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> AUFSCHIEBEN Prokrastination kann zu einem echten Problem werden. Hilfe | |
> für Betroffene gibt es in Form von Schreibberatungen oder | |
> Strukturierungsprogrammen | |
Bild: Viele Studierende sind von Prokrastination betroffen. Hilfe bieten Beratu… | |
von Jannik Sohn | |
In einem Youtube-Clip referiert der amerikanische Blogger Tim Urban 14 | |
Minuten lang über „Prokrastination“: Er selbst habe immer wieder alles | |
aufgeschoben, seine Abschlussarbeiten auf den letzten Drücker angefangen. | |
Das Video ist sehr beliebt: Zwei Millionen Menschen klickten es an, 90.000 | |
bewerteten es positiv. Besonders unter Studierenden ist Prokrastinieren ein | |
angesagtes Thema – und es gehört zum Alltag an den Hochschulen. | |
Swantje Wrobel beschreibt Prokrastination als „vermeiden, sich einer | |
Tätigkeit zu widmen“. Sie ist die Leiterin der | |
Psychologisch-Therapeutischen Beratungsstelle (PTB) des Studentenwerks in | |
Bremen. Die PTB berät Studierende mit Arbeitsschwierigkeiten. | |
Wrobel sagt, Prokrastinieren sei ein „Dauerthema“ und dass gelegentliches | |
Aufschieben nicht ungewöhnlich sei. Ernst werde die Situation aber, wenn | |
dieses Verhalten zu Beeinträchtigungen führe: „Letztendlich führt starkes | |
Aufschieben zu Selbstschädigung“, sagt sie. „Die Erfahrung zeigt, dass | |
Menschen, die keine gut ausgebildete innere Struktur haben, anfällig für | |
Prokrastination sind.“ Zu dieser Struktur gehöre etwa eine feste Motivation | |
und Erfahrungen oder Erfolge während des Arbeitens. | |
Das Aufschiebeverhalten habe auch „immer etwas damit zu tun, wie | |
strukturarm eine Umgebung ist“, sagt Wrobel. So seien etwa KünstlerInnen, | |
StudentInnen oder Berufe mit frei wählbaren Arbeitszeiten besonders | |
anfällig. Speziell der Übergang von der Schule in das akademische Lernen | |
sei für viele Menschen schwierig, erklärt sie. Während die Schule feste | |
Strukturen biete, etwa klare Hausaufgaben, ist das Lernen an einer | |
Universität offener. „Viele kriegen die Kurve in ein bis zwei Semestern“, | |
so Wrobel, „doch einige tun sich sehr, sehr schwer“. | |
Um Studierende mit liegen gebliebenen Abschluss- oder Hausarbeiten zu | |
unterstützen, veranstaltet die Universität Hamburg jährlich eine „Lange | |
Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“. Die Organisatorin der „langen | |
Nacht“ und Leiterin der „Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit“ der Uni | |
Hamburg, Dagmar Knorr, sagt: „Wir wollen erreichen, dass Studierende sich | |
über das Schreiben austauschen und dass darüber geredet werden darf.“ | |
Die abendliche Veranstaltung in der Staats- und Universitätsbibliothek | |
Hamburg bietet ein breites Angebot für aufschiebende Studis: Individuelle | |
Schreibberatung, „Helpdesks“ für verschiedene Fragen etwa zur | |
Textbearbeitung und Arbeitsplätze für Stillarbeit. Doch auch Workshops | |
bietet die Veranstaltung an, etwa zum Thema Zeitplanung. „Die Workshops | |
sind der Renner“, sagt Knorr. | |
Die Organisatorin berichtet von durchweg positiven Rückmeldungen der | |
TeilnehmerInnen. Im Schnitt besuchten etwa 350 Menschen die Veranstaltung. | |
Die Atmosphäre beschreibt sie als „sehr freundlich und sehr | |
aufgeschlossen“. Wegen des hohen organisatorischen Aufwandes findet die | |
„Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ nur einmal im Jahr statt, die | |
nächste im Februar 2017. | |
„Je mehr Unsicherheitsfaktoren vorhanden sind, desto größer ist die | |
Lähmung“, erklärt Knorr. Studierende stünden häufig unter einem großen | |
Druck, etwa wegen drohender Deadlines oder einer großen Zahl von | |
Hausarbeiten. Wissenschaftliche Texte und die Angst vor Plagiaten führe zu | |
Unsicherheiten unter den Studierenden. | |
Bezogen auf das Schreiben diagnostiziert Knorr ebenfalls Probleme, die zu | |
Prokrastination führen können: „Das akademische Schreiben ist eine andere | |
Art des Schreibens“, das man üben müsse. Bei immer mehr Studierenden sei | |
die Bachelor-Arbeit der erste längere akademische Text, sagt sie. In | |
Lehrveranstaltungen müsse der Schreibprozess mehr thematisiert werden. | |
Doch was tun bei starkem Aufschieben? „Anfangen“, sagt PTB-Leiterin Wrobel, | |
doch dies sei ja letztlich das Ziel. Das „eingefahrene Verhalten“ ist laut | |
der Psychologin schwer zu ändern. „Wenn man was verändern will, braucht man | |
unbedingt Lernerfolge“, etwa durch ein „individuelles Arbeitskonzept“. Da… | |
gehören etwa ein genauer Zeitplan, konkrete, aber machbare Arbeitsschritte | |
und Rückmeldungen, etwa von Dozierenden. | |
Dieser mehrmonatige Prozess hat das Ziel, „nach und nach über Erfahrungen | |
herauszubekommen, wie lange brauche ich für was und in welcher Intensität“ | |
sowie die Entwicklung einer „Zuverlässigkeit für sich selbst“, sagt Wrobe… | |
Für die Überwindung von Arbeitsschwierigkeiten bietet die PTB auch | |
„Arbeitsstrukturierungsgruppen“ an. Über zwei Semester arbeiten hier | |
Studierende zusammen an ihrem Arbeitsverhalten: „Überaus erfolgreich“, | |
berichtet Wrobel. „Der Austausch ist wichtig“, sagt sie, denn die | |
Teilnehmenden hätten das Gefühl, den Anforderungen nicht zu entsprechen. | |
Doch in der Gruppe würden sie merken, dass es funktioniert. Erst bei | |
anderen aus der Gruppe und dann bei sich selbst: „Studierende entwickeln | |
ein eigenes Selbstbild“, sagt Wrobel. | |
Obwohl die Umstellung auf das Bachelor-Master-System das Studium stärker | |
strukturiert, habe dies nicht dazu geführt, dass die | |
Strukturierungsangebote der PTB weniger gefragt sind: „Die Nachfrage ist | |
ungebrochen.“ | |
4 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Jannik Sohn | |
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