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# taz.de -- Hausbesuch Weil sein Vormieter Bomben baute, wurde in einer Berline…
Bild: 1968 hörte Heinrich Ufer für sieben Jahre auf zu malen, aus politischen…
von Dshamilja Roshani (Text) und Christian Mang (Fotos)
Zu Besuch bei Heinrich Ufer im Berliner Stadtteil Schöneberg. Seit fast
einem halben Jahrhundert lebt der 75-jährige Maler und Autor dort in einer
Wohngemeinschaft. Früher sei das so halb die Zentrale des Kommunistischen
Bundes Westdeutschlands gewesen, sagt Ufer. Er findet es hier noch immer
unterhaltsam.
Draußen: Majestätisch steht der cremefarbene Altbau am Ende der Straße.
Stuck verziert die grünen Balkone und geschwungenen Fensterbögen, die Vögel
zwitschern eher zurückhaltend im gutbürgerlichen Herzen Schönebergs. Durch
das bunte Kirchenfenster im Treppenhaus fällt sanftes Licht hinein. Im
Erdgeschoss ist es kühl und dunkel, im vierten Stock milchig und hell.
Drinnen: Lisa, Jan und Annika wohnen hier, alle Mitte 20, sie studieren
oder machen Praktika. Ihre Nachnamen wollen sie in den Zeiten von Google
nicht in der Zeitung sehen. Und dann ist da Heinrich Ufer: Er ist 75 und so
alt wie die anderen drei zusammen. In seinem Zimmer reichen Bücherregale
bis unter die Decke, am Schreibtisch steht ein halb volles Glas Rotwein.
Dahinter ein antiker Computer, dessen Monitor von dicken Kunstbüchern
gestützt wird. Seit 1971 lebt er in der WG, mit 75 verschiedenen Leuten hat
er seitdem zusammen gewohnt.
Die Anfänge: Damals, vor 45 Jahren, kam er aus dem hessischen Wetzlar nach
Berlin und hörte durch einen Bekannten von der linken Wohngemeinschaft in
Schöneberg. „So halb die Zentrale des KBWs“ sei das damals hier gewesen,
erzählt er und lehnt sich in seinen braunen Holzstuhl zurück, ein
Designobjekt von 1964. Eines Tages stand einer der Mitbewohner in der Küche
und bastelte an einer Bombe. Die wollte er auf der nächsten Demonstration
werfen. „Daraufhin haben ihm die anderen dann freundlich nahegelegt,
auszuziehen“, erinnert sich Heinrich Ufer und lächelt. „So wurde das Zimmer
frei.“
Was macht er? Eigentlich hat er Volkswirtschaft studiert, widmete sich aber
bald dem Schreiben und Malen. „Ich bin produktiv“, sagt er und zieht einen
Stapel Bücher aus den Regalen. 65 Romane hat er geschrieben, er druckt,
bindet und verlegt sie selbst. Sein Protagonist ist ein in Paris lebender
Künstler, der sich mit der Frage beschäftigt, ob die Malerei als Kunstform
noch in der Lage ist, unsere Gesellschaft zu beschreiben. Eine Frage, die
Ufer sich auch selbst stellte. „1968 hörte ich aus politischen Gründen auf
zu malen, für ganze sieben Jahre“, er habe damals nicht mehr für die
Bürger, die gediegenen Leute arbeiten wollen. „Ein bisschen extrem war das
schon“, findet er heute, aber früher sei eben alles politisch gewesen, auch
die Kunst. Über die Gestaltung von Plakaten für Uni-Aktionen fand er wieder
zurück zur Malerei.
Sein Stil: Wie viele Werke er seitdem produziert hat? „Ach, Tausende“, sagt
er und wischt den Staub vom Umschlag eines Bildbandes. Er blättert, hält
hier und da inne, fährt mit dem Finger über Linolschnitte und Collagen,
über Unterdrucke und Rasterbilder. Vom abstrakten amerikanischen
Expressionismus sei seine Ästhetik geprägt, aber mittlerweile habe er auch
seinen eigenen Stil entwickelt. „Aber es war mir nie wichtig, berühmt zu
werden, das war nie mein Ziel.“
Täglich Brot: Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit etwas anderem;
gemeinsam mit einem Freund gründete er eine Gartenbaufirma. Die Arbeit
gefiel ihm, sie hatten viele Projekte in den Pyrenäen, das sei ein Leben
wie im 19. Jahrhundert gewesen. Zwei oder drei Aufträge im Jahr, und in der
restlichen Zeit konnte er malen. Nach Frankreich zog es ihn auch sonst oft,
vor allem nach Paris: „Es gab Zeiten, in denen ich dort 25 Mal im Jahr war.
Mit einem Billigflug hin und immer im selben Hotel – eine herrliche Zeit.“
Die Pariser Straßen kenne er noch heute besser als die in Schöneberg.
Kommen und gehen: Die MitbewohnerInnen wechselten, Heinrich Ufer blieb.
Manche Lebensgefährtin wohnte bei ihm, zeitweise seine Kinder. Mit seiner
Exfrau ist er gut befreundet, sie unternehmen seit Jahren gemeinsame
Radtouren im Sommer. Aber er mag das unabhängige Leben in der
Wohngemeinschaft, es sei abwechslungsreich und unterhaltsam.
Miete: Als er einzog, zahlten sie pro Monat 240 Mark für die
Fünf-Zimmer-Wohnung – heute sind es 1.000 Euro. „Das ist mehr“, sagt
Heinrich Ufer trocken. Allein in den letzten fünf Jahren stieg die Miete um
300 Euro. Begehrt ist die Wohnung trotzdem. Als kürzlich wieder ein Zimmer
frei wurde, gab es nach drei Stunden 350 Anfragen übers Internet. Sie
hätten acht Leute eingeladen, die Hälfte davon kam tatsächlich. Dann haben
sie abgestimmt.
Zusammenleben: Früher habe man eher nach politischen Kriterien ausgewählt,
heute würden sie dagegen nach Sympathie gehen – etwas spontaner sei das.
„Ich dachte ja auch, dass die Leute es nicht mögen könnten, dass ich so alt
bin, aber das spielt keine Rolle.“ Er klingt erleichtert. „Die jungen Leute
sind sehr nett, ein bisschen kühler als wir früher, aber wir kommen gut
miteinander aus.“ Sie haben einen wöchentlich wechselnden
Gemeinschaftsdienst, es gebe keine Probleme in der Küche, und manchmal
kochen sie sogar zusammen. „Keiner hat Ansprüche“, sagt Heinrich Ufer, „…
jeder zieht sich zurück, wenn er will.“
Feiern: Die Partys seien früher aber wilder gewesen. „Richtig gut war das
damals: Wir hatten manchmal 80, 90 Leute hier und um 6 Uhr hat man dann
festgestellt, dass das Klo verstopft ist.“ Wenn es heute in der
Wohngemeinschaft etwas zu feiern gibt, ist er aber auch noch oft dabei,
„ich hab da keine Berührungsängste.“ Mitbewohnerin Annika lächelt und sa…
„Er ist erstaunlich lange dabei auf Partys – manchmal schläft er dann
einfach ein.“
Wie findet er Merkel? Überraschender Themenwechsel – er holt kurz Luft,
überlegt, es ist ein seltener Moment der Stille. Als Kanzlerin sei sie
nicht schlecht, sagt er dann, sie sei ihm lieber als der Kohl. „Als Typ ist
sie mir allerdings etwas zu introvertiert. Nicht so expressiv. Aber ich bin
auch kein CDU-Wähler.“
Wann ist er glücklich? „Jetzt“, sagt Heinrich Ufer, ohne zu zögern. „In…
letzten fünf, sechs Jahren fand ich es am bequemsten, zu leben.“
Irgendwann, wenn er die Treppen nicht mehr hochkommt, müsse er sich wohl
etwas anderes suchen. Vielleicht ziehe er dann zu einem Freund nach
Brandenburg, mal sehen. Bis dahin gilt aber, was ihm die letzten 45 Jahre
in der Wohngemeinschaft immer wieder gezeigt haben: „Es ist schön, wenn
Mitbewohner länger bleiben. Aber wenn jemand weggeht, kann man nichts
machen.“
Kontakt: Sie möchten ebenfalls besucht werden? Schreiben Sie an
[email protected]
9 Jul 2016
## AUTOREN
Dshamilja Roshani
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