# taz.de -- „Die Prothese kann ein Accessoire sein“ | |
> DESIGN Der Hamburger Frank Purk kreiert Prothesen mit individuellen | |
> Airbrush-Motiven, die trotzdem im Alltag taugen. Seine Kunden wollen sich | |
> nicht verstecken, sondern auffallen, denn die meisten Leute gucken | |
> sowieso | |
Bild: Will mit seinen Prothesen auffallen: Orthopädietechniker Frank Purk | |
von Antonia Stille | |
Die Idee kam ganz spontan: „Komm, lass uns was Krasses machen“, hatte der | |
Orthopädietechniker Frank Purk seinem Kunden Mirco vorgeschlagen. Der | |
damals 26-Jährige brauchte eine neue wasserfeste Beinprothese fürs | |
Schwimmbad. Eine normale, hautfarbenen Prothese fanden die beiden zu | |
langweilig: „Wir waren ungefähr in einem Alter und dann kommt man ins | |
Schnacken“, sagt Purk. Das Ergebnis war ein künstlicher Unterschenkel, | |
geformt wie ein Hai, der den Rest des Beins mit seinen spitzen, weißen | |
Zähnen abzubeißen scheint. „Wegen der kurzen Badehose gucken die Leute ja | |
sowieso“, sagt Purk. Warum also nicht etwas besonderes wagen? | |
Fünf Jahre ist das her. Heute entwirft der 34-Jährige in seiner Werkstatt | |
im Motion Center in Hamburg-Alsterdorf für viele Kunden individuelle | |
Prothesen. „Gerade die Jüngeren wollen etwas Abgefahrenes“, sagt Purk. | |
Das Gebäude ist modern, die Werkstatt hat hohe Decken und Fenster und auf | |
dem Tisch liegen bunt besprühte Modelle: ein Schienbein mit einem | |
Frauenkörper in Marmoroptik, ein Knie in Form einer Teufelsfratze und | |
natürlich der Hai, der einen blutigen Oberschenkel verschluckt. Purk fühlt | |
sich in dem Raum wohl: „Das passt hier einfach. Normalerweise sehen | |
Sanitätshäuser eher nach Kompressionsstrumpf aus.“ | |
Dass er einmal Kunstwerke aus Prothesen herstellen würde, war während | |
seiner Ausbildung zum Orthopädietechniker im Hamburger Stadtteil St. Georg | |
noch nicht abzusehen. Damals hatte er mit künstlichen Körperteilen noch gar | |
nichts zu tun. Er baute als 16-Jähriger stattdessen Rollstühle, | |
Krankenbetten und Mieder. „Das war natürlich nicht toll, aber ich habe Geld | |
bekommen. Mit 16 war mir der Rest auch lax.“ | |
Trotzdem interessierte ihn der Beruf: „Ich wollte ein Handwerk lernen, in | |
dem ich Dinge von Anfang bis Ende fertig baue.“ Nach der Lehre hätte er | |
trotzdem lieber als Maskenbildner in der Filmbranche gearbeitet. Aber ohne | |
entsprechende Ausbildung bekam er keine Stelle. Also blieb er bei der | |
Orthopädietechnik. Zwölf Jahre lang war er direkt neben einer Unfallklinik | |
angestellt. „Da habe ich dann Prothesen gefertigt wie ein Wahnsinniger“, | |
sagt er. „Das war geil.“ | |
## Über die Metallstangen kommt Weichschaum | |
Die Kunden aus der Unfallklinik seien meist junge Erwachsene gewesen. | |
„Normalerweise sind Amputierte 60 Jahre alt oder älter und werden operiert, | |
weil sie zu viel rauchen oder Diabetes haben“, sagt Purk. Viele Patienten | |
dort hätten ihr Bein jedoch durch einen Unfall verloren. „Die waren in | |
meinem Alter oder jünger und offen für Neues.“ Nachdem Mirco seinen Hai | |
bekommen hatte, wollten immer mehr Kunden eine individuelle Prothese. „Wenn | |
die Leute dann mit so einem Ding herumlaufen, ist das natürlich die beste | |
Werbung“, sagt der Prothesenkünstler. | |
Auf Purks großem Holztisch liegen bunte Stoffe, metallene Gelenke und ein | |
Fuß aus Weichschaum. Die Prothesen sind speziell an den Kunden angepasste | |
Stangen aus Metall, verbunden durch Scharniere, die wie Gelenke | |
funktionieren. Darüber zieht Frank Purk die von ihm designten Hüllen, | |
sogenannte Kosmetiken, die aus Weichschaum bestehen und die äußere Schicht | |
der Prothesen bilden. „Am Anfang habe ich noch mit Hartschaum gearbeitet, | |
der ging aber so schnell kaputt. Weichschaum ist beweglicher.“ | |
Seit 2013 bietet er auch bunte Prothesenstrümpfe mit eigenen Designs an. | |
Die sind günstiger und können einfach über die Prothese gezogen werden. | |
Dafür haben sie keinen 3-D-Effekt. „Die Deutschen sind oft geizig. 400 Euro | |
Zuzahlung für eine coole Kosmetik ist vielen zu teuer“, sagt Purk. Anders | |
als bei den Weichschaum-Kosmetiken, hat Frank Purk Kataloge mit über 40 | |
verschiedenen Strumpfdesigns angelegt, aus denen die Kunden auswählen | |
können. „Die meisten Menschen sind nicht kreativ. Sie freuen sich über eine | |
Vorauswahl“, sagt Purk. Falls ein Kunde spezielle Wünsche hat, designt er | |
aber auch die Strümpfe individuell. | |
## Purk arbeitet mit Air-Brush-Künstlern zusammen | |
Wenn Purk einen Auftrag bekommt, holt er sich Inspirationen im Internet, | |
zum Beispiel für ein Schienbein in Ironman-Optik: „Dann hängen hier überall | |
Ironman-Bilder und es läuft ein Helden-Soundtrack“, sagt er. Zu Beginn hat | |
er die Prothesen noch selbst bemalt, inzwischen arbeitet er mit | |
professionellen Air-Brushern und Künstlern zusammen, die seine | |
handgefertigten Kosmetiken bunt machen: Er kreiert die Form, sie machen die | |
Farbe. | |
Es gebe auch andere, die farbige Prothesen anbieten, sagt Purk. „Das sind | |
dann aber Industriedesigner.“ Was ihn ausmache, sei seine Expertise als | |
Orthopädietechniker. Er passt seine Designs an die Bedürfnisse und | |
Möglichkeiten seiner Kunden an. „Prothesen sind Alltagsgegenstände. Die | |
müssen praktikabel sein.“ | |
Purk fertigt nur Beinprothesen an. „Ich finde, man sollte nur das machen, | |
was man gut kann.“ Dass er ausgerechnet mit bunten Knien, Schienbeinen und | |
Füßen Erfolg hat, kann er erklären: „Arme und Hände kann man nicht gut | |
verstecken.“ Ob man sein Bein zeigen möchte, sei hingegen eine bewusste | |
Entscheidung. „Und wenn man seine Hose dann mal hochkrempelt, kann es auch | |
außergewöhnlich aussehen.“ | |
Der Künstler hält es nicht für eine gute Idee, wenn Betroffene so täten, | |
als sei alles normal. Dass eine Prothese kein echtes Bein ist, sehe man | |
auch, wenn sie hautfarben ist. „Wenn das Bein aber total krass aussieht, | |
trauen die Leute sich auch, den Träger anzusprechen“, sagt Purk. So | |
entstehe ein Dialog: Anstatt nur komisch angeguckt zu werden, können seine | |
Kunden über ihre Behinderung sprechen. | |
Auch Kinder profitieren von seinen Designs. Viele brauchen eine sogenannte | |
Orthese, ein Gestell, das schiefe Knie, Füße und Beine wieder richten soll. | |
„Die meisten Kinder wollen so etwas nicht tragen“, sagt Purk. „Wenn da | |
allerdings coole Piraten drauf sind, geben sie sogar damit an.“ | |
Inzwischen hat es Frank Purks Prothesendesign zu einiger Bekanntheit in der | |
Orthopädieszene gebracht: „Ich stelle regelmäßig auf großen Weltmessen aus | |
und halte dort Vorträge über Inklusion.“ Meistens ist dann auch sein erster | |
Kunde Mirco mit seiner Haiprothese dabei und zieht die Aufmerksamkeit der | |
Messebesucher auf sich: „Die finden ihn super“, sagt Purk. „Eine Prothese | |
kann eben auch ein modisches Accessoire sein.“ | |
16 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Antonia Stille | |
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