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# taz.de -- Das ewige Versprechen
> Wahlkampf Mit der Rente kann man Wahlen gewinnen, Geschenke gibt’s
> hinterher trotzdem oft nicht. Eine Analyse von 60 Jahren Rentenpolitik
von Roman Klimke, Niklas Potrafke und Markus Reischmann
Im Herbst 2017 steht die nächste Bundestagswahl an. Union und SPD scheinen
sich schon warm zu laufen und mit neuen Rentengeschenken die Wähler locken
zu wollen. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer erklärte mal eben die private
Riester-Rente für gescheitert, verkündete das Ende des neoliberalen
Zeitalters in der Rentenpolitik und versprach, das Rentenniveau nicht
weiter abzusenken.
Prima Schützenhilfe für eine Ausweitung der Rentenleistungen hat auch
Andrea Nahles am 1. Mai geleistet und klargestellt, dass die vielen
schlauen Rentenratgeber mit ihrem Gerede vom demografischen Wandel und
davon, dass wir nun länger arbeiten müssten, keine Ahnung hätten. Diese
haben ja schließlich auch nicht „Rücken“ oder kaputte Knie. Bei solch ein…
Getrommel schlägt das Gewerkschafterherz höher. Der SPD-Vorsitzende Sigmar
Gabriel verkündete, die Rente zum Wahlkampfthema machen zu wollen: Ein
Dauerbrenner? Nachdem vor der Bundestagswahl 2009 ein niedrigeres
Rentenniveau abgewendet wurde, darf man vermuten, dass vor Bundestagswahlen
gerne Rentengeschenke verteilt werden.
## Kinder kriegen die Leute immer
Die dynamische Rente nach dem bis heute gültigen Umlageverfahren wurde 1957
von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) eingeführt. Innerhalb der Regierung
gab es dagegen Widerstand von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, der
sich um die Nachhaltigkeit des neuen Rentensystems sorgte: Bis dahin war
die gesetzliche Rentenversicherung nach dem Kapitaldeckungsverfahren
organisiert. Adenauer begegnete der Kritik mit der Aussage „Kinder kriegen
die Leute immer“. Das Umlageverfahren funktioniert eben nur dann, wenn es
stets genügend Junge gibt, die die Rente der Alten finanzieren.
Wahltaktisch war die Einführung der dynamischen Rente im Jahr 1957 ein
voller Erfolg: CDU/CSU gewannen die Bundestagswahl mit absoluter Mehrheit.
Innerhalb der letzten 60 Jahre wurden die Rentenleistungen drei Mal
unmittelbar vor Bundestagswahlen ausgeweitet. Neben der großen Rentenreform
von 1957 geschah dies 1972 durch die Einführung einer flexiblen
Altersgrenze und der Ausweitung des Versicherungsangebots auf
Selbstständige und Hausfrauen, mithilfe derer Bundeskanzler Willy Brandt
(SPD) den Wahlkampf gewann. Vor der Wahl im Jahr 1987 weitete die
schwarz-gelbe Koalition die Hinterbliebenenrente auf Männer aus und
rechnete Kindererziehungszeiten als sozialen Ausgleich für Eltern auf die
Rente an. Nicht zuletzt durch den Einsatz des damaligen Sozialministers
Norbert Blüm, der sich in Zeiten schwindenden Vertrauens der Bürger und
steigender Beitragszahlungen für das System Generationenvertrag verbürgte
(„Denn eins ist sicher: die Rente“), gelang Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU)
die Wiederwahl.
Oft wurden Rentenleistungen unmittelbar nach Bundestagswahlen und inmitten
von Legislaturperioden ausgeweitet. Jüngste Beispiele dafür sind die Rente
mit 63 und die Mütterrente zu Beginn der gegenwärtigen Legislaturperiode.
Ebenso verteilte die neu gewählte rot-grüne Koalition unter Kanzler
Schröder (SPD) im Jahr 1998 großzügig Rentengeschenke. Durch die Erhöhung
der Bundeszuschüsse und die Abschaffung des demografischen Faktors gelang
es ihr, den Beitragssatz konstant zu halten und die Auszahlungen vorläufig
weiterhin an die Nettolohnentwicklung zu koppeln.
Jedoch gab es in Jahren vor Bundestagswahlen auch manchmal Rentenkürzungen.
So beschloss die schwarz-gelbe Regierung direkt vor der Wahl 1998 die
Einführung des demografischen Faktors, der ein langsameres Rentenwachstum
bewirkt und faktisch eine Rentenkürzung bedeutet hätte. Die rot-grüne
Koalition beschloss 2001 unmittelbar vor der Wahl eine Senkung des
Rentenniveaus von 70 auf 67 Prozent. Das spricht wahrlich nicht für
wiederwahlgetriebene Rentenpolitik. Auch die Statistik zeigt nicht, dass
Rentenleistungen insbesondere vor Wahlen ausgeweitet wurden.
## Umwälzungen entscheiden
Vielmehr könnte die parteipolitische Zusammensetzung der Bundesregierung
Rentenausweitungen und -kürzungen erklären. Doch lässt sich auch dies für
die Jahre seit 1957 nicht bestätigen. Am stärksten haben makroökonomische
Ereignisse und politische Umwälzungen die Rentenfinanzierung beeinflusst.
Beispielsweise stiegen die Bundeszuschüsse im Jahrzehnt der
Wiedervereinigung rasant an, während die jährlichen Salden unter null
sanken. Dies kann kaum einer plötzlichen Abkehr Kohls von seiner
restriktiven Rentenpolitik im Wahljahr 1990 zugeschrieben werden, sondern
der finanziellen Zusatzbelastung durch die gewollte Eingliederung Tausender
neuer Rentner aus Ostdeutschland, die nie in die westdeutschen Rentenkassen
eingezahlt hatten. Weil Kohl die deutsche Einheit ersehnte, gab er seinem
Finanzminister Theo Waigel vor, dabei nicht jeden Pfennig zweimal
umzudrehen.
Entgegen dem Eindruck, den man durch die jüngsten Aussagen von
Spitzenpolitikern gewinnen konnte, gehen Rentengeschenke und
Bundestagswahlen nicht Hand in Hand. Deskriptive Analysen zeigen, dass
Rentenleistungen ebenso häufig nach Wahlen ausgeweitet werden und dass
Regierungsparteien mitunter sogar während Bundestagswahlkämpfen Kürzungen
beschlossen haben. Die Aussagen von Politikern der letzten Monate sind
verfrühte Wahlkampfrhetorik gewesen. Ob solche Geschenke dann tatsächlich
vor der Bundestagswahl verteilt werden, erscheint aufgrund der
Rentenpolitik der vergangenen 60 Jahre fraglich. Das lässt hoffen, denn wir
haben keine Rentengeschenke zu verteilen. Es ist vielmehr dringend
erforderlich, dass wir im Zuge des demografischen Wandels länger arbeiten.
19 Jul 2016
## AUTOREN
Roman Klimke
Niklas Potrafke
Markus Reischmann
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