# taz.de -- Ein kleines Jazzorchester im Kopf | |
> Konzert Der israelische Komponist Itay Dvori hat den Comic | |
> "Fliegenpapier" vertont. Uraufführung ist heute im LCB | |
Gangster rauchen aus geweiteten Nasenflügeln und aus ihren Kolben, | |
grobschlächtige Privatdetektive sind ihnen auf den Fersen, und adrette | |
Frauen werden ins Nebenzimmer geschickt, wenn es was zu bereden gibt – mit | |
Worten oder Fäusten. Helden gibt es in Hans Hillmanns Graphic Novel | |
„Fliegenpapier“ keine: Der Detektiv ist kein Held, die Kleinkriminellen | |
sind keine und auch nicht die Leichen, die mit verdrehten Köpfen im Bett | |
oder in der Gosse liegen. Liebe und Romantik zwischen Familien oder Paaren | |
sind nicht vorgesehen, stattdessen herrschen Gewalt und die bleierne | |
Tristesse einer Film-noir-Kulisse. | |
## Jazzakkorde in Moll | |
Wenn der israelische Komponist Itay Dvori sich „Fliegenpapier“ ansieht, | |
gemalt von dem legendären Plakatkünstler und Kunstprofessor Hillmann, dann | |
hört er Musik. Vielleicht ein paar Jazzakkorde in Moll, eine schleichende | |
Snaredrum oder Klaviertöne, die wie Regentropfen an Scheiben | |
herunterlaufen. Ein kleines Jazzorchester spielt auf in Dvoris Kopf, und er | |
ist sein Dirigent. | |
Das Ergebnis dieser Übertragungsleistung von einem künstlerischen Medium in | |
ein anderes kann man diesen Donnerstag im Literarischen Colloquium Berlin | |
hören und sehen. Das von Dvori gegründete Yam Yabasha Ensemble wird | |
Kompositionen zu den Bildern Hillmanns spielen, der Schauspieler Raphael | |
Clamer die herrlich altmodischen Textpassagen vortragen. Dazu sind auf | |
großer Leinwand die Bilder des Comics zu sehen. Die Ouvertüre bilden zwei | |
kurze Comicsequenzen der französischen Zeichner Manuele Fior und Joann | |
Sfar. | |
Dvori, klassisch ausgebildeter Dirigent und Pianist, ist in Tel Aviv | |
geboren und liest seit seiner Kindheit leidenschaftlich gern Comics, hat | |
früher sogar selbst gezeichnet. Der Transfer von einem Medium in das andere | |
funktioniere nicht immer, erzählt Dvori. Manche seiner Lieblingscomics | |
seien unglaublich gut, und dennoch findet er darin keine musikalische | |
Inspiration. Bei „Fliegenpapier“ dagegen hebt Dvori, seit Herbst | |
künstlerischer Leiter des Deutsch-Französischen Chors, sofort den inneren | |
Taktstock. | |
Die Erzählung ist in den 20er und 30er Jahren in New York und San Francisco | |
angesiedelt, der Zeit der Wirtschaftskrise und Prohibition. Ein namenloser | |
Ich-Erzähler soll sich auf die Suche nach einer verschwundenen Tochter aus | |
gutem Hause machen, die mit einem Kleinkriminellen durchgebrannt ist. Der | |
Vater sorgt sich nicht wirklich, er will nur in regelmäßigen Abständen | |
wissen, ob Sue noch lebt. Der Detektiv findet die junge Frau in San | |
Francisco. Sie liegt auf einem plüschigen Bett, vergiftet mit Arsen. War es | |
ihr Lover Babe McCloor? | |
Dvoris Musik ist die zweite Interpretation des originären Stoffes: Zuerst | |
war da 1929 eine Kriminalgeschichte von Dashiell Hammett, es soll nicht | |
seine beste gewesen sein. Dann nahm sich Hillmann der Erzählung an und | |
verwandelte sie in eine Bildergeschichte, im Jahr 1982. Und nun, ein Jahr | |
nach Hillmanns Tod, wird der Stoff zu einem Musikstück. Etwas | |
Vergleichbares hat es noch nicht gegeben, erzählt Dvori. | |
Die Idee, einen Comic zu vertonen, ruhte lange in ihm. Seit seiner ersten | |
Klavierstunde liebt er das Improvisieren und entwickelte so ein Interesse | |
für Jazz. Er schrieb ein paar Szenen zu einer Graphic Novel und stellte | |
sich mit ihnen beim Comic-Verlag Avant vor. | |
Wie es der Zufall wollte, flatterte während dieses Gesprächs die Druckfahne | |
des neu aufgelegten „Fliegenpapier“-Comics ins Büro des Verlegers Johann | |
Ulrich. Und der sagte zu Dvori: Schreiben Sie doch hierzu Musik! Hillmanns | |
Ästhetik und die zeitliche Verankerung im Amerika der 20er Jahre passten | |
perfekt zu Dvoris Idee einer Jazz-Komposition. Anne-Sophie Balzer | |
„Fliegenpapier“, Comic-Konzert mit dem Yam Yabasha Ensemble; Uraufführung | |
heute, 20 Uhr, Literarisches Colloquium Berlin, Am Sandwerder 2, Eintritt | |
8/5 Euro | |
21 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Anne-Sophie Balzer | |
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