# taz.de -- Die Oshi-Ossis von Namibia | |
> Aufarbeitung Ende der 1970er sollten namibische Kinder in der DDR für den | |
> Unabhängigkeitskampf ihres Landes ausgebildet werden. Ein Stück im | |
> Emma-Theater Osnabrück erinnert an die vergessene Geschichte | |
Bild: Von heute auf morgen gilt alles Gelernte nicht mehr: 1989 werden die nami… | |
von Anne Reinert | |
Es beginnt der große Abbau. Die Sportgeräte, an denen die Schüler für ihr | |
künftiges Leben gedrillt wurden; die Backsteine, Grundsteine eines neuen | |
Lebens und gleichzeitig Begrenzung für die symbolische Saat, die dazwischen | |
aufgehen soll; überhaupt alle Requisiten räumen die Darsteller von der | |
Bühne. Bis nur noch fünf Kinder zurückbleiben, neben sich ihre Koffer, in | |
die sie die letzten elf Jahre ihres Lebens gepackt haben. Oder das, was | |
davon reinpasst. | |
Mit dem Mauerfall endet für diese Kinder die Zukunft, auf die sie viele | |
Jahre vorbereitet worden sind. Die DDR, das Land, in dem sie gelebt haben, | |
gibt es nicht mehr. Und ihre Heimat Namibia, in die sie nun zurückkehren | |
müssen, ist inzwischen eine ganz andere. | |
Das Theater Osnabrück greift mit dem Rechercheprojekt „Oshi-Deutsch – Die | |
DDR-Kinder von Namibia“ eine Geschichte auf, die in West-Deutschland kaum | |
jemand kennt. 1979 wurden die ersten 80 von insgesamt 425 namibischen | |
Kindern in die DDR gebracht, wo sie auf den Unabhängigkeitskampf ihres | |
Landes vorbereitet werden sollten. | |
Die South-West Africa People’s Organisation (Swapo) kämpfte damals gegen | |
die südafrikanischen Besetzer und wurde von der DDR unterstützt. | |
Zehntausende waren inzwischen vor den Kriegswirren in die Nachbarländer | |
geflohen, unter anderem nach Angola, wo am 4. Mai 1978 das Flüchtlingslager | |
Kassinga von südafrikanischen Truppen überfallen wurde und 600 Menschen | |
starben. Der Angriff ist der Auslöser dafür, dass namibische Kinder in die | |
DDR gebracht werden. Im Jagdschloss Bellin bei Güstrow und auf der „Schule | |
der Freundschaft“ in Staßfurt werden sie im Sinne des Sozialismus erzogen. | |
Doch es kommt anders als gedacht. Am 9. November 1989 leitet der Mauerfall | |
das Ende der DDR ein. Gleichzeitig, vom 7. bis zum 11. November 1989, | |
finden im inzwischen unabhängigen Namibia freie Wahlen statt. Die Kinder | |
werden zurück in ihr Herkunftsland geschickt, wo sie sich nicht mehr | |
heimisch fühlen. | |
Sie sprechen besser Deutsch als ihre Muttersprache Oshivambo. Von den | |
Aufgaben, die sie übernehmen sollten, ist keine Rede mehr. Von heute auf | |
morgen gilt alles Gelernte nicht mehr. „They told me to be a pioneer“, sagt | |
ein Junge im Stück. Doch alle Pionierlieder nützen ihm nichts mehr. | |
Das dokumentarische Stück konzentriert sich auf den gemeinsam erlebten Teil | |
der Geschichte statt auf die Einzelschicksale, in die sie nach 1990 | |
zerfällt. Stattdessen wird etwa gezeigt, wie fünf namibische Kinder im | |
Internat synchron ihre Schuhe putzen. Wie sie zur Hygiene erzogen werden. | |
Mit Geschirr und Besteck umzugehen lernen. Wie sie bei Kampfübungen auf den | |
Krieg in Namibia vorbereitet werden. | |
Nur manchmal kommt im Text hoch, was ein einzelnes Kind empfindet. Etwa | |
dann, wenn ein Mädchen sich nachts im DDR-Internat nach seiner Mutter | |
sehnt. Oder wenn eine Zwölfjährige sagt, dass sie eigentlich keine Lust | |
dazu hat, in den Kampf zu ziehen. | |
Diesen ersten Teil im Internat hat Gernot Grünewald inszeniert, der unter | |
anderem auch für das ebenfalls dokumentarische Projekt „Kindersoldaten“ am | |
Theater Bremen zuständig war. Für „Oshi-Deutsch“ teilt er sich die Regie | |
mit Sandy Rudd, der künstlerischen Leiterin des National Theatre of | |
Namibia. Ihr Part, der nach der Rückkehr nach Namibia spielt, kommt leider | |
etwas zu kurz. | |
Grundlage für das Stück sind Interviews mit ehemaligen Heimkindern und | |
Erziehern. Grünewald setzt seinen Darstellern Kopfhörer auf und lässt sie | |
die eingespielten Texte nachsprechen. Das kann schon mal langatmig werden, | |
wenn die Erzieher Anweisungen akribisch und im steifen SED-Slang | |
wiederholen. Aber es hat auch seinen Reiz, dann etwa, wenn die Erzählungen | |
sich widersprechen. Haben die Kinder tatsächlich das Schießen gelernt? Mit | |
echten Waffen? Das ist wohltuend, zeigt es doch, dass Erinnerungen trotz | |
aller Kollektivität subjektiv sind. | |
Einfühlung ist in diesem Reenactment nicht gefragt. Vielmehr sollen die | |
Ereignisse möglichst genau nachvollzogen werden. Wobei es einen direkten | |
Bezug zu den Heimkindern gibt. Denn neben drei Osnabrücker Schauspielern, | |
zwei Musikern, zwei Tänzerinnen und einem Schauspieler aus Namibia stehen | |
fünf namibische Jugendliche auf der Bühne. Von ihnen wiederum sind drei | |
Kinder der Heimkinder. | |
Das führt vor allem am Ende zu einem eindrücklichen Moment. Dann nämlich, | |
wenn im von Sandy Rudd inszenierten Teil eben diese drei Mädchen auf der | |
Bühne zurückbleiben und erklären, dass sie die Geschichte ihrer Eltern | |
nachgespielt haben. | |
Rudd macht das weitere Schicksal der Kinder zum Glücksspiel. Sie stellt die | |
Jugendlichen als Figuren auf ein Spielfeld und lässt symbolisch den Würfel | |
über ihr weiteres Schicksal entscheiden. Denn nach der Rückkehr der | |
DDR-Kinder nach Namibia hängt vieles vom Zufall ab. | |
Untergebracht werden sie in Katatura, dem Township von Windhoek, dessen | |
Namen übersetzt „Der Ort, an dem wir nicht sein wollen“ heißt. Von dort | |
sollen sie von ihren Familien abgeholt werden. Doch nicht in jedem Fall | |
klappt das. Manche werden von Verwandten abgeholt, die sich nur als solche | |
ausgeben. Andere von niemandem. | |
Das deutet das Stück nur noch an. Was mit den Kindern danach passiert, | |
erzählt es nicht mehr. Statt auf beispielhafte Einzelschicksale einzugehen, | |
macht diese Inszenierung den Blick weit auf und untersucht | |
gesellschaftliche Zusammenhänge. Es geht um kulturelle Prägung, um | |
Zugehörigkeit und Ablehnung. | |
Die bekommen die Heimkinder mit dem nahenden Ende der DDR plötzlich zu | |
spüren. Es fallen rassistische Bemerkungen über ihre Hautfarbe, Sätze wie: | |
„Die Kinder sind ja süß, aber …“ Schließlich, nach dem Fall der Mauer, | |
werden ihnen die Pässe weggenommen und damit jede Aussicht auf eine Zukunft | |
in Deutschland. Spätestens da ist der bittere Bezug zu heute deutlich, wenn | |
Geflüchtete auf dieselben Vorurteile gegen Fremde treffen. | |
Das Stück wird nicht nur in Osnabrück gezeigt, sondern geht auf Tour. Es | |
wird in den Internatsorten Güstrow und Staßfurt sowie an mehreren Orten in | |
Namibia gezeigt. Dort ist die Geschichte der ehemaligen Heimkinder aus der | |
DDR bis heute bekannt. | |
Nächste Aufführungen: 8., 10., 14., 16., 17. + 21. Juni, je 19.30 Uhr, | |
Emma-Theater, Osnabrück | |
Am heutigen Samstag, 4. Juni, ist das Stück im Salzlandtheater im | |
sachsen-anhaltinischen Staßfurt zu sehen, am Montag, 6. Juni, im | |
Ernst-Barlach-Theater im mecklenburg-vorpommerischen Güstrow | |
4 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Anne Reinert | |
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