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# taz.de -- Trost Momente, in denen sich Vergänglichkeit zeigt: Jean Echenoz b…
Bild: In sachlichen Schilderungen von Landschaften blitzen bei Echenoz Abgründ…
von Ulrich Rüdenauer
Admiral Nelson ist vom Sumpffieber geplagt, die Sehkraft des rechten Auges
hat er in einer Schlacht ebenso verloren wie seinen rechten Arm. „Nelson
ist ein kleiner, dünner Mann, liebenswürdig, jugendlich, eine tatsächlich
sehr attraktive Erscheinung, wenn auch vielleicht etwas blässlich. Und auch
wenn er wie ein Schauspieler lächelt, der ihn selbst zu spielen hat, wirkt
er tatsächlich sehr fragil, zerbrechlich, stets von irgendwelchen Brüchen
bedroht.“
Beim Dinner in einem Herrenhaus im Winter des Jahres 1802 ist Nelson als
Ehrengast geladen. Kürzlich erst hat er die Seeschlacht um Kopenhagen für
sich und ganz England entschieden. Zur Verblüffung der Tischgesellschaft
allerdings entfernt sich der Held aus dem Salon, tritt in den Garten und
stiehlt sich in den angrenzenden Wald davon, als sei er nicht mehr recht
von dieser Welt. Dort, im Wald, gräbt er in genau abgemessenem Abstand
Löcher in den Boden, in die er Eicheln versenkt. Die Saat möge irgendwann
aufgehen, und die ihn überdauernden Bäume sollen der künftigen Royal Navy
als Baumaterial für Kriegsschiffe dienen. Auch eine Utopie. Das ist alles,
was in dieser frappierend kurzen Geschichte aus Jean Echenoz’Erzählungsband
„Die Caprice der Königin“ passiert. Und doch enthält sie kondensiert ein
ganzes Leben – und dessen Ende.
Der französische Autor, 1947 in Orange geboren, ist ein Meister der kleinen
Form. Er interessiert sich durchaus für die große Weltgeschichte; mehr aber
für die Sollbruchstellen der darin herumtorkelnden Protagonisten, für
Momente, in denen die Vergänglichkeit sich offenbart. Seine Bücher sind
meist schmal; die Sätze von einer koketten Leichtigkeit. Zugleich haben
sie eine Kraft, dass sie Brücken ähneln, die einen auf kürzestem Weg in
eine andere Zeit oder in eine andere Welt hinübertragen können.
In seinem vor zwei Jahren erschienenen Weltkriegsroman „14“ etwa braucht
Echenoz gerade einmal 120 Seiten, um zu erzählen, wie 1914 ein ganzer
Kontinent aus den Angeln gehoben und dem einzelnen Menschen der Boden unter
den Füßen weggezogen wird. Geschichte, Lebensläufe und der Trost der Dinge
– das sind Themen, die sich auch durch „Die Caprice der Königin“ ziehen.
Eine der sieben Miniaturen des Buches handelt von einem Mann, der es sich
im Ruhestand zur Aufgabe macht, einen „Abriss der allgemeinen Geschichte
des Brückenwesens“ zu schreiben. Er reist durch alle Länder, um die
interessantesten Objekte aus der Nähe zu betrachten. „Je mehr Brücken er
sah, desto weniger Leute sah er, und seine Aufgabe verschärfte seine
Einsamkeit.“
Es sind solche plötzlich in den sachlichen Schilderungen von Landschaften
und Bauwerken aufblitzenden Sätze, die uns dem Abgrund von Echenoz’Figuren
näherbringen: ob es Vater und Sohn sind, die verzweifelt versuchen, den Tod
der Frau und Mutter zu ertragen; oder ob wir Herodot nach Babylon und ganz
weit zurück in die Vergangenheit folgen. Zuweilen ist das gar von
feinsinnigem Humor: Das einzige Problem mit Herodot sei, „dass er manchmal
etwas sehr schnell vorangeht und einem zum Verständnis dessen, was er
erzählt, manche Erläuterungen fehlen, manche Details. Er selber mag zwar
solche Details als nachgeordnet ansehen, aber er kann ja auch überhaupt
nicht ahnen, dass von allen Reiseberichten über das Babylon jener Epoche
seiner der Einzige ist, der in der Weltgeschichte überliefert bleiben wird.
Könnte er sich das vorstellen, so würde er bisweilen versuchen, etwas
genauer zu sein, vielleicht, es sei denn, diese Aussicht würde ihn
angesichts der Last der so schweren Verantwortung erschrecken und dazu
veranlassen, auf das Projekt dann lieber gleich ganz zu verzichten.“
Die Texte dieses Bandes, wie die meisten Bücher von Echenoz von Hinrich
Schmidt-Henkel vorzüglich ins Deutsche gebracht, sind zu ganz
unterschiedlichen Anlässen und Zeiten geschrieben worden. Trotzdem sind sie
untergründig durch ihren untröstlichen und doch anteilnehmenden Blick auf
die Welt miteinander verbunden. Es sei schwierig, heißt es in der
überraschend endenden Titelgeschichte, „in einer Beschreibung oder
Erzählung […] ein jedes Ding an seinen exakten Ort zu platzieren“. Bei
Echenoz hat man jedoch das Gefühl, dass genau dies dem Autor auf die
glücklichste Weise gelingt.
Jean Echenoz: „Die Caprice der Königin“. Aus dem Französischen v. Hinrich
Schmidt-Henkel, Hanser Berlin, 144 S. 17,90 Euro
25 Jun 2016
## AUTOREN
Ulrich Rüdenauer
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