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# taz.de -- Berliner Szenen: Im Zug
> Merkel muss weg
In Wolfsburg steigen zwei Männer zu, die sich erst laut über die Trägheit
in diesem fast vollbesetzten Zugabteil wundern, dann zwei Plätze finden und
lachend ihr Bier auspacken. Sie sind gut gelaunt, etwas laut vielleicht,
aber nicht unsympathisch. Bis sie nach ein paar Schluck Bier eifrig „Merkel
muss weg“ skandieren. Die Blicke der anderen Passagiere konzentrieren sich
ins Nirgendwo.
Ich erinnere mich an die Polizei, wo ich neulich war, weil ich wissen
wollte, wie Zivilcourage geht. Die Polizei zeigte ein Video aus den
neunziger Jahren: Zwei Skins bedrohen in der U-Bahn einen farbigen Mann,
keiner der Passagiere reagiert. Worauf die Polizei uns erklärte, wie man
sich einmischt, ohne sich einzumischen: Blickkontakt vermeiden, Opfer statt
Täter ansprechen, auf Frauen vertrauen, die Polizei rufen. Ich schaue mir
die beiden Männer also bloß aus dem Augenwinkel an, als ich zur Toilette
muss.
Als die Schaffnerin vorbeikommt und sie zurechtweist, sagt der eine
zerknautscht: „Aber Merkel muss doch weg?“ Die Schaffnerin kontert: „Nein.
Warum denn auch?“ Es ergibt sich ein kurzer Wortwechsel. Als die
Schaffnerin weg ist, erklärt der eine trotzig: „Diese Frau bricht
tausendmal deutsches Recht, das ärgert mich!“
Die dummlustigen Pöbler quatschen weiter. Kurz vor Berlin sagt ein
Mitreisender: „Ach, Leute, hört doch auf zu nerven.“ Worauf der
Angesprochene fragt: „Bist du Antifa?“ Nachdem die beiden am Hauptbahnhof
ausgestiegen sind, fragt eine junge Frau, die mit Akzent Deutsch spricht,
die Verbliebenen: „Warum hat niemand reagiert? Ich will endlich wissen, in
welchem Land ich hier eigentlich lebe.“ Der Antifa-Mensch, der eigentlich
Gothic ist, zuckt mit den Schultern und sagt: „Ey, ich bin sechs Stunden
Zug gefahren, da hat man echt kein Bock mehr auf so was.“
Gina Bucher
26 May 2016
## AUTOREN
Gina Bucher
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