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# taz.de -- Unmittelbarer Sog des Unheilvollen
> Kunst Hamid Sulaiman berichtet in seiner Graphic Novel „Freedom Hospital“
> vom traurigen Alltag in Syrien. Die Galerie Crone zeigt eine Auswahl der
> getuschten Originale dieser schattenreich komponierten Seiten
Bild: Verletzte, Tote, der Alltag: eine Bildfolge von Hamid Sulaimans „Freedo…
von Katja Lüthge
Schon ein Weilchen steht die Betrachterin vor dem Bild, doch die
beklemmende Unübersichtlichkeit lässt sich nicht recht ordnen, eine
abschließende Sinnhaftigkeit will sich nicht einstellen. Nur das Unwohlsein
angesichts dieses in Schwarzweiß gehaltenen Durcheinanders mag nicht
weichen. Die folgenden Zeichnungen geben dem Gefühl recht, aus dem nun als
erkennbar zu Trümmern bombardierten Straßenzug bergen einige Männer eine
verletzte oder tote Person und legen sie auf einen Pick-up.
Trauriger Alltag in Syrien. Es sind aus tiefstem Schwarz und zur Unschärfe
neigende, schattenreich komponierte Seiten wie diese, die der syrische
Künstler Hamid Sulaiman für seine Graphic Novel „Freedom Hospital“
gezeichnet hat. Eine Auswahl der getuschten Originale ist derzeit in der
Galerie Crone zu sehen.
Nun eignen sich Comics nicht per se zur gerahmten Hängung, erschließt sich
deren Geschichte im Regelfall doch erst nach dem erfolgreichen Abarbeiten
der unterschiedlichen Zeichensysteme. Tatsächlich lässt sich auch hier die
Handlung nicht aus dem Gezeigten ableiten, zumal die Sprechblasen noch ohne
Text, also weiß und leer sind.
Paradoxerweise ist dies aber gerade die besondere Qualität dieser Schau,
denn Sulaimans oft düstere, bisweilen jedes Licht schluckende, mal
grellweiß-blendende Seiten erzeugen so einen unmittelbaren Sog des
Unheilvollen. Mehr noch scheinen die nicht aufeinander bezogenen oder
chronologisch sortierten Episoden genau das Chaos wiederzugeben, das in
Syrien seit dem Beginn des Bürgerkriegs herrscht. Denn wer da genau wo wann
gegen wen und mit welchem Ziel kämpft, ist ja kaum noch nachzuvollziehen.
Ähnlich rätselhaft heterogen wirkt dann auch das Personal in „Freedom
Hospital“. Wie hängen die permanent Zigaretten rauchende, müde wirkende
Frau, der Mann mit dem Fez, die Kamerafrau, die Katze oder etwa der
IS-artige Kämpfer zusammen? Wer sitzt dort in der Bar zusammen und wer
liebt da gerade wen? Welches Bein wird hier gerade amputiert, wessen Blut
spritzt dort? Welche Kriegspartei verantwortet den über mehrere Panels
gezeigten Abwurf von Bomben auf das Wohngebiet, wer bedient den
Raketenwerfer? Vielleicht ist das letztlich egal, denn die Wiederholung
detailreich abgebildeter Vernichtung menschlichen Lebens durch Kriegswaffen
lässt vor allem die wahllose tödliche Brutalität des Kriegsgeschehens
deutlich werden.
Dabei hat sich der 1986 in Damaskus geborene Hamid Sulaiman politisch
eindeutig positioniert, als er 2011 an den Protesten gegen das herrschende
Assad-Regime teilnahm. Er wurde verhaftet, nach seiner Entlassung gelang
ihm 2012 die Flucht, die den studierten Architekten und Künstler zunächst
zu Verwandten nach Gießen und schließlich in die Comicmetropole Paris
führte, wo er heute lebt.
Weltweit geteilte Aufmerksamkeit erlangte Sulaiman mit einem
Facebook-Selfie, das ihn und seine Frau Aurélie Ruby mit nacktem Oberkörper
auf dem Place de la République am 15. November 2015, zwei Tage nach den
Anschlägen in Paris, zeigt. Vor der Brust hält das Paar ein Plakat, auf dem
„Als ein französisch-syrisches Paar zahlen wir täglich den Preis für
Terrorismus, Rassismus, Grenzen, Waffen … Fuck off. Liebe wird immer
gewinnen“ zu lesen ist.
„Make love, not war“ könnte man mithin die Botschaft von Hamid Sulaimans
Schaffen zusammenfassen, tatsächlich mutet das Selfie sympathisch hippiesk
an. Es fällt schwer, ihm deshalb Naivität vorzuwerfen, denn die
Dringlichkeit, mit der er den Frieden für sein geschundenes Land
herbeisehnt, legt der Entwurzelte nicht zuletzt in „Freedom Hospital“ dar.
Wer nach der Ausstellung den bislang nur auf Französisch erschienenen Comic
zur Hand nimmt und durch das 280 Seiten starke Werk blättert, wird auch
hier die Sehnsucht nach friedlicher Koexistenz finden. Es ist die fiktive
Geschichte der rauchenden Frau, Yasmin, die, während sie versucht, ein
Leben in all dem Sterben zu führen, mit Freunden ein illegales Krankenhaus
betreibt, in dem Oppositionelle der verschiedensten Gruppierungen versorgt
werden.
Aber auch hier werden die Fronten aufrechterhalten, Verrat droht. Es mutet
angesichts einer derart zerrissenen Gesellschaft weniger naiv als vielmehr
mutig an, weiter an die Macht der Liebe zu glauben. So mühsam, wie Sulaiman
aus dem übermächtigen, alles verschlingen Schwarz einen hell leuchtenden
Mond herauszukratzen scheint, dürfte sich dabei ein kaum vorstellbarer
Friedensprozess gestalten.
Bis 18. Juni, Galerie Crone, Rudi-Dutschke-Str. 26, Di–Sa 11–18 Uhr
14 May 2016
## AUTOREN
Katja Lüthge
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