# taz.de -- Täuschung und Temperament | |
> Ausstellung „El Siglo de Oro“ in der Berliner Gemäldegalerie am | |
> Kulturforum präsentiert spanische Künstler des 17. Jahrhunderts: | |
> Meisterwerke mit Blockbuster-Qualitäten | |
Bild: Alonso Cano: „Christus in der Vorhölle“, circa 1655 | |
VON Christiane Meixner | |
Blut tropft aus jeder Körperöffnung, im Kopf eines Mannes steckt ein Nagel, | |
und nebenan liegen die bärtigen Häupter von Paulus, Jakobus und Johannes. | |
Menschliche Grausamkeit im Detail vorzuführen, ist keine Erfindung der | |
digitalen Ära. Sie war ein Privileg sakraler Malerei durch alle | |
Jahrhunderte, in denen Kirche und Staat die Hoheit über das Bild besaßen. | |
Dass einen die alte Erkenntnis in der jüngsten Ausstellung der Berliner | |
Gemäldegalerie durchfährt, hat mit der Unmittelbarkeit jener Bilder zu tun. | |
„El Siglo de Oro“, das Goldene Zeitalter der spanischen Kunst, mag fünf | |
Jahrhunderte zurückliegen. Dennoch berühren die Sujets, bei aller | |
historischen Distanz und Ferne ihrer Themen. Kreuzesabnahmen, Pietàs, | |
Auferstehungen: Das wirkt so lebensnah, als würde es eben jetzt geschehen. | |
130 Meisterwerke internationaler Provenienz bringt die Schau in der | |
Hauptstadt zusammen, darunter einiges aus dem Bestand der Staatlichen | |
Berliner Museen. Zu sehen sind Leinwände von Velázquez, El Greco, Murillo | |
oder Zubarán. Künstler mit Blockbuster-Qualitäten, die allein schon ein | |
volles Haus versprechen. Doch darüber hinaus will „El Siglo de Oro“ | |
komplexes Wissen vermitteln: über ein barockes Zeitalter, diverse | |
stilistische Schulen und nicht zuletzt ein Paradox. In einer Ära, in der | |
Spanien als stärkste europäische Macht zerfällt, in der der Dreißigjährige | |
Krieg, Hungersnöte und Epidemien wüten, erlebt die Kunst ihre Blüte. | |
## In höfischem Auftrag | |
Täuschung und Temperament als Ausdruck unbedingter Fähigkeit zur Empathie – | |
beides wird gleichermaßen wichtig. Für König Karl II., der das Land bis | |
1700 regiert, als Herrscher ohne Erben aber auch am Ende der spanischen | |
Habsburger Dynastie steht, erfüllt die Malerei noch einmal die Aufgabe, | |
Macht und Stabilität zu suggerieren. Ein großes Theater in höfischem | |
Auftrag. Gleichzeitig führt Karls Konzentration aller Macht auf die | |
ehemalige Residenzstadt Madrid zum Niedergang anderer spanischer Regionen. | |
Seine Regentschaft steht im Zenit. Die Vorgänger Philipp III. und Philipp | |
IV. hatten die Kunst zwar ebenfalls instrumentalisiert, sorgten | |
gleichzeitig aber für ihre Entfaltung. Vor allem Phillip IV. bewies mit der | |
Ernennung des gerade 24-jährigen Velázques zu seinem Kammermaler 1624 ein | |
untrügliches Gespür für dessen Talent. Und obwohl mit „Las Meninas“ (165… | |
und anderen königlichen Kinderbildern seine bekanntesten Exponate fehlen, | |
offenbaren die ausgestellten Porträts eines Hofnarren oder einer | |
unbekannten Dame, wie fein der Maler die widerstrebenden Kräfte | |
zusammenhält. Velàzquez ist ein Meister darin, das höfische Zeremoniell mit | |
der realen Lebendigkeit der Porträtierten zu verbinden. | |
Immer wirkt es, als hätte der Künstler sie gebeten, ihre Tätigkeiten kurz | |
anzuhalten und ihm Modell zu stehen. Den aufgebahrten Leichnam eines | |
populären Geistlichen versieht Velázquez – wenn er der Autor ist, noch | |
trägt die Zuschreibung des Bildes ein Fragezeichen – mit einem großen | |
Hämatom an der Stirn. Zeichen des Kampfs mit dem Bösen, das den Toten | |
seltsam unheilig aussehen lässt. Ein Makel als Strategie. Nahezu alle | |
Maler, die in „El Siglo de Oro“ das Sterben, Verzückung, Versuchung und | |
Martyrien vorführen, bedienen sich solcher Mittel. Sie sollen die | |
Empfindungskraft anregen und bilden den größten Kontrast zur Kunst im | |
übrigen Europa. Wohin man in der Ausstellung schaut, immer blicken | |
Individuen zurück. Ihre Kleidung, die Stillleben und Landschaften in den | |
Gemälden mögen noch so idealisiert sein. Im Ausdruck unterscheiden sich die | |
Figuren erheblich von der sakralen Norm. Das führt, vor allem bei den meist | |
lebensgroßen, farbig gefassten Skulpturen zu merkwürdigen Begegnungen. | |
## Tiefe Fleischwunden | |
Wer etwa den hölzernen „heiligen Ignatius von Loyola“ passiert, den Juan | |
Martínez Montañés 1610 in Sevilla schuf und mit einer maßgeschneiderten | |
Soutane beklebte, glaubt sich einen Moment lang dem lebendig gewordenen | |
Ordensgründer gegenüber. Haut und Hände, der asketische Ausdruck und nicht | |
zuletzt die Stofflichkeit des Gewandes machen den Jesuiten zu einer | |
Erscheinung. Ein Effekt, den andere Künstler wie Gregorio Fernández | |
gnadenlos steigerten. Sein toter Christus von 1627 ruht auf einem hölzernen | |
Bett in der Gemäldegalerie und lässt sich staunend umrunden. Die tiefen | |
Fleischwunden, die fließenden Locken auf einem fein gemusterten Kissen oder | |
die Falten im Laken hätten das Können des Bildhauers schon für sich | |
bezeugt. Dass Fernández dazu Glasaugen verwendet und Elfenbein für | |
täuschend echte Zähne, lässt den Eindruck kippen. An die Stelle von | |
Ergriffenheit rückt Budenzauber, der tote Christus mutiert zur Freakshow. | |
Fernández war in Valladolid tätig. Auch das lernt man in der Ausstellung: | |
Spanien verfügte damals über diverse kulturelle Zentren, die sich trotz | |
aller Konzentration auf den Königshof differenziert entwickelten. Was | |
Velázquez für Madrid war, dessen künstlerische Sprache eine Generation von | |
Malern beeinflusste, bedeutete Francisco Ribalta mit seiner Werkstatt in | |
Valencia oder El Greco in Toledo. | |
Dessen Werk entfaltet magisches Potenzial, wenn sich für die monumentale | |
„Unbefleckte Empfängnis“ (1608 bis 1613) der Himmel einen Moment für Maria | |
öffnet. Die extreme Untersicht des Gemäldes, seine überirdische Farbigkeit | |
und die für El Greco typische Streckung der Figuren machen die biblische | |
Geschichte zum dramatischen Erlebnis. Parallel werden die Instrumente des | |
Malers erklärt, wird seine Wirken geschichtlich eingebettet und analysiert. | |
Ein Auftakt, wie er kaum zu überbieten ist. Und doch erreicht diese visuell | |
wie inhaltlich grandiose Schau, Ergebnis einer vierjährigen Vorbereitung, | |
immer wieder ihr Einstiegsniveau. | |
„El Siglo de Oro“: Gemäldegalerie, Kulturforum am Matthäikirchplatz, | |
Berlin. Bis 30. Oktober | |
5 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Christiane Meixner | |
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