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# taz.de -- Berliner Szenen: Balkontag
> Observieren
Mein Balkon in der prallen Nachmittagssonne. Erster Stock an der Ecke, ich
habe beste Aussicht über zwei Straßen im Weddinger Sprengelkiez. Ein paar
junge Männer versuchen in das Bordell gegenüber zu kommen. Der Mann am
Eingang mit dem ausladenden Bauch steht nur da und schaut sie an. Sie
besprechen sich kurz. Dann trollen sie sich widerwillig. Zwischen unseren
Blumentöpfen hänge ich über dem Geländer. Die Sonne brezelt, mein
Wasserkrug ist schon fast wieder leer.
Ein Auto hält mit quietschenden Reifen vor dem Café gegenüber. Vier Männer
sitzen Shisha rauchend davor, drei von ihnen haben eine Glatze. Vor ihnen
auf dem Tisch liegt jeweils ein Stück Melone. Abwechselnd kommen große
Rauchwolken aus ihren Mündern. Die Melonenstücke bleiben unberührt.
Scheppernd und sägend werten Bauarbeiter ein Haus weiter rechts in der
Straße auf. Unseres war mal senfgelb, jetzt ist es „apricot“. So hatte es
der Malermeister genannt.
Unser Neujahrsklee lässt die Blätter hängen. Auf gleicher Höhe an einem
Haus auf der anderen Straßenseite gießt eine Frau ihre Balkonpflanzen.
Zupft Blättchen ab, begutachtet und bückt sich. Selbstversunkene
Gartenarbeit auf zwei Quadratmetern. Die Straße röhrt laut herauf, Auto an
Auto an Bus. Der 142er schlängelt sich brummend vorbei.
Die Kneipe „Joker“ unter mir hat neue Sitzpolster. Farblich abgestimmt mit
den roten Rosen auf den Tischen. Um 19 Uhr esse ich Abendbrot. Eine
bürgerliche Stullenzeit: Es gibt Graubrot mit vegetarischer Wurst. Beim
„Joker“ füllen sich die Sitzpolster mit Gästen. Berlinerische Wortfetzen,
Fußballgezeter oder Karaoke-Krach. Dazwischen liegt der Ruhesonntag. Heute
schallen nur die Gespräche hoch zu mir. Die Observierungen sind beendet,
ich telefoniere und steige auf die Straße hinab.
Marion Bergermann
10 Jun 2016
## AUTOREN
Marion Bergermann
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