedingt | |
erhalten werden müssen. | |
Urbane Gärten seien soziale Orte, die nachbarschaftliche Strukturen | |
stärken, die modellhaft auf lokalen und regionalen ökologischen Anbau | |
setzen. Orte, die auf den letzten Brachflächen der Stadt kollektiv | |
experimentieren, nichtkommerziell und ohne Konsumzwang. Die Bezirke aber | |
betrieben zunehmend „hoheitliche“ Stadtplanung, in der die viel beschworene | |
Partizipation nicht wirklich ernst gemeint sei. | |
Um ihren Einschätzungen Nachdruck zu verleihen, eröffneten „die | |
Prachttomaten“ kürzlich eine temporäre „Filiale“ an der Karl-Marx-Stra�… | |
Einkaufskarren, gefüllt mit Erde und Pflanzen. | |
Mitgärtnern: bis Oktober, Di–Fr ab 16 Uhr, prachttomate.de | |
3 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Meyer-Renschhausen | |
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