# taz.de -- Kunst gegen das Einfrieren | |
> Griechenland Zwei Wochen dauerte das selbst organisierte Kulturfestival | |
> „Asterismos“ auf der griechischen Insel Amorgos. Für Kost und Logis | |
> singen und spielen Künstler gegen die Krise an | |
Bild: Solche Performances sieht die Insel nicht oft, das neue Festival richtet … | |
VON Elena Beis | |
Hinter dem Hafen der 1.800-Einwohner-Insel Amorgos folgen zwei Dutzend | |
Menschen zu Pfeilen arrangierten Steinen und Blütenblättern. Ausgerechnet | |
hier, auf diesem Eiland der agoni grammi, der „Schiffslinie unwirtlicher | |
Inseln“ am Ostrand der Ägäis, findet derzeit ein Kunstfestival statt. | |
Der verwilderte Wanderweg führt zwischen lilafarbenen Thymiansträuchern zu | |
einer kleinen Kirche auf einem Hang. Oben hat die Schauspielerin Christina | |
Maxouri, 35, zwischen Olivenbäumen und Säulenresten ihre Requisiten | |
ausgepackt: Kinderfotos, die Bücher ihrer Lieblingsdichter und ein Baglama, | |
das kleine Saiteninstrument des Rembetiko, den einst verbotenen Blues der | |
Underclass. | |
Maxouri singt a cappella das Volkslied vom verlorenen Sohn und trommelt zur | |
Melodie auf ihrem Bauch. Sie rezitiert Gedichte und mischt sich dabei unter | |
die Zuschauer, die auf dem Boden sitzen. Aus nicht allzu großer Entfernung | |
starren auch ein paar Ziegen herüber. Der Titel dieses Musikabends ist | |
„Geliehene Schuhe“; ein Titel wie das Lebensgefühl dieser Generation: dass | |
uns alles nur geliehen ist. Normalerweise tritt Maxouri in Athen auf, in | |
Theatern, Cafés, manchmal auch im Ausland. Nun spielt sie in der Natur, im | |
Rahmen des vor vier Jahren ins Leben gerufenen Festivals „Asterismos“, der | |
„Sternenkonstellation von Amorgos“. | |
Der griechische Dichter Giorgos Seferis schrieb einst, dass nach dem | |
Verlust der Frühling wieder gekommen sei, doch „mit ihm kam die große | |
Entbehrung / und setzte sich und breitete sich aus / wie der Frost“. Eben | |
darum, gegen den lähmenden Frost der Krise anzukämpfen, geht es bei diesem | |
Festival. Einer der Organisatoren, es sind zehn Inselfreunde, ist der | |
Barbesitzer Theodor Thanos, 49. „Wir wollten etwas gegen das Einfrieren der | |
Hände, der Füße und des Kopfes unternehmen, das die Krise ausgelöst hat“, | |
sagt er nach der Vorstellung. Sie können den Künstlern zwar keine Honorare | |
zahlen, bieten aber drei Tage Verpflegung und Logis im Austausch an. | |
Während sich Maxouri im Dunkeln den Weg zum Dorf hinabtastet, ihren Koffer | |
mit den Requisiten unterm Arm, sagt sie: „Wir müssen aktiv bleiben, um | |
unsere Integrität zu wahren, die Liebe zur Kunst, und um in Würde | |
dazustehen.“ | |
Auf dem Programm stehen Musik, Theater, sogar Akrobatik. Am folgenden Abend | |
führt eine Tänzerin auf einem Aloni, einer Gesteinsplatte, auf der früher | |
Weizen gedroschen wurde, eine Performance auf; Tags darauf spielen vor den | |
Ruinen eines antiken Turms vier Musiker die „36 griechischen Tänze“ des | |
Komponisten Nikos Skalkottas auf ihren Streichinstrumenten. Die Zuschauer | |
sitzen auf dem Hang dahinter und lauschen, mit Blick auf die Umrisse der | |
benachbarten Inseln. | |
Zuletzt inszeniert das Puppenduo „Hop Signor“ auf einem kleinen Platz | |
zwischen den weißen Häusern des Dorfes die Geschichte einer Giraffe, die in | |
Wahrheit nur eine Sparbüchse ist, zu der aber ein Junge und ein älterer | |
Mann eine innige Beziehung aufbauen. Es ist die Premiere, und die | |
Puppenspielerin Eugenia Tsichlia, 33, fühlt sich durch die positive | |
emotionale Resonanz bestärkt: „Die Krise bringt dich dazu, mehr Risiken | |
einzugehen und alles zu geben.“ | |
## Künstler bahnen neue Wege | |
Überall im Land bahnen sich Künstler neue Wege. In Athen finden | |
Performances in leerstehenden Hallen oder auf dem Lykabettos-Hügel statt. | |
Dichter lesen bei freiem Eintritt im Open-Air-Kino. Und bei Konzerten im | |
Gazi, dem ehemaligen Elektrizitätswerk, wird Eintritt gegen | |
Lebensmittelspenden für Notdürftige gewährt. Beim Filmfestival der Stadt | |
Drama wurde in diesem Jahr gar eine Rekordzahl von 210 Kurzfilmen | |
griechischer Produktion eingereicht. | |
„Die Menschen dürsten danach, sich auszudrücken, wenngleich mit wenigen | |
Mitteln“, sagt Thanos. In seiner Bar Giasemi stellt nachts Anneta | |
Stefanopoulou, auch eine junge Puppenspielerin aus Athen, Jovan vor. | |
Normalerweise singt Jovan melancholische Rembetiko-Lieder auf den Straßen | |
von Athen. Dort erlebt Anneta die Krise in all ihren Facetten: „Man spürt | |
die Anspannung bei Passanten wie auch bei den Künstlern. Es sind heute viel | |
mehr Künstler auf der Straße, und das hat Chaos gebracht. Die alten Regeln, | |
etwa: Ich übertöne den anderen nicht mit meiner Musik, werden nicht mehr | |
respektiert. Doch die Menschen begegnen uns mit mehr Wertschätzung.“ | |
Eltern, die mit ihren Kinder nicht ins Theater gehen könnten, seien sehr | |
dankbar über die Unterhaltung, die auf der Straße frei angeboten wird. „Da | |
wir im ‚Außen‘ nichts für unsere Zukunft aufbauen können, machen wir nun | |
eher Dinge, die der Seele guttun, auch ungewöhnliche Dinge. Wir sind freier | |
geworden. Doch die Herausforderung ist, nicht müde zu werden.“ | |
Aktiv bleiben und Experimentieren, gegen die Lähmung, gegen den Frost. Aber | |
das sei noch nicht alles, sagt Mata Lambropoulou, 39, eine der | |
Organisatorinnen des Festivals: „Wir arbeiten jetzt mehr zusammen.“ Und das | |
gilt nicht nur für die Kunst, sondern auch für alle anderen Lebensbereiche: | |
Jedes Stadtviertel hat Suppenküchen und ehrenamtliche Arztpraxen, viele | |
Menschen engagieren sich zudem für Flüchtlinge.“Ob das so bleibt, wenn wir | |
eines Tages wieder Fuß fassen, wird sich zeigen“, sagt Mata. Mit dem | |
Festival wolle man jedenfalls nicht nur den Künstlern, sondern auch den | |
Einheimischen etwas bieten. | |
Sofia Giannakou, 35, eine Verkäuferin aus Amorgos, sagt: „Das Festival hat | |
etwas Neues auf die Insel gebracht. Die Menschen hier brauchen Anreize und | |
neue Eindrücke.“ Noch kommen nicht so viele Einheimische zu den | |
Vorstellungen. „Es dauert seine Zeit, bis man sich hier neuen Dingen | |
öffnet“, sagt Barbesitzer Thanos. | |
Die zwei Wochen sind nun vorbei, und das Festival wird auf traditionelle | |
Weise beendet, mit einer Feier vor einer Kirche mit spektakulärer Sicht auf | |
die Ägäis. Der Amorgier Manolio leitet heute wie bei den traditionellen | |
Panigiria, den Inselfesten, das Kochen. Einheimische spielen Violine. | |
Künstler, Zugezogene, Einheimische, alle haben ihren Teil zum Festival | |
beigetragen, nun wird zusammen gesungen, gegessen und getanzt. | |
6 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Elena Beis | |
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