# taz.de -- Schluss mit dem Genuss | |
> GERÄUSCHE Die genialische japanische Fluxusband Marginal Consort beim | |
> umjubelten Konzertdebüt am Montag in der Berliner Elisabethkirche | |
Bild: Koshikawa, der Introvertierte von Marginal Consort, in Berlin | |
Eine mit Gummis bespannte Astgabel, allerhand Instrumente asiatischer | |
Bauart, Zaunlatten, Becken, Schnüre, Schläuche, Murmeln, ein Maßband, | |
Antennen, Minisynthesizer, Klebeband, Jonglierbälle, Rasseln, Papier, | |
Gläser, Steine, Blechtafeln, ein Sammelsurium an Effektgeräten, Büchsen, | |
Batterien und der menschliche Körper. | |
All diese Dinge kamen beim Auftritt der Tokioter Band Marginal Consort zum | |
Einsatz, um einen herrlichen infernalischen Krach zu veranstalten. | |
Gelegentlich klang er wie Musik. Wenn er das tat, war nie sicher, ob man | |
sich nicht einfach an das gewöhnt hatte, was Kazuo Imai, Tomonao Koshikawa, | |
Tada Masami und Kei Shii damit unternahmen. | |
Beeinflusst von Fluxus, Free Jazz und der Neuen Musik von John Cage hatten | |
die vier Künstler Marginal Consort 1997 gegründet. Alle waren sie Schüler | |
des Fluxus-Künstlers Takehisa Kosugi an der Bigaku School of Aesthetics. | |
Ihr legendärer Ruf hat viel mit ihrem Programm des radikalen Entzugs zu | |
tun: Bis jetzt traten sie nur einmal pro Jahr auf. 2016 ist insofern ein | |
Schaltjahr für Fans. Erstens treten sie gleich vier Mal in Erscheinung und | |
zweitens zum Deutschland-Debüt in der Berliner Elisabethkirche. Wenn man | |
sie dann sieht, wird sofort klar, warum sie sich auf der Bühne rar machen: | |
Die Vorgänge während des Auftritts wirken spontan. Jede Form von Pose | |
während der Performance wird vermieden, damit Marginal Consort, die Frage, | |
was Musik sei, auf möglichst radikale Weise beantworten können. | |
Faszinierend ist schon die Anordnung. Imai, Koshikawa, Masami und Shii | |
haben sich am Montagabend an vier Schultischen jeweils in den Ecken des | |
Raumes verteilt und ihre Werkzeuge vor sich ausgebreitet. Punkt 19.30 Uhr | |
geht es los, genau um 22.30 Uhr ist Schluss. Jeder lärmt für sich. Kaum | |
einmal reagiert einer auf den anderen, und wenn, dann höchstens im Gestus | |
der Überbietung. So kann man unterschiedliche Stile des musikalischen | |
Krachmachens beobachten. Imai arbeitet meist mit vollem Körpereinsatz, wenn | |
er Latten aufeinanderschlägt und Schläuche durch die Luft wirbelt. | |
Koshikawa ist der Introvertierte, spezialisiert auf Flöten und | |
Streichinstrumente. Nur in seltenen Momenten sieht man Augen unter seinem | |
Fischerhut blitzen. Shii spielt mit elektronischen Störgeräuschen und hat | |
tausend Arten, diese zu erzeugen. | |
Masami ist der Hyperaktive. Er hat eine kindliche Energie, malträtiert | |
Becken auch mal mit beiden Füßen. Wird der Sound zu ruhig und meditativ, | |
ist es Masami, der an einer Schnur aufgeknüpfte Bambushölzer mit Gewalt auf | |
den Boden schlägt, damit nur keine denkt, sie könne sich jetzt mit | |
geschlossenen Augen dem Musikgenuss hingeben. Genau diese ZuhörerInnen | |
ärgert er auch mit Jonglierbällen, die er hoch in die Luft wirft, bis sie | |
nur knapp neben den auf dem Boden Sitzenden landen. | |
Einfach machen es Marginal Consort ihrem Publikum nicht. Die Frage nach der | |
Musik zu stellen, ist nicht nur ernst und tiefschürfend, die Antworten sind | |
teilweise auch kindisch und albern. Davon zeugen Masamis hinterlistige | |
Unterbrechungen der meditativen Phasen, davon zeugt die kindliche | |
Begeisterung am Klopfen, Klackern und Schlagen: Was hört man eigentlich, | |
wenn man mit diesem Hölzchen fest auf den Boden der Kirche schlägt? | |
Es trötet, pfeift, klappert und klackert also, es rasselt und klopft. Dabei | |
machen Künstler wie Publikum verschiedene Phasen durch: Stellenweise wirken | |
sie sehr konzentriert, dann angestrengt, schließĺich erschöpft. Manchmal | |
stellt sich bei beiden Fraktionen Langeweile ein. Es siegt aber doch die | |
Neugier: Kaum erzeugt einer der Künstler ein Geräusch, springen wieder | |
ZuhörerInnen auf, um ihm über die Schulter zu blicken. Der Applaus am Ende | |
hält lange an. Fast so, als hätte das Publikum nur darauf gewartet, endlich | |
selbst Krach machen zu dürfen und am eigenen Leib zu erforschen, wo die | |
Grenze liegt zwischen Lärm und Musik. Elias Kreuzmair | |
8 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Elias Kreuzmair | |
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