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# taz.de -- Abschlag im Hochhausschatten
> Stadtentwicklung Der Leipziger Stadtteil Grünau hat gerade 40. Geburtstag
> gefeiert. Ein Kunstprojekt hat den Golfsport in die Großsiedlung
> gebracht, die längst als Problembezirk gilt
Bild: Beliebter Fremdkörper: ein Golfcart in Grünau
aus leipzig Edgar Lopez
S-Bahn-Haltestelle „Allee-Center“, Leipzig-Grünau. Die Gleise ziehen sich
wie eine stählerne Ader durch die Betonwuchten. Auf der einen Seite wird
die Haltestelle von einer Betonfront begrenzt. Vor langer Zeit wurde sie
mit legalen Graffitis bemalt. Deren Farben sind mittlerweile von der Sonne
ausgeblichen. Darüber thront das Allee-Center, das der Haltestelle seinen
Namen gibt. Es ist ein postmoderner Bau aus den Neunzigern, viel Glas und
viel Beton. Er gewährleistet die Nahversorgung und bietet alles, was man
zum Überleben braucht. Funktional, aber keinesfalls extravagant.
Die andere Seite der Haltestelle geht in einen mit Sträuchern begrünten
Hang über. Dahinter steht ein verlassenes Gebäude, auf dem noch groß und
weithin sichtbar das Logo der Deutschen Post prangt. Seine besten Zeiten
sind schon lange her. Hier beginnt die Stuttgarter Allee, eine der
Hauptachsen Grünaus. Hier sieht man die geballte Ladung ostdeutscher
Plattenbau-Urbanität. Sechzehnstöckige Hochhäuser. Wenig Glas, dafür umso
mehr Beton. Dazwischen befinden sich Funktionsbauten und öffentliche
Plätze, die ebenfalls aus Betonteilen bestehen.
Nach Grünau braucht man aus der Leipziger Südvorstadt auf direktem Weg mit
der S-Bahn eine halbe Stunde. Aus dem direkt angrenzenden Plagwitz sind es
weniger als fünf Minuten. Zwischen den angesagten Leipziger Stadtteilen und
Grünau liegen jedoch gefühlte Welten.
Für viele Leute aus diesen anderen Welten ist Grünau Synonym für vieles.
Etwa für Überalterung, Armut, Verwahrlosung und diejenigen, die
gesellschaftlich längst abgehängt wurden. Die Beton gewordene Antithese zum
sich selbst als weltgewandt, dynamisch und progressiv inszenierenden
Leipzig. Nur nicht für positiven Wandel.
Mitten in dieser Umgebung soll das Grünau Golf Resort (GGR) entstehen. Laut
eigener Darstellung „Das größte urbane Golfresort der Welt“. Gespielt
werden soll auf den Grünflächen zwischen den Sechzehngeschossern. Hinter
der Stuttgarter Allee 30 entsteht gerade ein eigenes Klubhaus. Es ist dem
eines Golfplatzes im tschechischen Marienbad nachempfunden. Das ist eine
Hommage an den DDR-Golfsport, dessen bescheidene Geschichte in der
tschechischen Stadt ihren Anfang gehabt hat.
An der Mannheimer Straße soll es nach dem Willen der Planer sogar eine
Driving Range geben. Wenn alles klappt, werden demnächst schon große
Fangnetze aufgestellt. Bei Sicherheitsbedenken wird im Zweifelsfall mit
Air-Balls gespielt. Das sind hohle Plastikgolfbälle, die weit geschlagen
werden können, beim Aufprall aber trotzdem niemanden ernsthaft verletzen.
Mitglieder in diesem Resort dürfen zunächst nur Leute werden, die in Grünau
wohnen oder dort gemeldet sind. Wer von außerhalb kommt, muss durch einen
Grünau-Bewohner nominiert und zusätzlich von zwei weiteren Mitgliedern
empfohlen werden. Demnächst wird es Golf-Schnupperkurse geben, und am 16.
Juli findet erstmals die Grünau Open statt.
Was sich im ersten Moment wie eine ziemlich verrückte Idee anhört, ist
tatsächlich eine Kunstinstallation, die im Rahmen des internationalen
„Raster : Beton-Festivals für Kunst und Architektur“ realisiert wird. Das
Klubhaus ist lediglich ein kleiner Holzpavillon, dessen Fläche genau zehn
Quadratmeter beträgt. Wäre sie größer, hätte man bereits eine
Baugenehmigung benötigt. Ausgedacht hat sich das Ganze Daniel Theiler. Die
Idee des Architekten ist es, der Plattenbausiedlung mit dem GGR die
Exklusivität zurückzubringen, die sie zu ihrer Entstehung hatte. „Alles mit
einem Augenzwinkern, versteht sich“, so der gebürtige Bonner.
Die Leute sollen durch das Projekt Grünaus Image hinterfragen. „Ich fand es
besonders interessant, einen Sport zu nehmen, der ein starkes elitäres,
exklusives Image hat, und das über eine Plattenbausiedlung zu stülpen, die
meistens mit sozialem Brennpunkt und sozialschwachem Milieu verbunden
wird“, so Theiler. Zu DDR-Zeiten sei Grünau überhaupt nicht so gewesen. Es
war vielmehr ein begehrtes Viertel mit einem funktionierenden Milieu.
Über Geschichte und Entwicklung des Stadtteils weiß Uwe Kowski beinahe
alles. Er ist Projektleiter des Quartiersmanagements Grünau. Ursprünglich
wurde das Plattenbaugebiet für 85.000 Einwohner gebaut und für bis zu
100.000 geplant. Damit war es eines der größten der DDR. „Mittlerweile
wohnen knapp 44.000 Menschen hier, aber damit ist es immer noch so groß wie
eine Kleinstadt“, erläutert er. Von der Versorgung über schulische
Einrichtungen bis hin zur Kultur war jegliche Infrastruktur vorhanden.
Nach der Wende folgten enorme Umbrüche. Zunächst zogen viele Leute weg –
entweder weil nun auch die verfallenen Altbauten in der Innenstadt saniert
wurden oder weil der Traum vom Eigenheim endlich erfüllt wurde. Und dann
waren da noch all diejenigen, die wegen eines Arbeitsplatzwechsels die
Stadt ganz verlassen haben.
Das Ergebnis des massiven Wegzugs war immenser Leerstand. Deswegen
beschloss man, Grünau umzugestalten und ab 2002 diverse Gebäude abzureißen.
„Die Prozesse waren einfach notwendig, weil der Stadtteil die Hälfte seiner
Einwohner verlor“, so Kowski. Es sei nie eine Frage gewesen, ob das
passieren würde, es ging nur darum, wie das zu bewerkstelligen sein würde.
Er gibt zu, dass das in den Neunzigern und bis Anfang der 2000er Jahre
etwas chaotisch gewesen ist.
Das Quartiersmanagement wurde schließlich von der Stadt Leipzig
eingerichtet, um den Wandel Grünaus zu begleiten. Das Motto lautet „Grünau
entwickeln“. Die Einrichtung sieht sich vor allem als Vermittler von
Kontakten und Hilfestellungen zwischen Institutionen und jenen, die sich im
Viertel engagieren wollen. Kowski will Projekte fördern, die einen anderen
Blick auf Grünau werfen und eine andere Entwicklung dorthin bringen. So wie
das „Raster : Beton-Festival“ und das Grünau Golf Resort.
Tatsächlich wurde Grünaus Schrumpfungsprozess vor knapp drei Jahren
gestoppt. Mittlerweile erhält Kowski immer mehr Anfragen aus der Künstler-
und Kreativenszene, die nach Räumlichkeiten in Grünau fragen. Die
Gentrifizierung macht auch nicht vor Plagwitz halt. Es erfreut ihn
natürlich, dass Grünau scheinbar endlich seinen Teil von der Leipziger
Gesamtentwicklung abkriegt. Auch wenn der Stadtteil diese Anfragen in ihrer
Gänze gar nicht mehr so schnell bedienen kann.
Viel muss in Grünau trotzdem noch geschehen. Während seiner Arbeit hat
Daniel Theiler mit vielen Menschen gesprochen, die in den Betonburgen
leben, und den Eindruck erhalten, dass die meisten, vor allem älteren eher
resigniert und desillusioniert sind. Sie hätten das Gefühl, dass es nicht
mehr in ihrer Hand liegt, in welche Richtung sich Grünau entwickelt.
Mit dem Mitgliedschaftskonzept des GGR will er nicht nur dem Viertel,
sondern ihnen speziell ein Stück der Besonderheit zurückgeben, die sie
damals genossen haben. „Statusumkehr“ ist das Stichwort.
Vor allem Kinder und Jugendliche sieht man immer wieder am GGR. Sie freuen
sich, wenn sie mithelfen können, aber vor allem das Golfkart hat es ihnen
angetan. Laut Theiler fällt es schon auf, wie einige der jüngeren Kinder
von ihren Eltern sich selbst überlassen würden. Andererseits ist er auch
darüber überrascht, wie reflektiert einige Jugendliche über ihren Stadtteil
sind. Zum Beispiel die beiden 15-Jährigen Justin und Almir.
„Ich finde das Projekt total gut, und es wäre schon cool, wenn es so etwas
hier häufiger gäbe, vor allem für die kleineren Kinder“, so Justin. Sein
Freund Almir, der vor ein paar Jahren mit seiner Familie aus dem bosnischen
Mostar nach Grünau gekommen ist, bestätigt Theilers Beobachtung. „Die
kleineren Kinder machen ja hier größtenteils nur Scheiße“, sagt er. Wenn
sie beim GGR mithälfen, hätten sie endlich einmal ein schönes
Freizeitangebot, könnten spielen und sich mit Freunden treffen.
Vor ein paar Tagen hat Grünau Geburtstag gefeiert. 40 Jahre sind seit der
Grundsteinlegung vergangen. Es wird Zeit, einen weiteren Grundstein zu
legen – für eine neue Perspektive. Uwe Kowski findet dafür folgende Worte:
„Wir möchten Grünau nicht als herausragenden Stadtteil sehen, sondern
einfach, dass Grünau als ganz normal akzeptiert wird, so wie jeder andere
Stadtteil in Leipzig auch.“
17 Jun 2016
## AUTOREN
Edgar Lopez
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