# taz.de -- Praktikantin im Wahlkampf | |
> Taz-Serie: Die Letzten der Listen I Sally Raese kandidiert für die Grünen | |
> in Meck-Pomm auf Platz 25 | |
Bild: „Erst mal rantasten“ – Sally Raese | |
STRALSUND taz| In diesem Jahr macht Sally Raese alles zum ersten Mal: auf | |
Podiumsdiskussionen diskutieren oder auch Interviews geben. Raese ist 32 | |
Jahre alt, Wirtschaftsinformatikerin und steht für die Grünen in | |
Mecklenburg-Vorpommern auf Listenplatz 25 von 25. Ihre Kandidatur sieht sie | |
als „Probeschnuppern“. | |
Politikneuling Raese, grüne Brille, grünes Halstuch, ist begeistert: von | |
der Partei – „Man kann viel mitgestalten“, von den Parteifreunden – „… | |
uns gibt es keine Machtkämpfe“ – und vom Wahlkampf – „Ist ja auch mein | |
erster“. | |
Auf dem Delegiertentreffen hatte sie sich für eine „offene Kandidatur“ | |
beworben. Sie wollte gerne auf die Landesliste – auf welchen Platz war ihr | |
egal. „Mir geht es darum, mal auszuprobieren, wie das ist, wenn man | |
nominiert ist“, sagt sie, während sie vom Stralsunder Hafen in Richtung | |
Altstadt läuft, wo ihr Parteibüro liegt. | |
Seit November 2015 ist sie Mitarbeiterin von Jürgen Suhr, dem | |
Spitzenkandidaten der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern. Das Parteibüro | |
liegt am Marktplatz. Die Stralsunder Altstadt hat Weltkulturerbestatus, die | |
Straßen haben Kopfsteinpflaster, viele Häuser stammen noch aus dem | |
Mittelalter. | |
An einer Ecke trifft Raese einen Mann und eine Frau und ruft ihnen zu | |
„Sehen wir uns nachher noch?“ Die beiden machen Wahlurlaub bei einem | |
Parteifreund, verteilen vormittags Wurfsendungen, am Nachmittag liegen sie | |
am Strand. Das Büro ist Wahlkampfzentrale, überall auf dem Boden sind | |
Plakate aufgestapelt. Auch Raese war am Abend zuvor Plakate kleben. | |
Gegenüber dem Büro liegt ihr Stammcafé, das Café Monopol, hier verkaufen | |
sie selbst gerösteten fairen Biokaffee. Es gibt nur wenige Tische, deshalb | |
ist der Laden immer voll. Raeses Dachgeschosswohnung mit Blick auf die | |
Altstadt liegt nur ein paar Straßen weiter. Raese ist Teil einer dünnen | |
Schicht von Bildungsbürgern, die es in allen größeren Städten in | |
Mecklenburg-Vorpommern gibt. Viele von ihnen wählen die Grünen. Die | |
Entwicklung des Bundeslandes seit der Wende sei eine Erfolgsgeschichte. So | |
sieht es Raese von ihrer Dachterrasse aus. „MV ist bunter, vielfältiger, | |
gemischter geworden“, sagt sie. | |
Sie war acht Jahre alt, als in Rostock-Lichtenhagen das Sonnenblumenhaus, | |
ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter, brannte. Ihre | |
Großeltern wohnten gleich in der Nähe. „Das hat mich als Kind mehr als | |
alles andere geprägt, weil wir alles mitbekommen haben“, erzählt sie. In | |
die Partei trat sie erst vor zwei Jahren ein, nachdem die Grünen ihre | |
Elterninitiativ-Kita unterstützt hatten im Kampf um die Abrechnung des | |
Mittagessens. | |
Die gebürtige Rostockerin Raese hat ein paar Jahre in Berlin gelebt und | |
sich seit ihrem Studium als Wirtschaftsinformatikerin in Stralsund | |
niedergelassen. Bis 2014 hatte sie eine eigene Firma für Onlinemarketing. | |
Nach der Trennung von ihrem Geschäftspartner gab sie das Unternehmen auf. | |
Den Start-ups im Lande fühle sie sich weiterhin besonders verbunden, | |
Wirtschaftspolitik bezeichnet sie als ihren Schwerpunkt. Raese ist | |
ehrenamtliches Mitglied im Betriebsausschuss der Stralsunder Bürgerschaft | |
und engagiert sich für eine ausgewogenere und langfristige Förderpolitik. | |
Bei den Grünen will sie ihr Know-how einbringen – auch in Zukunft. | |
Die Chancen dafür stehen gut. Denn die Landesliste der Grünen in | |
Mecklenburg-Vorpommern wird zur Hälfte mit Frauen besetzt. Mitglieder zu | |
finden, die sich zur Wahl stellen, erweist sich oft als schwierig. Claudia | |
Müller, Vorsitzende des Landesverbands, hätte Raese schon jetzt gerne auf | |
einem aussichtsreicheren Listenplatz gesehen. | |
„Ich musste überlegen, ob ich überhaupt kandidieren will, und habe nicht | |
gleich zugesagt“, sagt Sally Raese. „Ich brauche dieses langsame Rantasten. | |
Erst mal gucken, was das Praktikum bringt.“ Anke Lübbert | |
3 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Anke Lübbert | |
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