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# taz.de -- Im Anwohnerpark
MANJA PRÄKELS
## Teil 32: Charlotte macht Ernst
Sind Sie sich auch sicher?“
„Wirke ick denn unsicher uff Sie?“
„Nein, keineswegs.“
„Wat fragen Se denn so blöd?“
„Verzeihung. Wie Sie wünschen …“
Charlotte Heinrich, geborene Roth, im ganzen Kiez nur als „Oma Heinrich“
bekannt, unterschrieb ihr Testament so nebensächlich, wie sie keuchenden
DHL-Sklaven die Annahme eines Päckchens bestätigte. Erst gestern hatte so
ein Abgehetzter vor ihrer Tür gestanden und endlich das neue Kostüm
geliefert. Die Reise war längst gebucht. Charlotte dachte gar nicht daran,
sich auf die Couch zu legen und der Uhr beim Ticken zuzuhören. Von der
Transatlantik-Passage hatte sie schon als junges Mädchen geträumt, damals,
mit den Freunden, als gegenüber der jüdische Schuster verschwunden war. In
seiner Verzweiflung hatte sich der arme Mann in den Landwehrkanal
geschmissen, war an einem rostigen Bettgestell hängen geblieben und
ertrunken. So was erzählt kein Stolperstein, aber immerhin … Charlotte
verließ die Kanzlei, stieg in ein Taxi und ließ sich nach Hause fahren: Ihr
letzter Wille würde geschehen. Ein gutes Gefühl.
In der kleinen Straße nordöstlich des Berliner Alexanderplatzes brodelte
der Alltag fröhlich vor sich hin. Was das Wetter mit den Menschen macht,
ist ja hinlänglich bekannt. Zaghafte Berührungen unter blühenden
Kirschbäumen, Liebesglück im Sommerregen, verzweifelte Worte im Nebel, im
Winter schließlich – Mord. Alle Klischees stimmten, davon lebten ganze
Branchen! Hildegard blinzelte schamhaft zu Sprottenpeter hinüber, der vor
ihrer Kneipe, dem blaulicht,in der Sonne fläzte und bereits das zweite
Mittagsbier geordert hatte. Ja, wo wäre ihr Umsatz ohne Peters Unglück?
„Alles o. k. bei dir?“
„Hab nur’n Moralischen.“
„Bei dem schönen Wetter?“
Gequält lächelte Hildegard der Nachbarin hinterher. Der Betrieb vor deren
Bioladen kam wie üblich früher in die Gänge. Chefin Anne bediente sowohl
draußen als auch drinnen, was ihr eine geisterhafte Aura verlieh. Zwischen
zweimal Blinzeln war sie fort und wieder da. Seit zwei Wochen prangte ihr
Hilferuf schon an der Ladentür: „Aushilfe gesucht!“ Doch aus unerfindlichen
Gründen war sie immer noch allein.
„Anne?“
„Sorry, du siehst doch …“
„Ja klar, aber ich wüsste da jemanden …“
Hildegard deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Zettel. Die
Inhaberin des Bioladens hielt kurz inne, stemmte ihre Hände in die Hüften
und schenkte der Wirtin ihr schönstes Lächeln, das, bei dem sogar die Augen
funkelten.
„Ich komm nach Feierabend rum!“
„Jutjut.“
Aus dem Lagerraum, wo sich der Unterstützerkreis fest eingenistet hatte,
riefen sie lautstark nach Anne, doch die reagierte nicht. Die
Festvorbereitungen zwischen Friedhof, Kaufhalle, blaulicht, Bioladen und
der zur Notunterkunft umfunktionierten Turnhalle liefen auf Hochtouren.
Erst am Morgen hatten sie die Genehmigung zu einer Straßensperrung
erhalten, auch zwei Bühnen und die Hüpfburg waren durchgewunken worden.
„Ich bin gleich bei euch!“ Anne streckte kurz ihren Kopf durch die Tür,
klimperte mit den Augen und flitzte wieder davon.
Gegenüber, im letzten unsanierten Haus, trafen sich Django und seine
Kollegen in der Küche des krummen Komponisten. Nach Wochen des trostlosen
Wartens war endlich ein Engagement ins Haus geflattert. Bei Nennung der
Gage war dem besten Gitarristen der Welt ein lauter Juchzer rausgerutscht.
Sie würden sogar für die Proben entlohnt werden!
„DEN würde ich aber nicht so früh bringen.“
„Das funktioniert. Ich weiß es.“
Die Reihenfolge, in der sie die Titel für ein Konzert anordneten, konnte
entscheidend sein. Jeder dieser Abende unterlag eigenen Gesetzmäßigkeiten.
Wer wusste das besser als er, der Conférencier und Geschichtenerzähler.
Schon lange hatte sich der Boden unter Djangos Füßen nicht mehr so fest
angefühlt.
Als Anne ihren Laden abschloss, war die Sonne bereits untergegangen.
Diesmal würde sie ohne eigenen Wein ins blaulichtgehen. Der Psychopath
hockte an seinem Stammplatz und starrte Löcher ins Universum. Heiner
Müller, der nicht Heiner Müller war, saß mit Fritze bei einer Partie
Schach. Die Blicke der Männer klebten am Brett. Sobald die Tür aufging,
nickten sie automatisch. Für alle hörbar ruhte sich Sprottenpeter auf der
Couch im hinteren Gastraum aus. Sein Schnarchen hätte tote Hunde wecken
können. Lolle, der der Wirtin am Ausschank half, drehte die Musik lauter.
Er begrüßte Anne mit einem frisch bekrönten Bier. Hildegard setzte sich zu
ihr, auf die andere, die gemütlichere Tresenseite und zündete sich eine
Zigarette an.
„Wo is Nura eigentlich abgeblieben?“
„Die ist mit dem Studium fertig.“
„Und isse jetz zurück in Kasachstan?“
„Nura kommt aus Usbekistan. Aber nein, Rieke hat sie angestellt. “
„Ach ja?“
„Na ja. Ihr Vater wollte sie doch verheiraten …“
Anne rückte ganz nah an Hildegard heran, so nah, dass sich ihre Ellenbogen
berührten und flüsterte:
„Nun mach doch kein Geheimnis draus: Wen empfiehlst du mir?“
Von allen unbemerkt war Oma Heinrich durch die Tür geschlüpft und an den
Tresen getreten. Sie blickte sich kurz um, musterte Hildegard mit
zusammengekniffenen Augen, wie man eine Taube betrachtet, die einem
unerlaubterweise durchs offene Fenster auf den Küchentisch geflattert ist.
Dann legte sie der entgeisterten Anne ihre kalte Hand auf den Arm. Die
stieß einen spitzen Schrei aus. Fritze fiel ein Bauer vom Tisch. Gebannt
schauten die Schachkumpane zu der alten Pudelfrau, die sich in Schale
geschmissen und nun das Wort an sich gerissen hatte:
„Lokalrunde. Der Laden gehört schließlich mir.“
Während Lolle zögerlich die Gläser füllte, legte Charlotte zwei große,
braune Briefumschläge auf die Theke. Einen schob sie Anne, den anderen
Hildegard zu. Es war mucksmäuschenstill im blaulicht, als Charlotte
Heinrich, geborene Roth, den Frauen ein Angebot unterbreitete, das alles in
den Schatten stellte. Wirklich alles.
21 Apr 2016
## AUTOREN
Manja Präkels
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