| # taz.de -- Leben im Dorfkern | |
| > HausPROJEKT Eine Wohngemeinschaft im Dorfkern –in diesen Plan haben fast | |
| > 50 Hamburger schon viel Zeit gesteckt. Ende des Jahres ziehen sie in | |
| > einen alten Gasthof in Ochsenwerder ein und setzen dort ihre Idee vom | |
| > selbstbestimmten Zusammenleben in die Tat um | |
| Bild: Noch wird gebaut: Ende des Jahres ziehen in den alten Gasthof die Bewohne… | |
| Von Anna Dotti | |
| Sie schwimmen gegen den Strom: Während sich andere in der Innenstadt | |
| drängen, haben ein paar Hamburger ein kleines Dorf als ihr neues Zuhause | |
| auserkoren. Die Mitglieder des Vereins „Stadt Land Fluss“ arbeiten gerade | |
| an der Ausgestaltung ihres Wohnprojekts in Ochsenwerder. Ein Ort, der als | |
| Teil des Bezirks Bergedorf knapp eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt | |
| von der Hamburger Innenstadt liegt. Hier, im Südosten, zwischen den Flüssen | |
| Norderelbe und Dove-Elbe befindet sich die Ortschaft inmitten von Grün. | |
| Menschen leben hier nur wenige. Die Einwohnerzahl ist auf rund 2.500 | |
| geschrumpft. Doch Ende des Jahres sollen die neuen Nachbarn dazukommen. | |
| 46 Menschen werden dann in 18 Wohnungen leben. Kinder und Erwachsene – | |
| unter anderen Ingenieure, Pädagogen und Handwerker. In das Wohnprojekt | |
| haben sie alle schon viel Zeit investiert: Seit sechs Jahren planen sie nun | |
| bereits ihr gemeinsames Zusammenleben –als Genossenschaft im Dorfkern, | |
| außerhalb der Stadt. Am Anfang war es der Freundeskreis, dann wuchs die | |
| Gruppe durch andere Bewerber an. Am Ziel des Projekts hat sich auch im | |
| Laufe der Zeit wenig geändert: Nach wie vor geht es darum, sozialen | |
| Wohnraum im Grünen zu schaffen, für ein selbstbestimmtes, nachhaltiges und | |
| solidarisches Miteinander. | |
| Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wichtig, dass sich die Gruppe versteht | |
| und man gut miteinander zurechtkommt. „Wir sind besonders stolz darauf, | |
| dass wir uns in dieser Zusammensetzung gut verstehen“, sagt Anna Meins, | |
| selbst Mitglied des Vereins. „Wir haben sehr viel Energie investiert.“ | |
| Deswegen sollte jeder neue Interessent eine lange Zeit mit den anderen | |
| verbringen, bevor die feste Entscheidung fällt. An Terminen zum | |
| Kennenlernen mangelt es nicht: Einmal die Woche gibt es ein | |
| Planungstreffen, am Wochenende kann man sich an den Bauarbeiten beteiligen, | |
| außerdem treffen sich regelmäßig verschiedene Arbeitsgruppen – zu den | |
| Themen Architektur, Gartenplanung, Öffentlichkeitsarbeit, Recht und | |
| Finanzen. | |
| Konkretisiert hatte sich die Projektidee, als Mitglieder des Vereins einen | |
| alten Gasthof entdeckten. Im Herzen Ochsenwerders stand dieses Haus | |
| jahrelang leer und bliebt ungenutzt. Im Herbst 2012 hat der Verein „Stadt | |
| Land Fluss“ das Gebäude von der Stadt gekauft. „Es ist natürlich schade, | |
| dass dieser alte Gasthof jetzt weg ist“, sagt der Gastwirt Arne Meyer, der | |
| sein Restaurant in direkter Nachbarschaft zum Wohnprojekt betreibt. „Aber | |
| wir freuen uns auf jeden neuen Anwohner.“ | |
| Neben dem umgebauten Hof wird es noch zwei weitere Gebäude geben, in die | |
| Bewohner einziehen. Die Gebäude entstehen komplett neu auf einer Fläche | |
| neben dem Gasthof, die sie mitgekauft haben. Trotzdem besitzen sie nichts. | |
| „Es war vom Anfang an klar, dass wir kein Eigentum haben wollten. Auch als | |
| politische Entscheidung“, erzählt Anna Meins. Deshalb gehört das Anwesen | |
| der Wohnreform-Genossenschaft, bei der die Leute des Vereins wiederum | |
| Mitglieder geworden sind. Die Hamburger Baugenossenschaft beschäftigt sich | |
| genau mit Wohnprojekten, seit ungefähr zwölf Jahren. Sie bietet eine | |
| ehrenamtliche Hilfe bei der Organisation, seit dem Bauen bis zum | |
| gemeinsamen Leben. Aber vor allem setzt die Genossenschaft ihre Erfahrung | |
| im Bezug auf rechtliche Maßnahmen und finanzielle, solidarische, | |
| Unterstützung ein. | |
| Durch das Genossenschaftsmodell hat das Projekt ein vorteilhafte Förderung | |
| der anstehenden Bauarbeiten von der Hamburger Investitions- und Förderbank | |
| bekommen. Diese wiederum bekommt das Kapital durch eine Zusammenarbeit von | |
| der Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW: die größte Förderbank | |
| Deutschlands, obwohl sie keine eigene Geschäftsstelle betreibt. Man kann | |
| aber günstige Kredite von der KfW über andere Finanzinstitute bekommen, | |
| wenn gewisse Richtlinien als Vorbedingung erfüllt sind. Besonders wichtig | |
| ist dabei das energieeffiziente Bauen. Das ist beim Projekt „Stadt Land | |
| Fluss“ gegeben. | |
| Nach diesem Prinzip gerät das sonst übliche Verhältnis zwischen Mieter und | |
| Vermieter ein Stück weit durcheinander: Bewohner werden selbst eine Art | |
| Vermieter ihrer eigenen Wohnung. Jede Wohngemeinschaft hat eine gewisse | |
| Autonomie in Bezug auf das eigene Projekt. Die Miethöhe wird bei „Stadt | |
| Land Fluss“ unterschiedlich ausfallen und sich nach dem Einkommen der | |
| Bewohner richten. Außerdem wird sie in den ersten 20 Jahren höher sein, | |
| damit die Bankkredite zurückgezahlt werden können. Alles in allem liegt der | |
| Mietpreis aber deutlich unter den normalen Marktpreisen. | |
| Nach dem Kauf des alten Hofes und des Feldes haben die Mitglieder sofort | |
| angefangen, die Grundrisse ihrer Wohnungen festzulegen. Dafür arbeiten sie | |
| zusammen mit der Architektengruppe „planerkollektiv“. Diese hatten schon | |
| Erfahrung sowohl bei der Altbausanierung wie auch in Bezug auf | |
| Wohnprojekte. „Jeder konnte seine Meinung sagen und so sind die Wohnungen | |
| sehr individuell geplant“, erklärt der künftige Bewohner Hubertus Redlich. | |
| Beim Blick in die Wohnungen zeigen sich schon Spuren des sozialen Ansatzes. | |
| Zwei Wohnungen sind im Rahmen eines „Tandem“-Projekts Müttern und Kindern | |
| vorbehalten. Dabei handelt es sich um ein Assistenz- und Wohnangebot vom | |
| Träger Alsterdorf Assistenz Ost. Auch dieser ist Genosse der Wohnform | |
| geworden und wird die Miete für Betreute zahlen. Auch sie haben an den | |
| verschiedenen Treffen des Vereins teilgenommen und so bewusst entschieden, | |
| mitmachen zu wollen. | |
| So spielt der Verein eine seiner Stärken aus: Er bietet Wohnraum für | |
| benachteiligte Menschen in einer geschützten Umgebung. Genau das ist in | |
| Hamburg „nicht einfach zu bekommen“, sagt Axel Schult vom Verein. | |
| Neben den einzelnen Wohnungen wird sich eine gemeinschaftliche nutzbare | |
| Fläche, im Keller und an dem ersten Etage des alten Gasthofs, befinden – | |
| insgesamt sind das 400 Quadratmeter, die den sozialen Charakter des | |
| Projekts unterstreichen. Hier sollen gemeinsame Aktivitäten ihren Raum | |
| finden: Seminare, Konzerte, Lesungen oder Veranstaltungen. Die nicht nur | |
| für die Mitglieder , sondern auch den Einwohnern Ochsenwerders offen | |
| stehen. Wie auch jeder Mitglied des Vereins werden kann, ohne selbst im | |
| Wohnprojekt zu leben. Das soll auch den alten Gasthof im Dorf | |
| wiederbeleben. | |
| Das trifft auch die Erwartungen der Ortsansässigen: „Ochsenwerder wird | |
| dadurch wesentlich lebendiger und gemischter“, hofft Arne Meyer. | |
| „Vielleicht öffnen hier dann sogar wieder Geschäfte.“ | |
| Die Erneuerung hat schon begonnen: Der Verein arbeitet von Anfang an am | |
| guten Draht zu den Ochsenwerdern: Zuerst gab es eine große | |
| Kennenlernveranstaltung, bei der alle Einwohner persönlich eingeladen | |
| waren. Seitdem bekommen Interessierte regelmäßig ein Newsletter über | |
| aktuelle Entwicklungen. | |
| Dass dieses Vorgehen wegweisend ist, bestätigt Ingrid Breckner, Professorin | |
| für Stadt- und Regionalsoziologie an der Hafencity-Universität: „Wenn Leute | |
| aus Wohnprojekten engagierte Menschen sind, die sich auch um die Umgebung | |
| kümmern, können sie erfolgreich Dörfer wieder bevölkern.“ | |
| 23 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Dotti | |
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