# taz.de -- Berliner Szenen: Auf dem Friedhof | |
> Im Chat mit Fritz | |
Am Tag, als Bommi Baumann starb, wollte ich die Lesung von Gert Möbius im | |
Brecht-Haus hören. Ich hatte ein Jahr mit Rio Reiser in der Belziger Straße | |
gewohnt und damals auch seinen Bruder Gert kennengelernt. Es gab jedoch | |
keinen Platz mehr, so besuchte ich stattdessen den Dorotheenstädtischen | |
Friedhof gleich nebenan. | |
An Brechts Grab schreibt ein chinesischer Germanistikstudent auf rotem | |
Papier einen Liebesbrief „an Bertolt“ und deponiert ihn unter einem | |
Steinchen auf der Grabstelle. Ein zweiter Brecht-Verehrer drückt eine Kippe | |
auf Brechts Grabstein aus und legt sie zu den anderen. Auch an den Gräbern | |
von Herbert Marcuse und Otto Sander gedenken Besucher der Toten. | |
Auf Teufels Grab kniet ein Kauz mit weißer Schiebermütze und spricht mit | |
Fritz. Als er meine Kamera sieht, wird er fuchsteufelswild: Es ist Dieter | |
Kunzelmann, der vor ein paar Jahren in der Berliner Zeitung seinen eigenen | |
Freitod annoncierte und der nun neulich 77 Jahre alt geworden ist. Vor | |
genau sechs Jahren hatte Kunzelmann mir auf Teufels Begräbnis einen Joint | |
gereicht. | |
Ich rufe seinen alten Kumpel Detlef Wittenberg, einst Teufels Verteidiger, | |
in der Uckermark an und überreiche Kunzelmann mein Handy zum Gespräch. | |
„Hallo Detlef, bist du’s? Hab grad mit Fritz gechattet. Wollte ins | |
Brecht-Haus zu Gert Möbius, aber der Laden ist so voll, dass ich da nicht | |
reinmöchte, ich hab doch Klaustrophobie seit meiner Knastzeit. Wer ist denn | |
dieser Kerl mit der Kamera hier?“ Wittenberg: „Ein guter Freund, aber | |
aufpassen, der kann frech werden.“ | |
Ohne mich eines Blickes zu würdigen, rückt Kunzelmann mein Handy wieder | |
raus und sucht im Stechschritt das Weite. | |
Mich erinnert Kunzelmanns Grab-Chat an E.T.A. Hoffmanns besten Freund | |
Theodor Gottlieb von Hippel. Der hat einst nachts auf Hoffmanns Kreuzberger | |
Gruft Rotwein gesoffen und geschrien: „Komm raus, du!“ | |
Guido Schirmeyer | |
30 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Guido Schirmeyer | |
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