# taz.de -- dvdesk: Wie Josef von Sternberg Kapital aus dem Pathos des Zuviel s… | |
„The Last Command“ ( Der letzte Befehl), USA 1928; Regie: Josef von | |
Sternberg | |
Man begegnet sich immer zweimal im Leben. Einmal zum Beispiel in den | |
letzten Zügen des zaristischen Russland, und dann, zehn Jahre später, in | |
Hollywood. So ergeht es dem Großherzog Sergius Alexander, General und | |
Günstling des Zaren, von Emil Jannings gespielt, und dem Revolutionär Lew | |
Andrejew (William Powell). | |
Auf schon so gut wie verlorenem Posten ist Sergius Alexander doch noch ein | |
mächtiger Mann, als er kurz vor der russischen Kapitulation im Jahr 1917 | |
Andrejew und dessen schöne Freundin Natalia Dabrowa (Evelyn Brent) gefangen | |
nimmt. Andrejew muss ins Gefängnis, in seine Freundin Dabrowa verliebt sich | |
der General. Es kommt zu Techtelmechtel mit Pistole, Zugunglück, | |
Revolution, ungefähr in dieser Reihenfolge. | |
Zehn Jahre später ist der General kein General mehr, sondern ein | |
gebrochener Mann. Er sucht sein Auskommen als Statist in Hollywood, wo der | |
zum sowjetischen Erfolgsregisseur avancierte Andrejew ihn für seine | |
Großproduktion über die letzten Tage des zaristischen Russland und die | |
Revolution als Darsteller eines zaristischen Generals auswählt. | |
Mit einiger Bösartigkeit filmt Regisseur Josef von Sternberg die Massen der | |
Möchtegern-Statisten vor den Hollywoodtoren im Amerika der Depression: Sie | |
ähneln, mit Absicht, den zerlumpten russischen Revolutionären und werden | |
auch ähnlich gefilmt. Nicht minder bösartig zeigt von Sternberg die | |
tayloristische Art, in der die Bewerber wie in einer Fabrik mit ihren | |
Kostümen versorgt und vom Eingangstor zum Set gedrängt werden: Die | |
seitliche Kamerafahrt ist elegant, aber sie ahmt zugleich doch die Bewegung | |
eines Fließbands nach. Keine Frage, dass der wie sein Kollege Andrejew | |
recht frisch nach Hollywood importierte von Sternberg hier die Bedingungen | |
der Filmindustrie karikiert. | |
Mehr als einmal begegnet sind sich auch der Regisseur Josef von Sternberg | |
und sein Star Emil Jannings, der als gefeierter Film- und | |
Theater-Schauspieler der Weimarer Republik 1926 von Hollywood eingekauft | |
wurde. Es entstanden sieben Filme, nur einer freilich ist vollständig | |
erhalten, nämlich „Der letzte Befehl“; für zwei von ihnen, diesen und den | |
verlorenen „The Way of All Flesh“, erhielt Jannings im Jahr 1929 den ersten | |
je verliehenen Oscar. | |
Jannings nahm ihn aber nicht persönlich entgegen, denn er war wegen der mit | |
dem Tonfilm entstandenen Sprachbarriere wieder nach Deutschland | |
zurückgekehrt, wo er mit von Sternberg sogleich den ersten deutschen | |
Tonfilmwelthit „Der blaue Engel“ drehte. Nach dessen ungeheurem Erfolg | |
kehrte von Sternberg mit seinem neuen Star Marlene Dietrich nach Hollywood | |
zurück, der Rest ist Geschichte, während Jannings sich beim Dreh mit seinem | |
Regisseur überwarf und darauf im „Dritten Reich“ und im Kino der Nazis nur | |
mehr wenig rühmliche Rollen gespielt hat. | |
Jannings ist der Inbegriff des expressionistischen Darstellers, der für den | |
Geschmack stärker auf Realismus geeichter Zeiten immer zu viel tut. Aus | |
diesem Pathos des Zuviel schlägt von Sternberg allerdings Kapital. Ja, | |
dieses Zuviel ist in Gestalt eines Ticks als Irritation ausdrücklich Thema: | |
Der General als Statist macht mit seinem unwillkürlichen, der | |
Traumatisierung im Krieg geschuldeten Kopfschütteln den Kollegen am | |
Nebentisch beim Schminken völlig verrückt. | |
Und die persönliche Tragödie des Generals, der Verlust von Einfluss, Macht, | |
Status und Heimat, wiederholt sich als tödliche Farce: Er steigert sich so | |
in seine Statistenrolle hinein, dass die Erinnerung (in Form von | |
Überblendungen) wiederkehrt. Diese Form von übertriebenem Method Acting | |
kostet ihn das Leben. Er erleidet einen Herzinfarkt. In einer grandiosen | |
letzten Einstellung fährt die Kamera dann zurück und blickt auf das | |
Filmset: ein Schlachtfeld. | |
Ekkehard Knörer | |
Die DVD ist bei Masters of Cinema in Großbritannien erschienen und für rund | |
20 Euro erhältlich | |
19 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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