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# taz.de -- Fasten Mit leerem Magen kocht Roula am Abend mehrere Gänge. 20 Stu…
Bild: Familie Al Zarzour aus Syrien: Roula mit der kleinen Alin, Hanin, Ahmed u…
Von Philipp Adolphs
Roula hat seit mehr als zwölf Stunden nichts gegessen oder getrunken. Sie
fastet. Noch ist Ramadan, aber später, wenn der Mond zu sehen ist, gegen 22
Uhr, will sie das Fasten brechen: mit Süßem und Fettem.
Wir warten auf den Bus nach Osnabrück-Schinkel, der uns zum türkischen
Supermarkt bringt: Roula Al Zarzour, 29, ihre 13 Monate alte Tochter Alin
und ich. Sie sind aus Syrien, leben seit zwei Jahren hier in der Stadt, sie
kennen das jetzt: die Fachwerkfassaden, das Denkmal für die gefallenen
Soldaten der Schlacht von Waterloo. Den Irish Pub, wo zuletzt die
Fußball-EM gefeiert und das Brexit-Referendum betrauert wurde.
Es regnet. Roula trägt ein modisches Kopftuch; eigentlich kauft sie jeden
Samstag mit Said ein, ihrem Mann. Said aber stutzt gerade den Apfelbaum in
ihrem Kleingarten – sie sind eine der acht Familien von Geflüchteten, die
im Rahmen eines Integrationsprojekts einen Kleingarten geschenkt bekommen
haben. In der Lokalzeitung ist ein großes Bild von ihnen erschienen. Auch
in einem Kurzfilm der Caritas sind Said und Roula zu sehen, der Film soll
Vorurteile gegenüber Flüchtlingen abbauen. Ob die ganze
Medienaufmerksamkeit nicht nerve, frage ich die beiden später. Nein, sagen
sie. Sie hätten viele Ideen.
Im türkischen Supermarkt kauft Roula Lebensmittel für die ganze Woche ein.
Die Kartoffeln sind so dick wie Mangos. Das Putenfleisch ist halal. Die
lateinischen Buchstaben auf den deutsch- oder englischsprachigen
Verpackungen kann Roula nicht lesen, die arabischen Schriftzeichen verstehe
ich nicht. Wir helfen uns gegenseitig und verstauen die Einkäufe im unteren
Fach des Kinderwagens.
Hanin und Ahmed, 6 und 9 Jahre, hören wir schon im Treppenhaus. Nachdem
Ahmed unaufgefordert beim Auspacken der Einkäufe geholfen hat, zeigt er
eine Urkunde, die er von seinem Schuldirektor für Dolmetschertätigkeiten
bekommen hat. Wenig später rast er mit einem „Star Wars“-Schlüsselanhäng…
in seiner Hand durch die Wohnung und imitiert die Geräusche von
Lasergeschossen eines Raumschiffs, in dem Darth Vader persönlich am Steuer
sitzt. „Das Erwachen der Macht“ hat Ahmed längst im Kino gesehen. Hanin
jagt ihrem großen Bruder mit einem lilafarbenen Lichtschwert hinterher.
In der Küche köcheln Hähnchenkeulen in einem Topf. Wir legen Weinblätter
für zwei Stunden in Wasser ein, die wir für den Hauptgang wieder abgießen,
mit dem Hähnchen und der Brühe vermengen.
Drei Stunden verbringt Roula vor jedem Fastenbrechen in der Küche. Heute
freuen sich die Kinder vor allem auf den Nachtisch: Es gibt Halawet el
Jibn, süße Käseteigrollen, Kunafeh, süßen Käsekuchen, und Käsebrötchen.
„Mit Wasserblume wird jeder Nachtisch besser“, sagt sie und zeigt ein
Fläschchen mit durchsichtigem Inhalt. Riecht gut. „Auch bei Magenschmerzen
hilft das.“
Hanin überwacht alles vom Küchentisch aus. „Papas Fahrrad wurde schon mal
geklaut“, sagt sie und empfiehlt deshalb die Kamera aus dem Werbeprospekt
eines Discounters, den sie nebenher studiert. Dann malt sie die
lateinischen Buchstaben in ihr Notizbuch, die sie bereits gelernt hat:
„HADRTANIMEP231“. Roula zeigt den Hefeteig für Halawet el Jibn: „Der Teig
hat Fieber“, sagt sie; heiß sei er, und dass er warm bleiben müsse. Wir
legen ihn auf die Heizung vor dem Fenster; Roula wiederholt das Wort
„Speisestärke“, das ich ihr von einer Verpackung vorgelesen habe, fünfmal,
damit sie es sich einprägen kann. Sobald ihre kleine Alin einen
Kindergartenplatz bekommt, sagt sie, will sie an der Volkshochschule
Deutsch bis zum C1-Niveau lernen und wieder als Krankenschwester arbeiten.
Als es dunkler wird, kurz vor 22 Uhr, stehen vier Gäste vor der Tür:
Freunde, unter anderem aus dem Exilverein für Flüchtlingshilfe. Sie spielen
mit den Kindern im Wohnzimmer und Said klappt den Tisch aus, um ihn zu
vergrößern.
Dann ist es so weit: Roula hat knapp 20 Stunden weder gegessen noch
getrunken. Als einzige in der Familie: Die Kinder sind noch zu klein dafür,
und Said wollte dieses Jahr nicht mitmachen. Er gießt seiner Frau ein Glas
Erdbeersaft ein. Ihr Blick, nach dem ersten Schluck, kann sprechen: Das tat
gut.
Von den fetten und süßen Speisen werden alle so schnell satt, dass die
Desserts, zu denen nach Mitternacht Kaffee und Chai gereicht werden, jeder
nur noch probieren kann. Die Shisha geht rum, Gespräche über Kulinarisches
und das Wetter ergeben Versprecher wie „Blitz und Döner“. Roula kommt lange
nicht aus dem Schlafzimmer zurück, als sie nach dem Baby sieht. Sie ist
eingenickt.
Die Essecke: Autoren der taz treffen sich auf dieser Seite jeden Monat mit
Flüchtlingen, um mit ihnen zu kochen. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch
befragt Praktiker des Kochens, Philipp Maußhardt schreibt über das Essen in
großen Runden, und Waltraud Schwab macht aus Müll schöne Dinge.
9 Jul 2016
## AUTOREN
Philipp Adolphs
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